Corona-Verschwörungstheorien und Deutschrap

Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie sind in den letzten Wochen unschöne Verschwörungstheorien wieder an die mediale Oberfläche gekrochen. Das Virus komme aus einem chinesischen Labor, die Pharmaindustrie wolle sich an einer Zwangsimpfung ein goldenes Näschen verdienen und Bill Gates wolle mit Corona die Weltbevölkerung reduzieren. Das alles ist widerlegt und, bei genauer Betrachtung, sehr hanebüchen argumentiert (zusammengetragen hier vom Redaktionsnetzwerk Deutschland). Aber viel mediale Aufmerksamkeit bekommen auch die bekannten Persönlichkeiten, die öffentlich Verschwörungstheorien vertreten und weiterverbreiten. Eine illustre Gesellschaft mit Menschen wie Til Schweiger, Sonja Zietlow, Xavier Naidoo, Attila Hildmann und vielen mehr.

Deutschrap als Spiegel der Gesellschaft – auch von Verschwörungstheorien

Letztere beide stehen mit der Deutschrap-Szene in Verbindung und erfreuen sich dort einem breiteren Publikum. Und damit sind wir bei einem interessanten Punkt. Nicht erst seit Corona fallen auch in der deutschen Rap- und Hip-Hop-Szene immer wieder einzelne Künstler mit kruden Theorien auf. Sido und Haftbefehl beziehen sich auf die antisemitische Rothschild- Theorie, Juju verbreitet auf Instagram relativ uneingeschränkt seltsame Behauptungen über Verchippung und Finanzsysteme, Olexesh rappt über Chemtrails und Kollegah zweifelt an, dass die Erde eine Kugel ist (mehr über die einzelnen Fälle könnt ihr hier bei Deutschlandfunk lesen). Eine mögliche Erklärung ist die gesamtgesellschaftlicher Verunsicherung durch die Corona-Pandemie. Wie sich das Ganze entwickelt und wie wir als Gesellschaft angemessen mit dem Corona-Virus umgehen sollten, ist unklar. Das ist der beste Nährboden für Verschwörungstheorien. In ganz unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft entwickeln sich diese deshalb im Moment munter weiter. Aber eben auch im Deutschrap. Der hat sich in den letzten Jahren zu einem extrem breit gefächerten Phänomen entwickelt und beinhaltet deshalb auch die unterschiedlichsten politischen Orientierungen und Weltanschauungen. Die Verschwörungstheoretiker finden da auch ihr Plätzchen, nur treten sie im Deutschrap besonders medienwirksam zu Tage. Es wäre auf jeden Fall zu kurz gegriffen, den Deutschrap als Sündenbock für die Verbreitung von Coronamythen darzustellen. Zudem gibt es im Deutschrap auch viele Künstler*innen wie Credibil, Fatoni, Juse Ju und Edgar Wasser, die sich von Schwurbeleien abgrenzen oder aktiv dagegen stark machen.

Problematisch ist die große Plattform, die Deutschrap dank seiner Popularität hat. Der Hang einzelner Deutschrapper*innen zu Verschwörungstheorien trifft immer wieder auch auf eine eher junge, politisch noch unbedarfte Hörer*innen-Gruppe. Verschwörungstheorien sind gefährlich, da sie das Weltbild extrem vereinfachen und klare Feindbilder schaffen. Solche Ideologien nicht kritisch zu hinterfragen, kann fatale Folgen haben. Auch die Täter der terroristischen Attacken in Hanau, Halle und Christchurch waren Anhänger von Verschwörungstheorien. Wenn Rapper*innen in Interviews unreflektiert solche Weltanschauungen weiterverbreiten, geben sie diesen brandgefährlichen Ideen zusätzlich Raum. Viele scheinen sich ihrer Verantwortung in dieser Hinsicht nicht bewusst zu sein. Es lohnt sich also, genauer hinzuschauen und nachzufragen, was der Deutschrap mit den Verschwörungstheorien am (Alu)Hut hat.

Provokation, Klicks und der deutsche Rapjournalismus

Die Medienlandschaft rund um deutschen Rap und Hip-Hop ist eine zweischneidige Angelegenheit. Es gibt engagierte und kritische Stimmen wie Miriam Davoudvandi, Jan Wehn, Salwa Houmsi, Malcom Ohanwe, Jan Kawelke und viele mehr, die Verschwörungstheorien nicht unkommentiert im Raum stehen lassen und Aufklärungsarbeit leisten. Da ist zum Beispiel die aktuelle Folge „Machiavelli Push“ von Salwa Houmsi und Jan Kawelke über Sidos jüngste Äußerungen zu Rothschild-Theorien.

