Christopher Nolans „Tenet“ und killjoy Feminismus

SPOILERWARNUNG: In diesem Artikel spoilere ich wichtige Teile des Films Tenet. Wenn du den Film noch sehen willst, empfehle ich dir, nicht weiterzulesen.

Schon lange bin ich ein großer Fan des Regisseurs Christopher Nolan. Mir haben fast alle seine Filme gefallen und ich finde, er geht fantastisch mit dem Stilmittel des unzuverlässigen Erzählens um. Dementsprechend habe ich mich auf seinen neuen Film Tenet sehr gefreut. Ich kann nur schwer beantworten, ob der Film meine Erwartungen erfüllt hat. Tenet hat mir zwar grundsätzlich gefallen. Einen für mich wichtigen Faktor hat dieser Film allerdings meiner Meinung nach gehörig versemmelt. Aber der Reihe nach.

Zeitreise, here we wo again

Als die ersten Kritiken zu Tenet veröffentlicht wurden, schien der allgemeine Konsens klar: Der Film ist komplex und verwirrend. Das wurde über Inception damals auch gesagt und den fand ich nachvollziehbar, wenn man ein bisschen aufpasst. Tenet ist da allerdings eine ganz andere Hausnummer. Das liegt vor allem daran, dass der Film sich genau der Trope bedient, die geradewegs nach Komplexität ruft: Zeitreise. Zum Glück bin ich dank der Netflix-Serie Dark bereits Zeitreise-erprobt, was mir auf jeden Fall geholfen hat, durch die „Zeitebenen“ durchzublicken. Grandios fand ich hier, wie Tenet die Trope umsetzt: Objekte und Menschen werden invertiert und bewegen sich rückwärts, wenn sie in der Zeit zurückreisen. Das fand ich eine interessante Herangehensweise. Dadurch sind außerdem extrem coole Aufnahmen und toll choreographierte Kämpfe entstanden, die wirklich gut anzuschauen waren. Der allgemeine Look war mal wieder klinisch und Nolan-like grandios. Allerdings empfand ich den Film doch als kompliziert und sehr vollgeladen. Man wurde mit Informationen nur so bombardiert und hatte kaum Zeit, das Gesehene zu verarbeiten. Dadurch schwirrte mir nach dem Film echt der Kopf. Ich weiß einen Tag später immer noch nicht recht, über welchen Aspekt des Films ich denn jetzt gerne noch schreiben möchte, weil ich immer noch nicht alles verarbeitet habe. Trotzdem finde ich Tenet an sich gelungen und vor allem einzigartig. Damit soll gesagt sein: Ich fand den Film gut. Und jetzt kommt das ABER.

Killjoy Feminismus

© Populärkollektiv

Ich hole an dieser Stelle ein wenig aus, um euch den Gedanken zu erläutern, den ich beim Schauen des Films immer wieder hatte. Im Moment lese ich das Buch Living a Feminist Life von der Autorin Sara Ahmed. Sie erläutert in dem Buch den Begriff des feminist killjoy, in dem ich mich sofort beim Lesen wiedererkannt habe. Ein feminist killjoy ist eine Person, die sich mit einem sexistischen Status Quo, einer Ungerechtigkeit, einer Aussage oder einer problematischen Darstellung unwohl fühlt. Sobald die Person dieses Gefühl allerdings ausspricht, wird sie zum*zur Spielverderber*in für alle anderen Personen. Fellow feminists werden wissen, was ich meine: Der Onkel sagt beim Familienessen etwas Sexistisches. Du weist ihn darauf hin und bist die Böse, weil du die Stimmung ruinierst und überhaupt, „das war doch nur Spaß, nimm nicht immer alles so ernst, sei nicht so verklemmt.“ Das lässt sich so natürlich auch auf jede weitere Form von Diskriminierung anwenden, gegen die man ankämpft. Ich bin schon öfter ein feminist killjoy für andere gewesen. Bei Tenet allerdings war ich mein eigener feminist killjoy. Denn so gut der Film mir auch gefallen hat, nach 30 Minuten bekam ich diesen einen Gedanken nicht mehr aus meinem Kopf: Wie kann man 2020 noch so miserable Frauenfiguren schreiben?

