SPOILERWARNUNG: Ich spoilere hier wichtige Dinge aus allen Staffeln von Dark inklusive des Endes. Wenn ihr Dark noch schauen wollt (was ich euch sehr empfehlen würde), solltet ihr diesen Artikel nicht lesen.
Am 27. Juni 2020 wurde die dritte und finale Staffel der deutschen Netflix-Serie Dark veröffentlicht, passenderweise zu dem Datum, an dem in der Serie die Apokalypse beginnt. Dieses Detail ist ein Beispiel für die vielen Kleinigkeiten, die mich insgesamt beeindruckt zurückgelassen haben; beeindruckt über die Liebe zum Detail, die gut durchdachte Gestaltung und das grandiose Storytelling dieser Serie. Meiner Meinung nach gibt es wenige Serien, deren Narrative so komplex sind, die ein befriedigendes Ende haben und filmisch so gut umgesetzt sind. Das alles macht Dark für mich zu einem Highlight, obwohl ich mich normalerweise gar nicht wirklich als Serien-Junkie identifiziere (gute Filme sind nach wie vor eher mein Ding) und obwohl ich nicht alles an der Serie gut fand.
Wie komplex darf eine Geschichte sein?
Ich verstehe jede Person, die mit Dark nichts anfangen kann. Es ist legitim, wenn man Fernsehen gucken und nebenbei ein bisschen auf sein Handy schauen will, ohne sofort den Faden zu verlieren. Dark ist nicht so eine Serie. Man muss sich anstrengen, man muss der Handlung aufmerksam folgen, sich die Beziehungen der einzelnen Charaktere untereinander merken, was besonders dann schwierig wird, wenn fast jede Person nochmal als eine ältere oder jüngere Version ihrer selbst auftaucht. Dann muss man auch noch den einzelnen Zeitlinien folgen. Auch ich fand das alles manchmal schwierig. Doch die, die sich auf das Storytelling einlassen, werden auf eine Art belohnt, die kaum mit einer anderen Serie zu vergleichen ist. Ich liebe gute Mindfuck-Momente und von denen gibt es in der Serie unzählige. Ich erinnere mich noch an meine what-the-fuck Reaktion, als in der ersten Staffel der erste große Twist revealed wurde: Mikkel ist Jonas Vater. Im Nachhinein kommt einem das wie eine Kleinigkeit vor, doch für mich war es der Moment, der mir klargemacht hat, dass in dieser Serie alles passieren kann. Und es passierte auch irgendwie alles. Ob krude Verwandtschaftsbeziehungen (Elisabeth ist ihre eigene Großmutter?!) oder kaltblütige Verbrechen (Katharina wird von ihrer eigenen Mutter getötet), Dark lässt nichts aus. Für mich hat das zugegebenermaßen dazu geführt, dass ich in Staffel 2 teilweise das Gefühl hatte, die Serie setzt zu sehr auf shock-value, vor allem als im Staffelfinale die Parallelwelt eingeführt wurde. Doch das alles hat sich in Staffel 3 wieder relativiert, als ich merkte, wie durchdacht jede Kleinigkeit in dieser Geschichte ist und wie viel Sinn alles ergibt. Für mich schöpft Dark sein narratives Potenzial vollkommen aus, ohne zu absurd zu wirken und schrammt dabei immer knapp vorbei an der Grenze, an der es zu kompliziert wird (was unter anderem an den tollen gestalterischen Markern liegt, die als Orientierungshilfen dienen).

Zeitreise-Tropes
Zeitreise ist – nett formuliert – nicht gerade meine Lieblingstrope. Natürlich gibt es Geschichten, in denen Zeitreise gut funktioniert und logisch erklärt wird, zum Beispiel in Zurück in die Zukunft. Oft verstricken sich Zeitreise-Geschichten allerdings in Widersprüchen und deshalb bin ich oft abgeschreckt, wenn ich weiß, dass eine Geschichte auf Zeitreise basiert. Dark hat die Trope ideal umgesetzt und ein Maximum an Komplexität herausgeholt, ohne unlogisch zu sein. Am liebsten mochte ich dabei das wiederkehrende Motiv, dass die Charaktere zwar immer und immer wieder versuchen, die Vergangenheit zu ändern, um die Gegenwart besser zu machen, sie damit aber nur dafür sorgen, dass die Dinge so werden, wie sie in der Gegenwart sind. Am tragischsten fand ich da die Geschichte von Ulrich, der in die Vergangenheit reist und versucht Helge, der damals noch ein kleiner Junge ist, zu töten, um ihn am Mord an Ulrichs Bruder zu hindern. Der Mordversuch lässt Helge jedoch körperlich und seelisch schwer verwundet zurück, wodurch er letztendlich zu dem wird, was er 1989 bzw. 2019 ist. Im Gegensatz dazu scheint Adam am Ende von Staffel 3 manche Dinge einfach nur noch zu tun, weil er weiß, dass sie so geschehen müssen. Er tötet seine Mutter Hannah nur, weil er weiß, dass ihre Tochter Silja in der in den 2050er Jahren aufwachsen wird und Hannah dort nicht auftaucht. Es ist ein interessantes Spiel, das der Zeitreise-Trope einen guten Twist gegeben hat: Manche Dinge passieren, weil Charaktere versuchen, sie zu verhindern. Manches passiert, weil Charaktere wissen, dass es so kommen muss, wie es kommt. Aber alles passiert immer so, wie es passieren muss, ohne dass es sich ändern lässt.
Winden und seine Bewohner
Neben der komplexen, gut durchdachten Geschichte ist Dark auch einfach sehr gut gestaltet. Verschiedene Charaktere gibt es in verschiedenem Altersstufen und das Casting ist hier einfach der Wahnsinn. Ich war an mehreren Stellen absolut mind-blown, wie die Schauspieler*innen, die denselben Charakter verkörpern, einander so ähnlich sehen können, ohne verwandt zu sein. Dazu kommt, dass die Charaktere alle wahnsinnig gut ausgearbeitet und interessant sind, vor allem weil man sie meistens in verschiedenen Phasen ihres Lebens kennenlernt. Meine Lieblinge sind Charlotte und Noah. Ulrich und Hannah haben es mir auch angetan, aber nicht unbedingt nur auf eine positive Art.

