Welcome to Postfeminism

Eine Rezension von Dear Girlboss, we are done

Es ist wahr! Wir haben unser erstes Buch von einer PR Agentin zugeschickt bekommen und im Folgenden könnt ihr nun lesen, wie Bianca Jankovska und Julia Feller den Feminismus und Kapitalismus dekonstruieren und bestimmte Phänomene der aktuellen Gesellschaft und Online Kultur beleuchten.

In letzter Zeit bin ich öfters auf den Begriff des Postfeminismus gestoßen und beim Lesen von Dear Girlboss, we are done hat der Begriff in meinem Kopf geklingelt. Was bedeutet Postfeminismus als Sensibilität? Welche Phänomene unserer Zeit sind dadurch zu erklären?

Groschenphilosophin

Ich wurde auf das Buch durch die Autorin Bianca Jankovska aufmerksam. Sie arbeitet selbstständig und führt einen Blog auf dem sie Artikel zu verschiedensten Themen, sowie einen Podcast veröffentlicht und sich für diese Arbeit entlohnen lässt – zu recht! Auf Instagram ist sie über das Pseudonym Groschenphilosophin zu finden. Auch dort klärt sie über gesellschaftliche Zusammenhänge auf und scheut sich nicht ihre Meinung zu sagen. Sie berichtet dort von ihren schlechten Erfahrungen mit der Medienlandschaft, auch im Öffentlich Rechtlichen, und warum sie sich gegen einen Job in dieser Welt entschieden hat.

Ich muss gestehen eine leichte Angst, dass sie im nächsten Atemzug mir auf den Schlips treten wird, ist stets vorhanden. Ich, die auch in dieser Medienwelt arbeiten möchte und ich, die auch aus ihren Privilegien heraus spricht. Schnell wird allerdings klar, dass sie ihre Ansichten nicht von oben herab äußert und die Menschen verachtet, die es so tun, sondern, dass sie aus ihren eigenen Erfahrungen gelernt hat und diese weitergeben möchte. Sie betont stets, dass diese Probleme nicht auf individuelles Verhalten zurückzuführen sind. Die Gesellschaft, der Feminismus und viele weitere Bereiche haben ein großes strukturelles Problem. Außerdem ist Kritik ja nicht grundlegend etwas Schlechtes, wenn sie denn konstruktiv ist. Behalten wir das mal im Hinterkopf

aus Dear Girlboss, we are done // Julia Feller

Auf ihrem Instagram Kanal gab sie recht kurzfristig bekannt, dass sie am 11.05.2020 ihr Buch veröffentlichen wird und sich Blogs und weitere Medienunternehmen für Rezensionsexemplare melden könnten. Dies tat ich und here we are! Danke dafür.

Dear Girlboss, we are done!

Nun zum Buch. Bianca Jankovska schrieb die Zeilen und Julia Feller zeichnete anregende Illustrationen dazu. Das Besondere ist, dass kein Verlag an dem Buch beteiligt ist. Die Veröffentlichung fand über die Website BoD statt. So konnten die Autorinnen das Buch frei gestalten und mussten sich an keine Richtlinien und Meinungen von Verlagen halten. Natürlich bedeutet das auch, dass sie keinen Vorschuss bekamen und neben dem Arbeiten am Buch ihren Lebensunterhalt mit anderen Tätigkeiten beschreiten mussten. Beiden war es wichtig, dass sie gleichberechtigte Partnerinnen sind und so Illustrationen und Text im perfekten Einklang sind.

Girlboss ist als Begriff und Hashtag beliebt und durch die gleichnamige Netflix-Serie erlangte auch Sophia Amoruso Bekanntheit. Sie verkaufte Second Hand Kleidung auf ebay und startete damit ein Business. Ihre Erfolgsgeschichte veröffentlichte sie in ihrer Autobiographie „Girlboss“, welches die Vorlage für die gleichnamige Netflix-Serie ist. Jankovska erklärt, wie zynisch und problematisch der Begriff Girlboss ist. Zum einen eröffnet sich die Frage: Kann eine Frau nicht einfach nur Boss sein? Und wenn man dann klarstellen will, dass der Boss weiblich ist, muss man es dann verniedlichen? Ob „girl“ oder Mädchen, beide Worte beinhalten eine Degradierung von einer selbstständigen Frau zu einem braven Mädchen. Auch ich motiviere gerne mit den Worten „Go, girl!“ oder „Yes, girl“ und frage mich, inwiefern es den Begriff reclaimed (oder auch nicht). Tatsache ist jedoch, dass bei der Verwendung von girl oder Mädchen die Situation eine wichtige Rolle spielt. Wenn es sich um eine Führungsposition handelt, ist dieser Begriff definitiv nicht angebracht. Denn die Frauen spielen nicht nur Chefin, sondern haben sich diese Position hart erarbeitet.