Die Damsel in Distress

© Warner Bros.

Kat (Elizabeth Debicki) lässt sich wohl als weibliche Hauptfigur des Films bezeichnen, weil sie die Frau mit der meisten Screentime ist. Allerdings hat sie nicht viel zur Handlung beigetragen. Sie ist die typische Damsel in Distress: von ihrem Mann – dem Antagonisten des Films, Andrei Sator (Kenneth Branagh) – wird sie unterdrückt, erpresst und fast schon gefangen gehalten und kann sich nicht aus eigener Kraft von ihm lösen. Der Protagonist (John David Washington) empfindet einen ungerechtfertigten Beschützerinstinkt für sie. Er will Kat um jeden Preis vor ihrem sadistischen Mann retten. Das ist zwar nett von ihm, macht meiner Meinung nach aber nicht wirklich Sinn. Kat und der Protagonist kennen sich gefühlt seit 5 Minuten und die Beziehung der beiden hat keine nachvollziehbare Basis. Der Protagonist ist ansonsten eher kaltblütig und vielleicht soll ihn dieser Beschützerinstinkt menschlicher wirken lassen. So wird Kat zu einem Handlungsmotor für den Protagonisten, der sie immer und immer wieder retten will. Sonst nichts. Dass dieser furchtbare Stereotyp der Damsel in Distress im Jahr 2020 wirklich immer noch so flach und unreflektiert eingesetzt wird, hat mich vermehrt mit den Augen rollen lassen.

Frau = Mutter

Ein weiterer Dorn im Auge: Kat wird immer und immer wieder auf ihre Rolle als Mutter reduziert. Sator benutzt den gemeinsamen Sohn, um Kat zu erpressen. Sie darf gehen, doch dafür sieht sie ihren Sohn nie wieder. Dass sie darüber nachgedacht hat, dieses Angebot anzunehmen und sowohl Mann als auch Sohn hinter sich zu lassen, gesteht sie dem Protagonisten unter Scham und Tränen. Dass sie sich dafür schämt, in Betracht gezogen zu haben, ihren eigenen Sohn zu verlassen ist natürlich normal. Ebenso normal ist aber, es in Betracht gezogen zu haben. Sie wird in dem Moment viel mehr als Rabenmutter und nicht als eigenständiger Mensch mit einem ganz natürlichen Drang nach Freiheit dargestellt. Was mich allerdings wirklich genervt hat, war der Moment, in dem Neil (Robert Pattinson) und der Protagonist darüber sprechen, dass alle Menschen sterben werden, wenn Sators Plan aufgehen wird. Kats Reaktion: „Auch mein Sohn?!“ Girl, seriously? Er sagte, alle Menschen auf der Welt!

Charakterentwicklung? Naja…

© Warner Bros.

„Aber am Ende ist es doch Kat, die Sator tötet und damit die Welt rettet!“, mag jetzt manch eine*r sagen. Das stimmt natürlich, allerdings hätte sie das nicht mal ansatzweise aus eigener Kraft geschafft. Sie beginnt erst, sich gegen Sator aufzulehnen, als der Protagonist in ihr Leben tritt. Als Sator sie mit seinem Gürtel verprügeln will, droht sie ihm, dass sie so laut schreien würde, dass der Protagonist sie hört. Es ist wieder der Protagonist, auf dessen Rettung sie hofft. Der Protagonist ist es auch, der gemeinsam mit Neil ihr Leben rettet, als Sator sie anschießt und er ist es, der ihr genau sagt, was sie zu tun hat, um Sator zu täuschen und zu überwältigen. Am Ende hält sie sich dann trotzdem nicht an die Absprache, weil sie von ihren Gefühlen überwältigt wird und es „einfach nicht länger aushält, ihren Mann weiter im Glauben zu lassen, er hätte gewonnen.“ Und es ist nur dem Einsatz der Männer zu verdanken, dass der Plan durch ihren Aussetzer nicht ruiniert wird. Und wer mir jetzt erzählen möchte, zumindest Priya, die Waffenhändlerin, wäre eine coole Frauenfigur: please don’t. Priya hat in dem Film gefühlte fünf Minuten Screentime. Sie wird zwar als Anführerin eingeführt, am Ende stellt sich jedoch heraus, dass sie von Anfang an nur die Marionette des Protagonisten war und sie stirbt einen nicht besonders erwähnenswerten Tod. Finde ich jetzt auch nicht so cool.

