Kennt ihr das, wenn ihr eine Serie sehr, sehr gerne schaut und euch die letzte oder die letzten paar Folgen aufspart, weil ihr einfach nicht wollt, dass es vorbei ist? So erging es mir mit Crazy Ex-Girlfriend. Die Serie ist vermutlich bei den meisten eher nicht auf dem Radar gewesen, was schade ist. Denn hier werden kontroverse und nicht ganz so populäre Themen auf einzigartige Weise angegangen.
Crazy Ex-Girlfriend (oder CXG) hatte sehr schlechte Einschaltquoten und ist eine der wenigen Serien des US-amerikanischen Senders The CW, die trotzdem 4 Staffeln bekam. Eben jene vierte Staffel ist seit ein paar Wochen endlich, endlich bei Netflix verfügbar. Von der Kritik gab es seit Staffel eins viel Lob, Serienschöpferin und Hauptdarstellerin Rachel Bloom (vorher bekannt durch ihren viralen YouTube-Hit „Fuck Me, Ray Bradbury“) gewann 2016 den Golden Globe als beste Darstellerin und die Fanbase ist sehr loyal. Das mit den Einschaltquoten kann ich nicht erklären (aber das kann ich auch umgekehrt nicht für diverse Fernsehformate mit hohen Einschaltquoten), aber für die positive Resonanz möchte ich nun einige Argumente liefern. Und dafür plädieren, dass sich Produzent*innen mal eine Scheibe davon abschneiden sollten.
*Kleiner Spoiler Alert* Da es mir im Folgenden vorallem auch darum geht, welche Themen die Serie sich traut auf gute Weise anzupacken, sind geringfügige Spoiler unvermeidbar (keine Sorge, das Ende verrate ich sicher nicht).
Worum geht’s eigentlich?
Titelmelodie der ersten Staffel: „I was working hard in a New York job, making dough but it made me blue. One day I was crying a lot, so I decided to move to West Covina, California, brand new pals and new career. It happens to be where Josh lives but that’s not why I’m here.”
Ja, genau darum geht’s. Rebecca Bunch, angehende Spitzenanwältin aus New York, lässt ihre lukrative Beförderung sausen und zieht ihrer Jugendliebe aus dem Sommercamp, den sie zufällig auf der Straße getroffen hat, in eine Kleinstadt in Kalifornien hinterher. Und weil eine Butterwerbung sie gefragt hat, wann sie denn das letzte Mal so richtig glücklich war. Das ist die Essenz: Rebecca will endlich glücklich sein und Josh scheint der Schlüssel dafür. Dass Josh eine Freundin hat, sein bester Freund dafür sich in Rebecca verliebt und ihre neue beste Freundin wiederum ihr eigenes Leben so furchtbar findet, dass sie sich komplett Rebeccas Liebesleben verschreibt, sind nur einige der Herausforderungen, die auftauchen. Das klingt jetzt ungefähr nach 0815-romantischer Komödie oder Soap, aber genau das soll es doch auch. Und jetzt bitte den Feminismus einschalten. Rebecca ist ein Autounfall, bei dem man nicht wegschauen kann. Und für jemanden wie mich, die sehr anfällig für Fremdscham ist, ist das echt nicht einfach. Warum sollte man es trotzdem machen?
Musical Dramedy
Zunächst muss einfach das Format der Serie erwähnt werden. Crazy Ex-Girlfriend ist laut offizieller Klassifizierung eine Musical Dramedy. Ja, das heißt, es wird gesungen. Mir ist bewusst, dass das nicht für jede*n was ist. Aber bevor ihr es deswegen direkt von vornerein ausschließt, lasst euch gesagt sein, wie absolut genial die Songs sind. Der Großteil der Songs sind Parodien auf Genres, Künstler und besonders auch Tropen, die uns in Serien, Filmen, Musik und Musicals begegnen. Ich meine, wie kann man eine Version eines Ed Sheeran Songs namens „Let’s Have Intercourse“, ein ehrliches Lied über den Aufwand von Frauen sich zurechtzumachen, „The Sexy Getting Ready Song“, nach dem ein Rapper sich erstmal bei einigen „Bitches“ entschuldigen geht, oder eine Karikatur von La La Land über Antidepressiva nicht lieben? Letztere hat übrigens 2019 ebenfalls einen Emmy für Outstanding Original Music and Lyrics gewonnen.
