„Queere Themen werden in den Medien nur am Rand wahrgenommen“

Mirko von schwanz & ehrlich spricht über Podcasts, schwulen Sex und Gesellschaft

„Warum redet eigentlich nie einer offen und ehrlich über schwulen Sex?“ Dieser und weiteren Fragen gehen Mirko Plengemeyer, Micha Overdick und Lars Tönsfeuerborn in ihrem Podcast schwanz & ehrlich nach. Seit September 2018 sprechen die drei Männer meistens wöchentlich über schwulen Sex, schwule Liebe und schwules Leben. Damit kommen sie offenbar gut an, denn mit knapp 25.000 Downloads pro Folge gehört schwanz & ehrlich inzwischen zu einem der erfolgreichsten Podcasts Deutschlands. Und hinter schwanz & ehrlich steht kein großes Team, sondern nur die drei Männer: Mirko ist der kreative Kopf der Gruppe, Lars übernimmt die Administration und Micha ist für Merch und Social Media zuständig. Sie sprechen über alles, was sie bewegt, und das sind eben meistens queere Themen. Das YouTube-Format Kreuzverhör ist neben dem Podcast das zweite Hauptformat von Mirko, Lars und Micha. Hier laden sie Gäste ein, um sie mit zufälligen Fragekarten zu interviewen.

Ivy Haase im Kreuzverhör

Ich habe Mirko Plengemeyer zum Interview getroffen – wegen der aktuellen Situation leider nur über Skype – und ihm ein paar Fragen zu seinem Podcast gestellt.

Interview in der #stayhome-edition
Edit: Mirko Plengemeyer

Populärkollektiv: Wie seid ihr dazu gekommen, den Podcast zu machen?

Mirko: Lars und Micha habe sich in der Fitnessstudiodusche kennengelernt. Micha ist dafür bekannt, im Fitnessstudio nicht wirklich Sport zu machen, sondern eher Männer aufzureißen. Das hat er auch bei Lars versucht. Geklappt hat das zwar nicht, aber Lars hatte dann irgendwie die Idee mit dem Podcast. Es gibt in Deutschland viele heterosexuelle Sexpodcasts und er hat sich gefragt: Warum gibt’s das eigentlich nicht für schwule Männer? Micha hat direkt zugestimmt und ich bin durch eine gemeinsame Freundin dazu gekommen. Bei der ersten Folge kannten wir uns geschlagene zweieinhalb Wochen. Es war ein bisschen wie Liebe auf den ersten Blick, man hatte Kribbeln im Bauch und wir fanden uns alle ganz toll. Wir hatten aber noch nie was miteinander (lacht).

Populärkollektiv: Was machst du sonst, wenn du nicht gerade Podcaster bist und wie kannst du deine beruflichen Kompetenzen in den Podcast einbringen?

Mirko: Ich bin Videoproducer in einer kleinen Firma in Köln. Ich habe Medienwissenschaft studiert, habe das aber nie abgeschlossen, weil ich das praktische Arbeiten einfach viel besser kann als das wissenschaftliche Arbeiten. In der Firma habe ich viel über Videoschnitt, Videokomposition und Animation gelernt, was ich natürlich in die Podcastarbeit einbringen kann. Auf der anderen Seite habe ich durch den Podcast viel über Live-Streaming gelernt und das bringe ich jetzt zurück in die Firma. Es ist also ein Geben und Nehmen von Möglichkeiten.

Populärkollektiv: Siehst du euch als professionell an?

Mirko: Nein (lacht). Aber ich glaube das ist immer so, wenn man etwas selbst macht. Vielleicht ist es aber auch einfach nur mein Problem. Nichts von dem, was ich mache, empfinde ich als professionell, weil ich nichts davon gelernt habe. Ich glaube, das ist sehr Alman-mäßig. Ich denke aber schon, dass wir nach außen ein stimmiges Gesamtbild ergeben. Das ist zwar nicht immer perfekt und das muss es auch nicht sein. Aber ich glaube, dass wir als einheitliche Marke auftreten.

Populärkollektiv: Wo siehst du euch in der deutschen Medienlandschaft positioniert? Mainstream oder Nische?