Die fiktive Kleinstadt Winden, in der sich die gesamte Handlung von Dark abspielt, ist ebenfalls sehr stimmig. Ich bin nicht in einer Kleinstadt aufgewachsen und kann deshalb sicherlich einiges, was das Setting transportiert, nicht nachempfinden. Trotzdem hat Winden als Setting perfekt zur Geschichte von Dark gepasst. Die Kleinstadt wirkt, als gäbe es dort nur eine Handvoll Menschen, die sich alle kennen und die die Stadt nie verlassen, genau wie der Stammbaum aus einer Gruppe von Menschen besteht, die alle irgendwie miteinander verbunden und in diesem gefangen sind, so als wäre Winden der einzige Ort auf der Welt. Wie es sich für eine gute Kleinstadt-Geschichte gehört, sind die Familien und Menschen an ihren Oberflächen freundlich und heil, haben aber alle ihre kleinen oder großen Geheimnisse. Dass es in Winden außerdem immer regnet, unterstützt das Endzeit-Gefühl, das die Serie transportiert.
Auch filmisch hat Dark einiges zu bieten. In Staffel 3 gibt es zum Beispiel Kameraeinstellungen und Dialoge, die denen aus Staffel 1 gleichen (Das Ende ist der Anfang). Dass das komplette Set in der Parallelwelt gespiegelt wird, ist mir zu Beginn gar nicht aufgefallen, doch die Idee finde ich grandios, genau wie die ganzen feinen Unterschiede in der Parallelwelt und die Fragen, die diese Unterschiede aufwerfen (Warum sind die Nielsen-Geschwister so emo? Warum kann Elisabeth sprechen?) und die spannenden parallelen Szenarien (Hannah und Ulrich verheiratet, Ulrich als Polizeichef).
Das Ende: Trivial oder genial?

Eine so komplexe Geschichte zu Ende zu bringen ist schwierig, das wissen wir schon aus vergangenen Serienfinales (looking at you, Game of Thrones!). Auch das Serienfinale von Dark konnte mich nicht zu 100 % überzeugen. Was mich wahrscheinlich am meisten geärgert hat: Ich habe seit Staffel 2 darauf gewartet, zu verstehen, warum der süße Jonas zu dem extremistischen Adam wird, aber die Erkenntnis kam leider nicht so eindeutig, wie ich gehofft habe. Es gab einen recht großen Zeitsprung, in dem Jonas (in mittel-alt) zu Adam wurde, dem gruseligen, vernarbten Mann. Dass Jonas sich in die Erfindung der Zeitmaschine und seinen Plan hereinsteigert und sich dabei radikalisiert, finde ich an sich eine ausreichende Erklärung, die aber nicht gut genug auserzählt wurde.

Kommen wir nun zur Auflösung des großen Rätsels: Es gibt eine dritte Welt (natürlich! Es ist doch immer die drei!), die Ursprungswelt, aus der die beiden Welten, die wir kennen, entstanden sind. Der Grund dafür war Tannhaus, der nach dem Unfalltod seines Sohnes, seiner Schwiegertochter und seiner kleinen Enkelin, versucht hat eine Zeitmaschine zu erfinden, und alles wieder rückgängig zu machen. Man kennt diese Trope: Eine Person löst auf Grund von übermannendem Verlustschmerz (ungewollt) eine Katastrophe aus. Das wirkt im ersten Moment wie eine recht simple Erklärung für so eine komplexe Geschichte. Und doch ist es so logisch, denn Tannhaus war zu jeder Zeit in der Serie irgendwie allgegenwärtig. Er hat zwar keine Hauptrolle eingenommen und doch war er in allen drei Staffeln ein wichtiger Charakter. Ich fand die Erklärung für alles stimmig und auch das bittersüße Ende hat mir gefallen. Eine solche Mammut-Geschichte gut abzuschließen, ist nicht einfach, doch Dark hat es geschafft (zwar keine 100%, aber vielleicht 90). Das liegt sicherlich auch daran, dass die Showrunner, Jantje Friese und Baran bo Odar, die Geschichte von Anfang an fertig im Kopf hatten. Sie liefen also nicht Gefahr, immer weiter und weiter zu erzählen, bis alles irgendwann keinen Sinn mehr ergibt. Dark hatte von Anfang an das Ende im Blick – denn das Ende ist der Anfang und der Anfang ist das Ende.
Copyright Titelbild: Netflix
2 Gedanken zu “„Dark“: Der Anfang ist das Ende”