Ja, ich gebe es zu: Ich bin oldschool und liebe es zu Schreiben – und zwar nicht mit Tasten, sondern mit Stift und Papier. Auf die Frage, was ich auf eine einsame Insel mitnehmen würde, wären diese beiden Gegenstände wohl Teil meines Gepäcks.
Seien es Postkarten aus dem Urlaub, Briefe zu Geburtstagen oder allabendliche Tagebucheinträge: Ich mag es, Dinge handschriftlich festzuhalten. Und natürlich freue ich mich auch immer, wenn ich eine handgeschriebene Karte oder einen Brief aus meinem Briefkasten fische.
Als ich letztens die Karte einer Freundin erhalten habe, dachte ich mir, dass ich mal etwas übers Schreiben schreiben sollte. Denn ich finde: Viele von uns schreiben zu wenig. Waren wir in der Schulzeit noch gut mit Stift und Papier ausgestattet, änderte sich das schnell an der Uni und unsere Texte wurden digital. Handgeschriebenes wirkt fast schon etwas unseriös in offiziellen Institutionen. Oder habt ihr schon einmal ein handschriftliches Essay an der Uni abgegeben oder euch mit einem handgeschriebenen Brief irgendwo beworben?
Handschriftliche Dokumente sind in der heutigen Zeit zu etwas Seltenem, etwas Nicht-Alltäglichem, ja zu etwas mit besonderem Wert geworden. Ich freue mich immer, wenn ich etwas Handgeschriebenes bekomme. Für mich hat eine Postkarte einen großen Wert. Jemand hat den Text für mich geschrieben, sich Zeit dafür genommen, vielleicht auch eine besondere Karte oder ein schönes Papier rausgesucht. Kein Kopieren oder schnelles Tippen einer Kurznachricht. Löschen wie am Handy oder Computer ist nicht möglich. Beim Schreibprozess muss alles passen oder die/der Schreibende muss von vorne anfangen.
Durch die digitalen Medien, so mein Gefühl, ähneln sich die getippten Texte immer mehr. Geburtstagswünsche werden zu Standardfloskeln und gehen irgendwie in der Masse unter. Ich freue mich natürlich trotzdem, wenn an mich gedacht wird – keine Frage – doch bleiben mir die Menschen mehr in Erinnerung, die mir etwas geschrieben haben.
Das einzige, wo die Handschrift nach wie vor eine große Bedeutung hat, ist bei Unterschriften. Meist geht es auch in unserer digitalen Zeit nichts ohne unsere persönliche Signatur auf Arbeits- und Mietverträgen, Uni-Anträgen oder beim Kauf mit der Kreditkarte. Unsere Unterschrift macht uns, fast wie unser Fingerabdruck, einzigartig.
Historischer Entwicklung der Schrift
Wenn ich nun etwas über das Schreiben schreiben will, dann ist es vielleicht nicht schlecht, einen kurzen Blick in die Vergangenheit zu werfen, um zu verstehen, wie wir heute und in Zukunft mit Schrift umgehen.
Das Wort „schreiben“ entlehnt sich aus dem lateinischen „scribere“, das so viel bedeutet wie kratzen. Wir setzen Zeichen in eine Oberfläche. Somit kann das Schreiben als eine Form von Arbeit verstanden werden. Damit wir überhaupt schreiben können, ist es erforderlich, dass wir die (Schrift-)Zeichen normieren und wiederholen. Sie müssen allgemeingültig wiedererkannt werden. Zugleich entstehen aber bei Handschriften individuelle Abwandlungen durch die Schreibenden.
Die Ursprünge des Schreibens liegen in den sakralen Schriftzeichen der alteuropäischen Ackerbaukultur in Südosteuropa. Diese früheste erschienene Schrift stammt von ca. 5300 bis 3500 v.Chr. Leider ging diese bei den indogermanischen Einwanderungen verloren, so dass wir die Sprache(n) dieser Schrift heute nicht kennen.

Eine der berühmtesten alten Schriften sind die ägyptischen Hieroglyphen (griech.: heiliges Ritz- oder Schnitzwerkwerk), die es schon 3000 v. Chr. gab. Sie zeichnen sich durch ihre Bildhaftigkeit aus. Mit den Hieroglyphen wurden Gesetze, Akte, Rituale und Opferstiftungen verewigt. Wir kennen diese Zeichen heute noch so gut, da sie auf festen Trägermaterialien, wie Stein oder Papyrus, geschrieben wurden.
Unsere alphabetische Schrift entwickelte sich aus vorderasiatischen Konsonantenschriften um 800 v. Chr. in Griechenland. Hier wurde auch die Schreibrichtung von links nach rechts festgelegt.
Den größten Schritt der Schrift hin zum Massengebrauch ermöglichte der Buchdruck um 1500. Normiert und gleichmäßig setzten einzelne Letter die Texte von nun an zusammen. Handschriftliches Abschreiben von Vorlagen war damit nicht mehr nötig. Während dies nicht nur Büchern und Texten dazu verhalf für immer mehr Menschen zugänglich zu sein, entstand hiermit auch die Dichotomie von Handschrift (Chirografie) and Druckschrift (Typografie).