Und was jetzt?

Das „Problem“ mit dem Feminismus ist: Je mehr man sich mit Feminismus beschäftigt, desto mehr fällt einem Sexismus auf. Wenn ihr online nach Besprechungen zu Tenet sucht, werdet ihr sehen, dass dieser Film so viel mehr zu bieten hat. Andere Rezensent*innen haben ganz unterschiedliche Aspekte besprochen: Die hervorragende filmische Umsetzung, die komplexe und innovative Art, die Zeitreise-Trope einzusetzen, die vielen coolen Eastereggs,… Und ich? Ich saß während des Films da und bin nicht darüber hinweggekommen, wie schlecht die Frauenrollen in einem so guten Film sein können. Ich war mein eigener Killjoy. Es gibt so viele andere Rezensent*innen, die diesen Umstand nicht einmal erwähnen. Ist es jetzt also meine Schuld, dass ich über diesen Fehler nicht hinwegsehen konnte? Ich weigere mich, das so zu sehen. Denn auch Sara Ahmed schreibt in Living a Feminist Life, dass die Personen, welche die Problematiken sehen und auf sie aufmerksam machen, zwar oft beschuldigt werden, die Stimmung zu ruinieren. Doch wir sind nicht schuld, dass diese Problematiken existieren, nur weil wir sie sehen.

Bin ich nicht die richtige Zielgruppe für Tenet? Das kann doch nicht die Antwort sein. Soll ich jetzt nur noch RomComs gucken? Wir wissen alle, dass die Frauenrollen da oft auch nicht besser geschrieben sind. Ich bin eine Frau und ich gucke gerne Thriller. Bin ich für immer dazu verdammt, mir nur Männer anzugucken, die coole Sachen machen und Frauen, die hübsch aussehen? Ich denke, über diese Diskussion sind wir längst hinaus und ich finde es schade, dass sich das in Nolans aktuellem Film nicht spiegelt. Klar sind Nolans Protagonisten immer männlich. Da habe ich auch kein Problem mit. Aber er hat auch schon mal bessere Frauenrollen geschrieben, zum Beispiel Ariadne (Elliot Page) in Inception. Tenet wäre für mich dann doch besser komplett ohne Frau ausgekommen als mit so einer Damsel.

Ich bin nicht darauf aus, überall das Haar in der Suppe zu suchen. An allen Medieninhalten, die man konsumiert, kann man irgendwas Problematisches finden. Und ich kann auch oft guten Gewissens entscheiden, eben jenen Medieninhalt trotzdem noch gut zu finden. Doch manchmal – und das war bei Tenet der Fall – machen mir solche Aspekte den Spaß kaputt. Ich weigere mich, mich weniger mit Themen wie Feminismus (oder auch Rassismus) zu beschäftigen, nur weil ich dann in glückseliger Ignoranz durch die Welt laufen kann, ohne die Probleme zu sehen. Die Filmemacher sollen bitte einen besseren Job machen.

Liebe Regisseure, liebe Drehbuchschreiber,

Frauen sind nicht nur Mütter.

Frauen sind nicht Handlungsantrieb für einen Mann.

Frauen sind keine hilflosen Wesen, die gerettet werden müssen.

Frauen sind eigenständige Menschen.

Ihr dürft eure Drehbücher gerne dementsprechend schreiben.

Danke für eure Aufmerksamkeit.

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