Feminismus = Anti-Kapitalismus?

Jankovska kritisiert auch, inwiefern Frauen oft andere Frauen ausnutzen, um selber das Ziel ihrer Träume zu erreichen und das dann alles unter der Flagge des Feminismus. Hört sich nett an und vermarktet sich auch super. Natürlich ist es schön und gut, wenn Frauen in den Chef*innenetagen dieser Gesellschaft gesehen werden, wenn dies aber auf dem Rücken anderer Frauen geschieht, hat es nichts mit Feminismus zu tun. Feminismus beansprucht nämlich nicht nur einer bestimmen Gruppe von Frauen zu dienen, die meist weiß, cis, akademisch und hetero sind (well, what a surprise), sondern allen Frauen (und Männern und Non-Binaries). Kurzer Reminder: Es geht beim Feminismus um die Gleichberechtigung aller und nicht nur einzelner Frauen, die es „geschafft“ haben. Feminismus muss antikapitalistisch sein, damit er alle miteinschließt. Der „Kapitalismus kennt kein Geschlecht“ schreibt Jankovska, denn auch Frauen verfallen im kapitalistischen System automatisch in kapitalistische Verhaltensweisen, die vermeintliche Solidarität verschwindet und der (persönliche) Profit dominiert die Entscheidungsfindung. Natürlich müssen Frauen an für sich keinen höheren moralischen Kompass als Männer haben, aber dann sollen sie das doch bitte nicht unter der Flagge des Feminismus tun und Solidarität vorgaukeln.

aus Dear Girlboss, we are done // Julia Feller

Generell stellt Jankovska die Scheinheiligkeiten im Feminsimus gut dar. Dieser hat ein Repräsentationsproblem und ihm fehlt es an Intersektionalität. Es ist leichter über Body Positivity zu sprechen, wenn man selber Größe 38 trägt. Es fallen wahrscheinlich jeder*m viele Beispiele von Influencer*innen ein, bei denen man sich dachte, ja mit dem Körper wäre ich auch „positive“. Natürlich haben auch Menschen, die dem Schönheitsideal dieses Systems entsprechen mit Selbstzweifeln zu kämpfen, vor allem wenn sie in der Öffentlichkeit stehen. Trotzdem hilft dies ihren Follower*innen nicht und erst recht nicht Menschen, die diesem konstruierten Ideal nicht entsprechen. Die Sinnfluencer*innen und auch viele weitere Sprecher*innen und Repräsentant*innen dieser Gesellschaft entstammen meist einer bestimmten privilegierten Gruppe dieser Gesellschaft und repräsentieren somit nicht alle Belange dieser Gesellschaft.

aus Dear Girlboss, we are done // Julia Feller
Was ist Postfeminsimus?

Es gibt verschieden Beschreibungen von Postfeminismus. Mich interessiert der Postfeminismus als Sensibilität. Ich setzte mich erst seit kurzem mit diesem auseinander und bei Dear Girlboss fragte ich mich: „Ist es das?“ Postfeminismus ist keine Gegenströmung zum Feminismus. Postfeminismus ist auch keine Perspektive oder eine bestimmte Zeit, sondern er ist zu sehen als „sich verbreitende Ideen, Bilder, Meme und sogar als Gefühlsstruktur“, erklärt Rosalinde Gill. Sie beschäftigt sich mit Postfeminismus wissenschaftlich und machte folgende Beobachtungen: Der Köper ist mehr also zuvor das Merkmal von Weiblichkeit und die Quelle der Kraft. Der Körper muss ständig verbessert, überwacht und verändert werden. Die Überwachung findet nicht nur von Männern statt, sondern vor allem auch von Frauen. Alison Winch führte für diese Beobachtung den Begriff Girlfriend Gaze ein.

Dennoch ist es nicht nur der äußere Druck der Frauen zu einer ständigen Selbstoptimierung führt, sondern auch ein innerer. Die ständige Nutzung von Filtern, um ja eine perlenklare Haut zu haben, führt offensichtlich zu einem unrealistischen Schönheitsideal. Wir nutzen außerdem Apps, in die wir alles eingeben und unsere Körper überwachen, ob Sport oder der Menstruationszyklus, alles wird festgehalten und versucht zu optimieren. Aber nicht nur das Äußere wird optimiert, sondern auch das Innere. Der Charakter wird hinterfragt und auch die Gedanken werden optimiert. Gill fragt sich, wenn Selbstbewusstsein das neue Sexy ist, ist Unsicherheit dann hässlich? Frauen erlegen sich scheinbar selber sämtliche Regeln und Zwänge auf, um das Optimum zu erreichen.

