Tricksen, Täuschen, Fälschen: Alles Fake News?

Ein Gastbeitrag von Valeska

Fake News sind mehr als falsche Nachrichten. Hinter ihnen verbirgt sich ein breites Spektrum, das nahezu alles zwischen Satire, Manipulation und Betrug einschließt. Damit wir uns im Dschungel der Fakes besser zurechtfinden können, möchte ich euch in diesem Beitrag die Herangehensweise der US-amerikanischen Kommunikationswissenschaftlerin Claire Wardle beschreiben und euch anhand der aktuellen Corona-Berichterstattung zeigen, dass Fake nicht immer gleich Fake ist und wir, würde es nach Wardle, gehen, nicht mehr von den Fake News sprechen sollten. 

In den letzten Jahren hat auch die Medien- und Kommunikationswissenschaft versucht, den Begriff Fake News weiter einzugrenzen und genauer zu definieren. Waren bis 2017 sogenannte Fake News vor allem satirische oder parodistische Beiträge, wandelte sich dies unter anderem mit der Präsidentschaft Donald Trumps. Heute verstehen wir darunter falsche Tatsachen, die vor allem durch soziale und digitale Medien verbreitet werden. Doch ist diese Definition ausreichend? Die US-amerikanische Kommunikationswissenschaftlerin Claire Warlde sagt dazu ganz klar: NEIN

Der Term Fake News ist laut Wardle nicht dazu geeignet, das gesamte Informations-Ökosystem abzubilden. Es handelt sich bei der Nachrichtenverbreitung um ein komplexes Zusammenspiel aus digitalen Kommunikationskanälen, bei denen jede*r von uns nicht nur zu Konsument*innen, sondern auch zu Produzent*innen werden kann. Wardle unterscheidet dabei Fehlinformation (unbeabsichtigtes Verbreiten von falschen Informationen) von Desinformation (absichtliches Erfinden von wissentlich falschen Informationen und deren Verbreitung) und schlägt zusätzlich eine siebenteilige Typologie vor, wie wir diese Informationen weiter voneinander unterscheiden können. Damit dieser Beitrag nicht nur eine reine Wiedergabe von Wardles Theorie ist, möchte ich ihre Definitionen nutzen, um ausgewählte Beispiele aus dem öffentlichen Diskurs und der medialen Berichterstattung zur Corona-Pandemie genauer anzuschauen. 

1. Satire oder Parodie

Diese Inhalte wurden nicht produziert, um Schaden anzurichten, sondern um die Rezipient*innen zu unterhalten. Sie können jedoch trotzdem irreführend sein. 

Als bekannte Beispiele können an dieser Stelle die heute-show oder Der Postillon genannt werden. Sie greifen die im öffentlichen Diskurs diskutierten Dinge auf und verbinden diese mit Humor. Die heute-show sieht den Verkehrsminister Andreas Scheuer weit vorne im Kampf gegen Corona, da er Dinge zumindest gut verschwinden lassen kann wie die Mautdebatte. Der Postillon titelt: „WHO bestätigt: Döner mit Knoblauchsoße und extra Zwiebeln schützt vor Corona-Ansteckung“. 

2. False Connection (falsche Verknüpfung)

Überschriften, Bilder und Bildunterschriften stimmen nicht mit dem Inhalt überein und vermitteln damit ein verzerrte Informationen.

Oftmals nutzen Boulevardmedien dies, um Klicks auf ihren Websites zu generieren. Das Onlineportal Der Westen der Funkemediengruppe titelt etwa: „Coronavirus-Schock bei Sebastian Vettel! Der Ferrari-Star hat…“  Was er hat, finden Leser*innen im Artikel nicht heraus. 

