„Die PARTEI“: Satire im EU-Parlament

Als „Politclown“ bekannt durch die Titanic und „heute Show“ bringt Martin Sonneborn durch seine ironischen Sprüche und nüchterne Art zu sprechen viele zum Lachen. Oftmals übertreibt er dabei und erhält Shitstorms. Sympathie erhält er hingegen von seinen größtenteils jungen Wähler*innen, weil er anders ist als die Politiker*innen der großen Parteien wie CDU oder SPD und weil er die Politik mit Satire kritisiert. Jetzt hat er ein Buch über seine Zeit im Parlament veröffentlicht.

„Kaputt machen kann ich Europa damit nicht“ (S. 41)

Wer Martin Sonneborn in seiner ersten Zeit im Parlament über die sozialen Netzwerke wie Twitter gefolgt ist, weiß, dass er sich im Parlament als fraktionsloser Abgeordneter zunächst etwas unbeholfen zwischen FPÖ, Front National, NPD und AfD zurechtfinden musste. Weil seine Sitznachbar*innen ihm offensichtlich peinlich waren, fing er an, sich bei Fotos oder Videoaufnahmen zu bücken. Erinnert etwas an die Zeit, in der man auf Klassenfotos nicht neben den Lehrer*innen stehen wollte, oder?
Seine zukünftige Aufgabe bei den Abstimmungen im Saal lernte er schnell, es gibt ja auch nur drei Möglichkeiten: „JA, NEIN, oder SCHEISSEGAL“ (S. 40). Da die großen Parteien „Europäische Volkspartei“ (EVP) und die „Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten“ (S & D) mit ihrer Mehrheit sowieso viele der Abstimmungen ohne die kleinen Parteien bzw. Fraktionslosen bestimmen, nimmt Sonneborn die Abstimmungen zum Anlass, seine geringe politische Macht zu demonstrieren, und wählt immer abwechselnd Ja und Nein. Das Thema ist dabei irrelevant, da geht es einmal um Ebola, einmal um den Israel-Palästina-Konflikt und ein anderes mal um die Gastronomie in Spanien. Auch wenn seine Stimme nicht das Abstimmungsergebnis beeinflusst, bei einigen Themen ist diese Strategie sicherlich fragwürdig.

FRAG EINEN EUROPAABGEORDNETEN | Martin Sonneborn über Axel Voss, Silvio Berlusconi und die AfD
Quelle: Hyperbole

„Was die AfD kann, können wir schon lange“ (S. 85)

Könnt ihr euch noch an den Gold-Verkauf der AfD erinnern? Um die Partei-Einnahmen zu erhöhen, kamen sie auf die Idee, über ihre Webseite Gold zu verkaufen. Nach ein paar Tagen hatten sie dadurch 1.6 Millionen Euro gemacht. Weil die Gesetze der Parteienfinanzierung sagen, dass nur die Einnahmen berücksichtigt werden, nicht aber die Ausgaben, die ihnen erstattet wurden, war das gar nicht mal so schwer. Klingt absurd? Ist es auch. Das dachte sich auch die Partei „Die PARTEI“ und startete parallel ebenfalls ein Verkauf. Sie fragte sich kurz: Womit kann jede*r was anfangen? Geld, echtes Geld. Kaufte jetzt ein*e Wähler*in für 100-Euro (Plus Versand) bei der Partei einen 100 Euro Schein, konnte die Partei sich ihre Ausgaben erstatten lassen und bekam die gleiche Summe aus der Parteienfinanzierung obendrauf.
Wieso ich diese Aktion so genau beschreibe? Aus demselben Grund, aus dem es wahrscheinlich auch Sonneborn tat. Sie zeigt, wie vollkommen abwegig manche alten Gesetze im EU-Parlament sind und worin Sonneborn seine Berechtigung im Parlament findet: In der Offenlegung der Missstände und der Absurdität. Für Aktionen wie diese wird Die PARTEI gefeiert. „Fairer Preis, prompte Lieferung, jederzeit wieder“ (S. 88) schreibt einer der Geld-Käufer.

Sonneborn schafft sich seine Publikum selbst

Sonneborn nutzt gerne die sozialen Netzwerke, um über das Geschehen im Parlament zu berichten. Dabei macht er sich des Öfteren unbeliebt bei seinen Kollegen. Als er in der Pause im EU-Parlament ein Foto von dem Schreibtisch von Udo Voigt (NPD) macht, auf dem eine Zeitung ausgebreitet ist mit dem Artikel „Hakenkreuze auf der Schulbank“, und es online stellt, ist dieser ziemlich sauer. In seinem Buch fragt sich Sonneborn nur amüsiert, ob er Martin Schulz bitten soll, sie auseinanderzusetzen. Situationen wie diese zeigen, dass Sonneborn seine Kolleg*innen im Parlament gerne mal verärgert und seine Arbeit schnell auf die leichte Schulter nimmt, wie man es nicht anders von einem Satiriker erwartet.

Quelle: Martin Sonneborn/Twitter 14.04.2020

Satiriker oder Politiker?

Wie viel Redezeit Politiker*innen im EU-Parlament bekommen, bestimmen sie nicht selbst. Als Sonneborn mal wieder keine Rede vor dem Parlament halten darf, sucht er sich sein Publikum vor der Parlamentskamera. Er startet mit einer ironischen Beglückwünschung zum unauffällig vollzogenen Beschluss, dass nun zum ersten Mal im EU-Haushalt mehr Geld in Entwicklung von Waffen, Grenzsicherung und Aufrüstung gesteckt wird als in Entwicklungshilfe (S. 411). Trotz der Satire stecken in diesen Worten Wut und Enttäuschung über das Handeln der großen Parteien. Aber statt bei der Kritik zu bleiben, endet seine Rede mit einem Scherz zu der zukünftigen PARTEI-Mitglieder-Aufstellung: Sonneborn, Semsrott, Bombe, Krieg… Wobei letztere natürlich nicht ernstzunehmen sind. Immer wieder stellt man sich deswegen zurecht die Frage: Ist Sonneborn nun ein Politiker, weil er gewählt wurde und im Parlament sitzt, oder nimmt er seinen Platz im EU-Parlament dafür nicht ernst genug?

Dies war nur ein kurzer Einblick in die Zeit Sonneborns im Parlament. Denjenigen, die jetzt neugierig geworden sind auf den unkonventionellen Politiker, der das Parlament erstmal kennen lernen musste, um seine eigene Funktion darin zu finden, denen empfehle ich das etwas andere Politiker-Buch „Herr Sonneborn geht nach Brüssel. Abenteuer im Europaparlament“. Auch mit kritischem Auge kann man auf diesen Seiten etwas zum Schmunzeln finden.

Beitragsbild: Franziska Venjakob

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