Die Positivity Bewegung, die uns hilft immer alles positiv zu sehen, die uns weis macht, dass wir das Lenkrad unseres Schicksals in der Hand halten, verstärkt das Verlangen nach ständiger Verbesserung und die Suche nach Fehlern in uns selber. Ein Kalenderspruch hier, ein*e Sinnfluencer*in dort und wir alle sind die Schmiede unseres Glücks. Praktisch, so bleiben wir immer fröhlich, motiviert und produktiv. Die (für andere) nervigen Emotionen, wie Wut, Angst und Trauer werden somit scheinbar ausgelöscht. Da sollten wir uns einmal fragen: Wer profitiert davon? Und wer wird früher oder später die Konsequenzen daraus ziehen müssen?

Außerdem finde eine Individualisierung von Problemen statt und Objektivismus wird zu Subjektivismus. . Die Verantwortung wird dem Individuum übertragen und die strukturellen Probleme, die wir überwinden müssen oder die uns aufhalten, werden ausgeblendet. Auch im Buch wird dieses Thema aufgenommen. Jankovska erklärt, dass auch Girlboss den Eindruck vermittelt, dass man mit viel Arbeit, Hingabe und dem Glauben an sich selbst alles erreichen kann. Dass bei jeder Erfolgsstory aber auch ein bisschen (oder auch sehr viel) Glück dazu gehört, wie auch gegebene, hilfreiche Strukturen, wird meistens nicht erwähnt.

Wie Jankovska sieht auch Gill, vor allem in den zuletzt vergangen Jahren, einen sehr privilegierten Feminismus, welcher viele Menschen ausschließt.

Fazit

Beim ersten Lesen des Buchs dachte ich mir oft: „Ja, aber“. Je länger ich jedoch darüber nachdachte und es für diesen Artikel erneut in Augenschein nahm, löschte sich das „aber“ aus und jetzt ist es nur noch ein großes „Jaaaa!!“ (Emotionen und Gedanken in Wörter fassen? Kann ich“) Am Ende dachte ich mir nur noch „Willkommen im Postfeminismus“.

Ich muss gestehen, ich bin selber ein absolutes Opfer des Postfeminismus. Ich unterlege mich sämtliche Zwänge, bei denen ich mich selber manchmal frage, warum? Warum muss das Masterstudium so schnell wie möglich abgeschlossen werden? (Den Zeitpunkt habe ich schon lange verpasst, aber der Stress ist trotzdem da) Warum kann ich nicht einen Tag nur auf der Couch liegen, ohne mich schlecht zu fühlen? Warum gehe ich zu Fuß, obwohl ich die U-Bahn nehmen könnte? Manche Verhaltensweisen haben auch gute Gründe, zum Beispiel wenn es um Sport geht, oder Lesen, oder Nachhaltigkeit, aber ist es wirklich alles frei von den Zwängen der Gesellschaft gewählt? Haben wir die Prinzipien des Kapitalismus nicht so tief verinnerlicht, dass wir gar nicht mehr sehen, wie sehr er unser Leben bestimmt?

Dear Girlboss, we are done ist auf jeden Fall eine absolute Empfehlung. Wenn man sich einmal rein gelesen hat, hört man nicht mehr auf darüber nachzudenken. Auch wenn man zu manchen Aussagen eine andere Meinung hat, löst es einen Gedankensprung nach dem Anderen aus. Es ist dennoch nicht zu ernst. Auf Grund der persönlichen Erfahrungen, die Jankovska erläutert und der zynischen Illustrationen von Feller, entsteht ein entspannter Lesefluss und man erkennt sich selbst wieder. Ironischer Weise zeigt das Buch jedoch auch, dass man seine Ziele durch harte Arbeit erreichen kann. Auch wenn die beiden Autorinnen wahrscheinlich von gewissen Strukturen profitiert haben und auch das Glück hatten, sich gegenseitig zu finden. Dies gibt Hoffnung, dass man sich nicht unbedingt dem reinsten Kapitalismus unterwerfen muss, um erfolgreich zu werden.

aus Dear Girlboss, we are done // Julia Feller

PS: @groschenphilosophin und @juliafellerillustration, ich mag das Buch wirklich sehr, aber das fehlende Satzzeichen am Ende des Titels macht mich kirre!

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