Aber es gibt auch Figuren wie Leon Lovelock oder Ali Bumaye, die bekannt sind für Talk-Formate auf YouTube, in denen Rapper unhinterfragt über ihre kruden Weltsichten schwafeln können. Passend dazu scheint sich Leon Lovelock beim Thema Corona sicher zu sein, dass „die“ (also die undefinierbare Elite) uns mit dem Virus „lahm legen wollen“. Das Video mit dem Titel „Die Corona Verschwörung“ riecht irgendwie nach Aufmerksamkeitsheischerei und Geschwurbel gleichermaßen (und ist inzwischen nicht mehr online, stattdessen gibt es eine „Richtigstellung“ von Leon Lovelock und Reaction-Videos auf das ursprüngliche Video). Es macht immerhin ein bisschen Mut, dass der Großteil der Reaction-Videos und der Kommentare unter den YouTube-Videos nicht auf die platten Thesen hereinfällt und stattdessen sogar Berichtigungen und Reflexion stattfinden. Und YouTube scheint einen Mechanismus gegen Desinformation eingebaut zu haben: Klickt man Videos zu verschwörungslastigen Themen wie „Flache Erde“ oder eben „Corona“, wird unter dem Video eine kleine Infobox mit verifizierten Fakten und informativen Links eingeblendet.

Insgesamt spiegelt sich in dieser Form der Deutschrap-Berichterstattung ein typisches Phänomen von Verschwörungstheorien. Gerade weil die Theorien so plump sind, werden die öffentlichen Vertreter*innen davon oft zu einem unterhaltsamen Abendprogramm. Das ist generell auf YouTube zu beobachten, wo es eine Unzahl an belustigenden Zusammenschnitten über die kuriosesten Verschwörungstheorien gibt. Manche Rapper*innen und Teilnehmer*innen der Szene setzen das Thema deshalb gezielt auf die Agenda, denn die Provokation und mediale Aufmerksamkeit bedeutet meist ökonomische Vorteile. Bei manchen Personen wie Leon Lovelock verschwimmt allerdings die Grenze zur persönlichen Einstellung: Spätestens seit dem „Richtigstellungs“-Video widersprechen sich die öffentlichen Positionierungen von Leon Lovelock zum Thema Corona und in vielerlei Hinsicht zeigt sich, dass das Thema vielleicht doch zu komplex ist für einen 10-minütigen Rant aus dem Treppenhaus. Die Videos und Kommentare, die sich über die etwas naiven Erklärungen von Leon Lovelock lustig machen, profitieren aber genauso wie Leon Lovelock selbst von dem medialen Buzz um Verschwörungstheorien (diesen Artikel nicht ausgenommen). Das erklärt vielleicht auch, wieso die Verschwörungstheorien trotz aller Aufklärungsarbeit scheinbar unsterblich sind.

Macht, Wissen und Männlichkeit – narzisstische Überlegenheitsgefühle dank Verschwörungstheorien

Verschwörungstheorien sind unter anderem dadurch attraktiv, weil sie dem*der Anhänger*in das Gefühl von Macht und Überlegenheit geben: Ich weiß, wie die Welt in Wahrheit läuft und ihr blickt einfach nicht, was wirklich abgeht! Das passt gut zu dem problematischen Männlichkeitsbild, das manche Rapper vertreten. So gerne ich selbst Deutschrap höre; was manche Rapper propagieren, erstaunt auch mich immer wieder. Auch hier gilt wieder: Rap ist ein Spiegel der Gesellschaft und zeigt somit gesamtgesellschaftliche Probleme. Aber es gibt sie eben auch im Deutschrap, die selbstherrlichen Männer, die …

[…] sich selbst inszenieren und das mit solchen Verschwörungsmythen tun. Einem solchen Mythos anzuhängen, bedeutet für sie, einer vermeintlichen Elite anzugehören und über Wissen zu verfügen, das andere nicht haben. Das entspricht einem narzisstischen Männlichkeitsideal, das durchaus im Deutschrap vertreten ist.

Zina Luckow über problematische Männlichkeitsbilder im Deutschrap

Dabei liebäugeln manche durchaus auch mit dem Ideal des Widerstandskämpfers, der sich gegen Ungerechtigkeiten auflehnt und endlich mal eine klare Ansage gegen „die da oben“ macht. Verschwörungstheorien bieten eine gute Identifikationsfläche für Menschen, die sich selbst als die „guten“ Underdogs sehen. Dieses Narrativ geht im Fall der Verschwörungstheorien allerdings schnell auf Kosten der Komplexität der realen Welt.

Der Kampf des Underdogs gegen den großen, aber greifbaren Feind ist einfach romantischer und die Verlockung des hirnlosen Action-Krachers größer als die der schnöden 17-Uhr-Nachrichten mit anschließender Wirtschaftssondersendung.

Skinny über den Reiz des Underdog-Narrativs von Verschwörungstheorien

Herrschaftskritik – die Gründungsurkunde des Rap und gleichzeitig Falle für simple Denkmuster?