Doch auch bei seriösen Informationsvermittlern wie der tagesschau finden wir solche falschen VerknüpfungenDa es Fernsehnahrichten oft an genügend Bildmaterial mangelt, nutzen sie Aufnahmen, die sie bereits in ihrer Datenbank haben. Dadurch werden neue Informationen mit Archivmaterial falsch in Verbindung gebracht beispielsweise in der Sendung vom 28. Februar 2020.  Folgendes Bild wurde verwendet, um die offizielle Reisewarnung für die chinesische Provinz Hubei zu melden. (00:04:59)


Zu sehen sind asiatisch aussehende Menschen mit Mundschutz. Aufgrund der starken Einschränkungen des öffentlichen Lebens in Hubei (und somit auch den Möglichkeiten, ein Solches zu filmen) ist es gut möglich, dass das Bild ein Archivbild darstellt. Solche Verknüpfungen suggerierten den Rezipient*innen wohl, dass jeder einen Mundschutz tragen sollte, um sich vor einer Ansteckung zu schützen. Doch aus unserem Wissen über die Welt müsste uns bewusst sein, dass Menschen in großen asiatischen Städten größtenteils Mundschutze tragen, um sich vor Feinstaub, Bakterien und Viren zu schützen. Rezipient*innen können dies aber durch solche Berichte missverstehen.

3. Misleading Content (irreführender Inhalt)

Informationen werden irreführend genutzt, um einer Person oder einem Thema etwas anzuhängen.

Im Falle der Corona-Pandemie lässt sich hier das Interview des YouTube-Kanals Punkt.PRERADOVIC mit Dr. Wolfgang Wodarg nennen. Im Video „Corona – kein Grund zur Panik? Seuchen-Experte: Das ist ein ganz normaler Winter.“ widerspricht er der gängigen wissenschaftlichen Auffassung und behauptet, dass das Virus nur durch neue Testverfahren entdeckte wurde und die Maßnahmen der Regierung sowie die Berichterstattung übertrieben seien. Faktenchecks wie die des SWRs können seinen irreführenden Behauptungen entgegenwirken und zeigen damit, dass seine Thesen wissenschaftlich nicht fundiert sind. 

4. False Context (falscher Kontext)

Hierbei werden authentische Inhalte nicht richtig kontextualisiert und mit falschen Informationen in Zusammenhang gebracht. 

Der Gründer von Pegida, Lutz Bachmann, postete auf seiner Facebook-Seite Folgendes:

Die nach seinen Aussagen authentischen Bilder wurden zusätzlich grafisch mit orangefarbigen Einkreisungen bearbeitet. Bachmann schlussfolgert, dass es das Coronavirus schon lange gebe und es sich hier nur um ein mediales Ablenkungsmanöver handle. Auch wenn die Bilder dies suggerieren, so stimmt das nicht. Die Familie der Coronaviren ist zwar bereits seit den 1960er Jahren wissenschaftlich bekannt, doch handelt es sich bei SARS-CoV-2 um ein neuartiges Virus, was beispielsweise nichts mit dem 2002 aufgetretenen SARS-CoV zu tun hat, welches laut Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung (HZI)  nahezu 1000 Todesopfer forderte. 

5. Imposter Content (betrügerische Inhalte)

Diese Quellen geben nur vor, authentisch zu sein, sind es aber nicht. Sie ähneln in ihrer Aufmachung den gängigen Print- und Onlinemedien.

Als Beispiele können an dieser Stelle Websites wie PI-NewsCOMPACT MagazinRT Deutsch oder Die freie Welt genannt werden. Ihre Artikel sind fremdenfeindlich, rassistisch und widersprechen gängigen wissenschaftlichen Auffassungen.

So nutzt Die freie Welt die Corona-Pandemie, um Migrant*innen und Geflüchtete zu diffamieren und titelt: „Migranten missachten Kontaktsperren oder Geschäftsschließungen.“ Das COMPACT Magazin schreibt: „Sie kommen: Die neue Asylflut im Schatten von Corona.“

Optisch auffallend ist vor allem bei PI-News, dass die Homepage in ihrer Aufmachung mit einer fetten schwarzen Schrift und roten Elementen stark der BILD-Website ähnelt. PI-News nutzt rechtspopulistische Parolen und unterstellt der Politik schlechte Arbeit: „Einreise von Asylanten trotz Corona – lügt das Bundesinnenministerium?“  oder spielt mit der Angst der Bürger*innen: „Wann gibt es endlich Masken, Frau Merkel?“.