(Unsplash MILKOVÍ)
Mit der Industrialisierung wurde der Schreibprozess ab dem 20. Jahrhundert immer weiter automatisiert. Schreibmaschinen entstanden und die Hand beziehungsweise die Finger wurden zum Werkzeug für Buchstabenproduktionsbefehle auf der Tastatur. Mit den Entwicklungen von Computer und Smartphone änderte sich trotz technischer Neuerungen am Schreibprozess eigentlich kaum etwas. Auch heute tippen wir mit unseren Fingern auf Touchpads oder auf Tastaturen und geben Befehle, welche Buchstaben auf der digitalen Oberfläche erscheinen lassen.
Hat Schreiben Zukunft?
Und nun: was wird aus unserer Schrift? Die wohl bekanntesten Gedanken dazu stammen von Vilém Flusser (*1920 in Prag, † 1991). Der Medienphilosoph und Kommunikationswissenschaftler befasste sich schon in den 1980er Jahren mit dem Untergang der Schriftkultur. Eines seiner bekanntesten Werke ist das Essay Die Schrift. Hat Schreiben Zukunft? von 1987.
Schreiben im Sinne einer Aneinanderreihung von Buchstaben und anderen Schriftzeichen scheint kaum oder überhaupt keine Zukunft zu haben.
Vilém Flusser (1987)
Seine These ist, dass die Schrift keine Zukunft hat, da sich diese nicht so gut zur Informationsvermittlung eignet wie andere Codes. Einfacher gesagt: Die Schrift werde bald abgelöst von anderen Medien wie Fotos, Filmen, Videos, oder Diagrammen. Er sieht die neuen Medien dabei als Chance, Informationen bequemer zu erzeugen, zu übertragen, zu empfangen und zu speichern.
Seine Ansichten finden sich auch in anderen wissenschaftlichen Ansätzen, wie den Pictorial Turn nach W. J. T. Mitchell, wieder. Dieser turn beschreibt den Wandel, dass Bilder nun vorrangig das Bewusstsein der Menschen prägen.
Mir fällt dies auch in meiner eigenen Mediennutzung auf: Informationen rezipiere ich schnell durch das Scannen von Bildern und eventuell noch der kurzen Überschriften. Auf Social-Media-Kanälen schaue ich mir meist nur noch die Bilder an und achte kaum auf die Texte. Instagram und YouTube leben nun mal nicht von Prosa oder Lyrik, sondern von bunten, auffallenden (Bewegt-)Bildern.
Auch unsere Textproduktion hat sich durch die digitalen Medien stark gewandelt: Wir schreiben kürzer, nutzen Abkürzungen und ergänzen unser Geschriebenes durch Emojis. Dank Twitter und Co. beschränken wir uns auf wenige Zeichen und vernetzen unsere Inhalte durch Hashtags miteinander. Hinzu kommt, dass wir immer schneller werden. Dies fällt mir vor allem bei der Informationsvermittlung durch Nachrichten auf. Ob dpa, Spiegel oder FAZ: Die Journalist*innen von heute müssen so schnell wie möglich darüber informieren, was in der Welt geschieht. Sind dann Fehler im publizierten Text, ist das meist kein Problem: Mit wenigen Clicks sind diese behoben. Natürlich nur doof, wenn ich als Rezipient*in den Text bereits gelesen habe…
Fazit
Flusser prophezeite in seinem Text von 1987, dass nur noch Historiker*innen und andere Spezialist*innen in Zukunft Schreiben und Lesen lernen müssen – ganz so düster sieht unsere Zukunft glaube ich nicht aus. Doch wir müssen lernen, mit Schreiben und Geschriebenem neu umzugehen. Es sollte nicht darum gehen möglichst schnell oder kurz etwas zu verfassen, sondern uns genauer darüber Gedanken zu machen, was wir ausdrücken wollen.
Schreiben wir mit Stift und Papier, so fällt es mir zumindest, meist etwas schwerer, einen Anfang zu finden, da ich das Geschriebene nicht mehr so einfach löschen kann. Ich mache mir also viel mehr Gedanken über die Worte, die ich aufschreibe. Unsere Handschrift ist unser individuelles Ausdrucksvermögen und sagt sicher mehr über uns aus als gestellte Fotos bei Instagram. Mein Appell an alle Leser*innen, die es bis hier unten geschafft haben: Schnappt euch Stift und Papier, schreibt einem lieben Menschen eine Karte oder einen Brief oder schreibt für euch auf, was ihr heute erlebt habt. Viel Spaß dabei!
Meine Quellen:
Kapitel „Schreiben“ in: Christians, Heiko/Bickenbach, Matthias/Wegmann, Nikolaus: Historisches Wörterbuch des Mediengebrauchs. Köln/Weimar/Wien 2015, S. 482 – 497.
Flusser, Vilém: Die Schrift. Hat Schreiben Zukunft? Göttingen 2002 (5. Auflage).