Ich könnte nicht sagen, welches mein Lieblingslied ist und wenn ich die vielen Lyrics, die ich famos finde, hier zitieren würde, dann bräuchte ich vermutlich noch drei weitere Beiträge. Natürlich gefällt auch mir nicht jedes Lied, aber trotzdem möchte ich dem Songschreiberteam bestehend aus Rachel Bloom, Adam Schlesinger und Jack Dolgen hiermit Genialität attestieren (Adam Schlesinger ist leider vor kurzem am Coronavirus verstorben). Allerdings wären auch die schönsten Songs nicht viel wert, wenn sie nicht auch jemand gut singen würde. Dementsprechend hat der Großteil des Cast Broadway-Erfahrung, es sei nur Santino Fontana alias Prinz Hans aus Disneys Frozen genannt. Passenderweise heißt das Konzertspecial, das ebenfalls auf Netflix verfügbar ist, „Yes, it’s really us singing“. Seid allerdings gewarnt, nicht alle Songs eignen sich so gut, um sie als Ohrwurm dann in der Öffentlichkeit zu singen.
Noch kurz zum zweiten Teil der Genrebezeichnung: Dramedy. Das ist schnell erklärt: Die Serie ist sowohl Komödie als auch Drama. Es gibt lustige und es gibt sehr ernste Szenen und Themen. Und genau diese Verbindung schafft Crazy Ex-Girlfriend meisterhaft und in der Form wie kaum eine andere Serie.
Tabubruch?
Im amerikanischen Fernsehen wird es ja schon als Tabubruch gefeiert, wenn das Wort „fuck“ gesagt wird. Dementsprechend gibt es von vielen Songs der Serie eine Version, die mit „explicit“ gekennzeichnet wird. Aber mehr noch als einzelne Worte gibt es Themen, die im Fernsehen eher selten vorkommen. Und da liegt die Stärke von Crazy Ex-Girlfriend.
Beginnen wir mit der Prämisse: Eine Frau lässt ihre Beförderung in New York sausen, weil sie ihre Sommercampliebe eine Minute wiedergesehen hat und ihm jetzt tausende Meilen hinterzieht. Von da an versucht sie alles, um seine Aufmerksamkeit wiederzuerlangen und die neue Freundin auszustechen. Ja, Rebecca ist die verrückte Ex-Freundin. Aber im Gegensatz dazu wie man es vielleicht aus der herkömmlichen romantischen Komödie gewohnt wäre, geht es genau darum, dass man als Zuschauer*in eben nicht notwendigerweise auf ihrer Seite sein und ihre Handlungen gutheißen soll. Es geht genau darum, dass Rebecca eindeutig nicht immer richtig handelt, eindeutig psychische Probleme hat und eindeutig sehr viele Fehler macht. Aber eben auch die Konsequenzen für ihr Handeln tragen muss. Und nach und nach wird aufgedröselt, warum die große Liebe und der richtige Kerl nicht unbedingt die Lösung für alle Probleme sind.
Übrigens ist natürlich auch keine der anderen Figuren ohne Makel oder Probleme. Crazy Ex-Girlfriend repräsentiert viele Facetten von menschlichen Beziehungen und menschlichen Herausforderungen. Um mal ein paar Themen zu nennen, die vorkommen: weibliche Sexualität, Bisexualität, Menstruation, Sex während der Menstruation (ganz großes Tabuthema), Masturbation, Mental Health, Suizid, Alkoholismus, Stalking, Schönheitsideale, Familienplanung, Kinderziehung, Freundschaft und und und.