6. Manipulated Content (manipulierte Inhalte)

Authentische Inhalte oder Bilder wurden mit der Absicht zu täuschen bearbeitet und verbreitet.

Gerade bei Bildern, denen hohe Authentizität zugesprochen wird, ist es schwierig Manipulationen festzustellen. Dabei genügt meist nicht nur ein geschultes Auge, sondern das Originalbild wird benötigt, um dieses mit der bearbeiteten Version zu vergleichen.

Auf Facebook verbreitete sich zu Beginn der Corona-Pandemie die Meldung, dass die Serie The Simpsons das Coronavirus bereits in einer Folge von 1993 vorausgesagt habe. 

Schaut man sich die Folge „Marge in Chains“ (Staffel 4, Folge 21) jedoch im Original an, wird deutlich, dass es den Ausschnitt des Nachrichtensprechers so nicht gab. Das vierte Bild der Collage stammt aus der Folge, „The Fool Monty“ (Staffel 22, Folge 6, 00:00:29) und wurde nachträglich mit dem Schriftzug Coronavirus ergänzt. Im Original lautete die Schrift allerdings: „APOCALYPSE MEOW“, die in dem bearbeiteten Bild noch zu erkennen ist.

Auch bei diesem Foto handelt es sich um ein manipuliertes Bild:

Die Manipulation lässt sich nur dann erkennen, wenn man weiß, dass sich normalerweise auf US-amerikanischen Kesselwagen an dieser Stelle keine Beschriftungen befinden. Zoomt man näher an das Bild heran, so ist deutlich zu erkennen, dass sich der Hintergrund des COVID-Schriftzuges deutlich vom Rest des Tanks unterscheidet. Außerdem passt die Schrift perspektivisch nicht zum Rest des Kesselwagens. Sie wirkt zweidimensional und müsste sich eigentlich in Richtung des Fluchtpunktes verkleinern. 

7. Fabricated Content (erfundene Inhalte)

Wenn Inhalte bewusst mit der Absicht zu täuschen erstellt werden, die jedoch zu 100 Prozent falsch sind, dann spricht Wardle von Fabricated Content.

Mitte März wurde auf verschiedenen sozialen Netzwergen behauptet, dass FOCUS Online Folgendes berichtet:

Dieser angebliche FOCUS-Artikel ist allerdings komplett gefälscht und erschien so nie auf der Website. Kritisch sollten die Leser vor allem bei den Rechtschreibfehlern wie „maßnahmen“ oder falschen Bezeichnungen wie „Ladenzeiten“ anstelle von Öffnungszeiten werden.

Fazit: Fake News sind nicht gleich Fake News

Auch wenn sich viele Inhalte nicht immer eindeutig in die verschiedenen Kategorien zuordnen lassen und Überschneidungen bestehen, so finde ich, dass uns Wardle gute Anhaltspunkte für eine tiefgründigere Analyse gibt. Lasst uns nicht mehr pauschal von Fake News sprechen, sondern uns die Überschriften, Texte und Bilder genauer anschauen, damit wir besser verstehen, wie und warum getäuscht, getrickst und gefälscht wurde. Gerade bei Themen wie dem Coronavirus, das jeden in der Gesellschaft betrifft, entsteht eine Vielzahl an Fehl- und Desinformation. Damit wir Wahrheit und Unwahrheit beziehungsweise Unwahrhaftigkeit voneinander unterscheiden können, lohnt sich ein zweiter genauerer Blick auf die Dinge und ein bewusstes kritisches Denken.


Wenn du zu diesem Thema noch mehr wissen möchtest, empfehle ich dir folgende Beiträge:

Claire Wardle (2017): „Fake news. It’s complicated.“ 

Faktenchecks zu verschiedenen Fehl- und Desinformationen finden sich unter anderem im dpa-Pressesportal.


Titelbild: pixel2013, Pixabay

Ein Gedanke zu “Tricksen, Täuschen, Fälschen: Alles Fake News?

  1. Finde ich einen total interessanten Artikel! Werde ab jetzt „Fake News“ ganz anders betrachten können. Und damit wachsam und differenziert umzugehen, halte ich für enorm wichtig.

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