Das Underdog-Narrativ ist auch im Rap und Hip-Hop eine wichtige Erzählung. Allerdings fußt es auf realen Erfahrungen der Diskriminierung und Ausgrenzung. Schon seit den Anfängen mit Gruppen wie N.W.A. und Public Enemy sind Rap und Hip-Hop eine Ausdrucksplattform für unterdrückte und marginalisierte Gruppen. Das könnt ihr zum Beispiel in dem Artikel über Musikvideos zu Protestkultur nachlesen. Es ist eine der großen Stärken von Rap und Hip-Hop, dass sie etablierte Machtstrukturen angreifen und dominante Medienbilder hinterfragen können. Es gibt auch in der deutschen Gesellschaft wahrlich viel zu thematisieren: Alltagsrassismus, Klassendiskriminierung, Nationalismus, Korruption, Umweltzerstörung, Ausbeutung. Die Liste ist lang. Manche Rapper*innen kommen dabei aber zu vorschnellen Schlüssen und suchen eine Erklärung für diese Missstände in Verschwörungstheorien.

Alex Barbian beschreibt das so:

Unbequeme Ansätze, die ja teilweise durchaus ihre Berechtigung haben, münden in diesem Zusammenhang leider schnell in einer stark verkürzen Form der Kapitalismuskritik, die einer kleinen, mehr oder weniger unsichtbaren Elite die Schuld für persönliche Notlagen, Ungerechtigkeiten und Elend sieht.

Alex Barbian über den Zusammenhang zwischen sozialen Missständen und Verschwörungstheorien

Entscheidend ist, dass Diskriminierung, Ungerechtigkeiten und Elend oft mit übergreifenden, gesellschaftlichen Strukturen zu tun haben. Die sind zwar kompliziert, aber wissenschaftlich prüfbar. Malcolm Onhanwe fasst zusammen:

Wir leben in einer sexistischen, rassistischen und armenfeindlichen Welt. Das sind Dinge, da sind auch die großen Medien nicht vor gefeit. Der Unterschied: Der Rassmismus, der Sexismus, der Klassismus sind nachweisbar.

Malcolm Ohanwe über notwendige Herrschaftskritik

Manchmal ist es wirklich zum Verzweifeln. Man kann nachvollziehen, dass manche von den konventionellen Medien zuweilen frustriert sind. Die Stereotypen und problematischen Rollenbilder, die auch in Fernsehnachrichten und Presse reproduziert werden, müssen immer wieder thematisiert und bekämpft werden. Aber dass sich die Menschen aus Frustration heraus komplett von den etablierten Berichterstatter*innen abwenden und die „Wahrheit“ in „alternativen Medien“ suchen, ist genauso problematisch.

Was tun?

Bei so einer vertrackten Lage ist es nicht leicht, angemessen auf Verbreiter*innen von Verschwörungstheorien zu reagieren. Gefährlich ist es auf jeden Fall, sie einfach reden zu lassen und zu unterschätzen. Verschwörungstheorien tragen zu einer Spaltung der Gesellschaft bei und können fatale Radikalisierungsprozesse bei den Anhänger*innen begünstigen. Gerade bei einer großen Plattform, wie sie der Deutschrap darstellt, sollten solche Thesen nicht einfach umkommentiert durch den Raum wabern. Also was tun?

Bei gesellschaftlichen Problemen wie Verschwörungstheorien ist es gut, in entscheidenden Momenten dagegen zu halten. Was klingt wie eine ausgeleierte Formel, ist in der Realität nicht so einfach. Manchmal ist man von verschwörungstheoretischen Äußerungen (und problematischen Äußerungen generell) so überrumpelt, dass einem oft erst die entscheidenden Sekunden zu spät eine Erwiderung einfällt. Es hilft auf jeden Fall, sich über die Fakten im Klaren zu sein, damit einem bei der nächsten Begegnung nicht die Argumentationsgrundlage fehlt. Bei manchen reicht es schon, wenn man seine eigene Sicht der Dinge darlegt und der Person spiegelt, was sie da eigentlich gerade erzählt. Wenn der eigene Lieblingsstar sich auf einmal als Anhänger kurioser Weltanschauungen offenbart, ist jeder aufklärende (aber nicht überhebliche) Kommentar wichtig. Und ein Hinweis auf die Verantwortung der Medienpersonen schadet sicher auch nicht. So kann man vielleicht wenigstens die zum Nachdenken bewegen, die noch unschlüssig sind und sich nicht vehement gegen Kritik an ihrem Weltbild sperren.


Falls ihr euch noch genauer über das Thema informieren wollt, findet ihr hier ein paar informative Artikeln und Aufarbeitungen:

Spektrum-Artikel zu einer psychologischen Studie über Verschwörungstheorien

Juice-Reportage über Verschwörungstheorien im Deutschrap allgemein

Deutschrap und Xavier Naidoo

Vice-Artikel über Marvin Game und Geschichtsrevisionismus


Collage: Populärkollektiv

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