Nein, es ist also nicht alles fröhliches Herumgehopse zu lustigen Songs. Und genau das ist es, was diese Serie so großartig macht. Sie ist eine Mischung aus skurrilem Musical und ernsten Themen, die eben nicht im Stile einer Vorabend-Soap nur zur Schock- und Effekthascherei dienen. Keine Trivialisierung und Sensationalisierung, gerade die realistische Darstellung von Mental Issues und Mental Health hat großes Lob geerntet. Es geht um psychische Probleme und Erkrankungen, aber auch deren Behandlung. Es geht darum, sich mit sich selbst und seinen Fehlern und der Auswirkung auf das eigene Leben und das von anderen auseinanderzusetzen. Crazy Ex-Girlfriend ist eine Serie, die toxische Tropes dekonstruiert und sich mit psychischer Gesundheit auseinandersetzt, wie ich es bisher noch nirgendwo gesehen habe… aber gerne sehr viel mehr sehen würde.
Representation matters
Es ist kein Geheimnis, dass Filme und auch Serien ein Problem mit Repräsentation haben, auch wenn dies heute vielfach angegangen wird. Aber ich sage nur #Oscarssowhite. PoC sind im Filmbereich stark unterrepräsentiert, ebenso wie andere Gruppen, die in irgendeiner Form einer Minderheit angehören oder eben von der Norm weiß-cis-hetero abweichen. Ja, auch Crazy Ex-Girlfriend hat eine weiße-cis-hetero Protagonistin, aber sonst ist der Cast doch sehr divers. Und auch wenn die Serie nicht ohne Stereotype auskommt, so werden doch auch gerade viele davon aufgebrochen. Wie eben schon beschrieben, liegt auch die große Stärke in der Behandlung von sonst unterrepräsentierten Themen.
Ich möchte hier nur nochmal zwei Beispiele rauspicken. Der Song, in dem Rebeccas Boss verkündet, dass er bisexuell ist, wurde von vielen Fans inzwischen als ihre Hymne für Bisexualität angenommen. Als im weiteren Verlauf der Serie eine weitere Hauptfigur zum ersten Mal eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft eingeht, ist dies kaum einer Erwähnung und keiner Dramatik mehr wert. Es ist einfach akzeptiert.
Ein weiterer Song, der mit Kommentaren von Dankbarkeit, dass es endlich so ein Lied gibt, überschüttet wird, heißt „A Diagnosis“ aus der dritten Staffel. Denn wie gesagt, Themen wie psychische Probleme und Behandlungen sind in Unterhaltungsmedien oft eben nur Mittel zum Zweck der Unterhaltung, nicht aber die Repräsentation von realen Begebenheiten. Ich glaube, hier spricht der Songtext am besten für sich selbst:
I’M AWARE MENTAL ILLNESS IS STIGMATIZED BUT THE STIGMA IS WORTH IT IF I’VE REALIZED WHO I’M MEANT TO BE ARMED WITH MY DIAGNOSIS
Also, ja die Serie hatte schlechte Einschaltquoten, aber The CW wusste schon, warum sie sie trotzdem so lange haben laufen lassen. Denn für viele Zuschauer*innen sind es gerade die Serien, Themen und Herangehensweisen, die nicht nur den Mainstream befriedigen, die für sie wichtig sind. Am Ende ist es doch unerlässlich, auch in der Populärkultur Räume zu schaffen, in denen sich Menschen gesehen und akzeptiert fühlen. Serien über fünf/sechs Freund*innen in amerikanischen Großstädten sind auch schön, aber wir brauchen so viel mehr Diversität und Repräsentationen anderer Lebensrealitäten. Ich will nicht sagen, dass Crazy Ex-Girlfriend das ultimative Nonplusultra ist, aber es ist anders und anders ist gut. Eine Rezension in der FAZ, die gar von einem „Meisterwerk“ spricht, bringt es so auf den Punkt: „Diese Serie nimmt ihre Figuren viel ernster als andere und dafür sich selbst weniger ernst.“ Das trifft es ganz gut. Ich wünschte, es gäbe mehr Serien wie Crazy Ex-Girlfriend.
Beitragsbild: The CW