Mirko: Podcasts würde ich generell als Nischenthema einstufen. Das wird zwar immer größer, ist aber trotzdem immer noch ein belächeltes Feld. Innerhalb der Podcastbranche selbst glaube ich, dass wir schon im Mainstream angekommen sind. Wir waren zum Beispiel beim „Auf die Ohren“-Festival, einem der größten Podcast-Festivals in Deutschland. In der gesamten Medienlandschaft werden schwule, lesbische und queere Formate allerdings immer noch nur am Rande wahrgenommen. Aber ich kann mir vorstellen, dass solche Themen in Zukunft in den Mainstream gespült werden können. Um mich herum gibt es immer mehr Formate, in denen Queerness plötzlich ein Thema werden soll, und das freut mich natürlich.

Populärkollektiv: Wieso habt ihr euch entschieden, auch Gäste in euren Podcast einzuladen?

Mirko: Es gibt super viele interessante Menschen da draußen. Ich bin der Meinung, dass jeder Mensch eine Geschichte zu erzählen hat. Für uns ist aber auch klar: Wir können nicht über Transidentität sprechen, denn wir sind alle nicht trans. Wir können nicht unbedingt über Puppy-Play sprechen, weil wir nicht in dieser Puppy-Szene sind. Da ist es wichtig, die Protagonisten dieser Themen selbst sprechen zu lassen.

Populärkollektiv: Wie setzt sich eure Zuhörerschaft zusammen?

Mirko: Bis Prince Charming, der schwulen Dating-Show von TVNOW, bei der Lars Kandidat und schließlich auch Gewinner war, haben uns zu 90 % schwule Männer und zu 10 % lesbische und heterosexuelle Frauen gehört. Seit Prince Charming ist unsere weibliche Hörerschaft um das drei- oder vierfache gewachsen. Das wissen wir, weil uns viele Leute schreiben und aufgrund unserer Statistiken auf Instagram oder Spotify. Es gibt jetzt sehr viele heterosexuelle Frauen, die es interessiert, wie wir Sex haben, die sich aber zum Beispiel auch Tipps holen, wie man den Mann mit einem Blow-Job befriedigt oder die Analverkehr ausprobieren möchten. Und dann gibt’s Leute, die sich mit uns solidarisieren und einfach Bock haben, dass queerer Content auch in den Mainstreammedien stattfindet.

Populärkollektiv: Wie sind die Themen, über die ihr sprecht, in der Gesellschaft konnotiert?

Mirko: Wir haben unsere Hörer mal gefragt, ob sie uns als Guilty-Pleasure empfinden. Und das war tatsächlich bei 70 % der Leute der Fall. Ich denke, das hat etwas mit der Tabuisierung von Sex zu tun. Da ist schwuler Sex nochmal eine Unterkategorie von Sex. Wann redet man schon mal in der Öffentlichkeit über schwulen Sex?

Populärkolletiv: Denkst du, das liegt auch an der fehlenden Repräsentation in den Medien?

Mirko: Ja, natürlich. Ein gutes Beispiel ist der Film Call me by Your Name. Diese Art der Darstellung von Sexualität gab es für uns Schwule nie. Es ist wahrscheinlich schwierig, sich das vorzustellen, wenn man heterosexuell ist, denn es gibt überall heterosexuelle Liebe. Homosexuelle Liebe und vor allem Sex in einem Film zu sehen ist für uns unfassbar ungewöhnlich. Und wenn das für uns schon ungewöhnlich ist, über solche Themen wie schwulen Sex zu reden, ist es das für die Gesellschaft natürlich erst recht. Sex ist ein Tabu und schwuler Sex ist ein doppeltes Tabu. Deshalb glaube ich schon, dass die Themen, über die wir sprechen, negativ konnotiert sind. Aber wir machen das nicht für die heterosexuellen Menschen, die neugierig sind, zu erfahren, was wir so machen, sondern wir machen das weiter für uns, denn wir wollen ein gutes Gefühl haben bei dem, was wir machen.

Populärkollektiv: Was wollt ihr mit eurem Podcast porträtieren?

Mirko: In der Medienwelt ist es auch immer wichtig, eine Bezugsperson zu schaffen, mit der sich die Menschen identifizieren. Das war immer schon der wichtigste Baustein von schwanz & ehrlich. Uns ging es immer darum, den Leuten einen Bezug zu schwuler Sexualität zu geben, der nichts mit HIV, Aids, Kondomen oder irgendeinem anderen aufklärerischen Faktor zu tun hatte, weil das bei uns immer so omnipräsent ist: schwuler Sex ist gefährlich und wenn du ohne Kondom Sex hast, kriegst du HIV. Unser Anliegen war erstmal nur, darüber zu reden und vielleicht ein bisschen die Barriere abzubauen, dass schwuler Sex nicht nur gefährlich ist, sondern auch etwas ganz Lustiges, Verrücktes oder Schönes sein kann.

Populärkollektiv: Wie war es für dich am Anfang, über so private Dinge zu sprechen und hat sich das mit der Zeit geändert?

Mirko: Ganz am Anfang habe ich gar nicht über mein Sexleben geredet, weil ich mehr die moderierende Rolle eingenommen habe. Ich hatte ein bisschen Angst, das gebe ich ganz offen zu. Ich wusste nicht, wie meine Mama, meine Geschwister oder mein Chef darauf reagieren. Irgendwann habe ich aber gemerkt, dass meine Rolle dem Podcast nicht hilft, weil sich niemand mit mir identifizieren kann. Und ich kann nicht in meinem Podcast predigen, dass die Leute offener über Sex reden sollen und dann selbst nicht darüber reden. Deshalb war mir nach ein paar Wochen klar, dass ich da auch drüber reden muss und will. Und dann habe ich das gemacht und gemerkt: Es tut gar nicht weh. Und es hatte genau den Effekt, den ich mir gewünscht habe. Leute haben gesagt, was ich gesagt habe, hat ihnen geholfen, weil sie sich ähnlich fühlen wie ich. Und wenn ich damit nur zwei Leuten geholfen habe, ist das schon viel wert.

Populärkollektiv: Wie siehst du das Medium Podcast? Was bietet es für neue Möglichkeiten?

Mirko:  Mit Podcasts kann man Sexualität mehr in den Vordergrund stellen. Es gibt keine andere Plattform, auf der man Sexualität so gut erzählen und erklären kann, weil das sonst durch die Kanäle, wie zum Beispiel YouTube oder Facebook, verboten ist oder eingeschränkt wird. Deshalb sind Podcasts für dieses Thema eine einmalige Chance. Unabhängig von der Thematik denke ich, dass man immer mehr Podcast-Experimente sehen wird. Man kann zu jeder kleinsten Nische einen Podcast machen und es kann erfolgreich werden. Wir sind eine Nische – dachte ich – und sind trotzdem zu einem der größten Podcasts in Deutschland aufgestiegen.

Populärkollektiv: Wo wollt ihr mit eurem Podcast hin?

Mirko: Meine Wunschvorstellung wäre es, mit dem Podcast so viel Geld zu verdienen, dass wir unsere normalen Jobs ein bisschen runterfahren können, damit wir wieder mehr Sozialleben haben. Ich glaube die Jungs wollen gerne in den Dschungel. Und ich sage jetzt auch nichts gegen den Grimme-Preis (lacht). Aber ansonsten gibt es kein bestimmtes Ziel für uns.

Populärkollektiv: Welche Medien inspirieren euch?

Mirko: Bei mir ist es ganz klar Jan Böhmermann. Ich liebe es, wie er sein eigenes Medium oft bricht. Ansonsten Marshall McLuhan. Ich finde es immer interessant, wenn das Medium sich selbst nicht so ernst nimmt, also wenn man es ad absurdum führt. Ich mag es, wenn man überrascht werden kann. Optisch bin ich ein riesiger Fan der Bild- und Tonfabrik. Ich liebe es, wenn man so durchdacht Dinge schön macht und daran versuche ich mich zu orientieren. Bei Lars ist es der Sexpodcast Besser als Sex. Micha ist ehrlicherweise seine eigene Inspiration. Ich glaube, wenn es gesellschaftlich akzeptiert wäre, würde er sich den ganzen Tag selbst im Spiegel anhimmeln.

Von links nach rechts: Lars, Mirko und Micha
Copyright: PTO Media

Copyright Titelbild: PTO Media

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