Wir sollen gerade alle zuhause bleiben. Das ist nicht immer möglich und nicht immer angenehm, aber eben notwendig. Ich bin mir sicher, jede und jeder steht vor eigenen Herausforderungen und darum möchte ich nun ein kleines Plädoyer für eine schöne – wenn auch natürlich privilegierte – Beschäftigung in diesen unruhigen Zeiten halten. Denn viele wollen nun auch die Zeit Zuhause, die Zeit der gezwungenen Entschleunigung, nutzen, um sich Sachen zu widmen, die sonst auf der Strecke bleiben. Und was auf sehr vielen Listen steht: endlich mal wieder in Ruhe lesen. Doch wie wäre es statt Isolation mit Diskussion?
Der einsame Leser und die einsame Leserin
Lesen ist bekanntlich etwas, das man allein macht. Oder nicht? Für viele steht in einen Sessel gekuschelt mit einem Glas Wein/einer Tasse Tee/einem Becher Kakao und einem guten Buch sinnbildlich für den entspannten Abend mit sich selbst.
Dabei ist die Auffassung vom Lesen als einsamen Prozess eine Vorstellung der modernen Zeit. Sie ist verknüpft mit der Wandlung von lautem zu stillem Lesen oder auch dem Übergang von der oralen zur literarischen Kultur. In Zeiten vor dem Buchdruck und als ein Großteil der Bevölkerung Analphabet*innen war, war das Lesen in der Gruppe hingegen üblich. Gerade im Mittelalter und der Antike war Lesen als gemeinschaftliche Tätigkeit weit verbreitet. Erst durch die Demokratisierung des Lesens, also die steigende Alphabetisierung und den verbreiteten Umgang mit Büchern und Literatur durch alle Gesellschaftsschichten im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts, entspann sich den historischen Beispielen zum Trotz unser heute vorherrschendes Bild des einsamen Lesers und der einsamen Leserin. Es wird assoziiert mit Isolation, aber auch mit Passivität.
Daran ist grundsätzlich auch absolut nichts auszusetzen. Doch haben viele das Bedürfnis, sich – abseits akademischer Auseinandersetzung – aktiver mit Literatur zu beschäftigen. Um diesem Wunsch nach sozialem Lesen zu entsprechen, möchte ich hiermit dazu aufrufen, sich zu Buchclubs zusammenzufinden.

Buchclub ist doch nur ein anderes Wort für Kaffeekränzchen
Buchclub, Buchgruppe oder Lesekreis ist dabei als Bezeichnung erstmal ganz egal. Im Deutschen gibt es keine festgelegte Begrifflichkeit dafür. Was ich an dieser Stelle nicht meine sind kommerzielle Buchgemeinschaften also wirtschaftliche Unternehmen, die häufig mit Verlagen verknüpft sind und ihren Mitgliedern ein Sortiment an Produkten anbieten. Ich meine lediglich das Zusammenkommen, um gemeinsam über Literatur zu sprechen. Dabei kann grundsätzlich diskutiert werden, was und wie man will. Genauso kann gelesen werden, was und wie man will.
Buchclubs sind nicht nur die Treffen von Hausfrauen in der Nachbarschaft, bei denen sie hauptsächlich über Männer und Kinder schimpfen, Kochrezepte austauschen und nebenbei sich ein bisschen an den Helden von Trivialliteraturromanen ergötzen. Dieses Klischee rührt vielleicht daher, dass eine Lesegruppe für viele Frauen überhaupt mal ein geschützter Raum war, in dem sie ein Ventil für ihre Meinungen, Gedanken, Ansichten und Sorgen finden konnten. So ist doch auch der Wunsch nach intellektueller Stimulierung nur ein Aspekt eines Lesekreises.
Eine kurze Plauderei aus dem Nähkästchen: Seit über einem Jahr bin ich nun Mitglied eines Buchclubs. Wir treffen uns mit Kaffee und Kuchen bei jemandem Zuhause. Oder mit Snacks im Park. Oder zum Brunch. Aber immer mit Buch. Wir treffen uns ungefähr alle sechs Wochen. Wir lesen stets gemeinsam ein Buch. Wir organisieren uns über WhatsApp und Facebook und nutzen die Gruppe auch für andere Veranstaltungstipps und -verabredungen. Wir sind alle zwischen Mitte 20 und Mitte 30. Wir haben alle einen Job, ein paar von uns studieren noch. Wir sind weiblich, wir sind männlich. Wir sind alle sehr verschiedene Menschen und doch mit gewissen Gemeinsamkeiten.
Inzwischen haben wir einen Aufnahmestopp, weil der Buchclub einfach zu groß wurde. Das Interesse, zu so einem Lesekreis zu gehören, scheint doch enorm. So sagen mir auch alle, mit denen ich darüber rede, dass sie das ja super fänden und auch sehr gerne sowas machen würden. Ich habe bestimmt schon fünf Leuten versprochen, mit ihnen einen weiteren Buchclub zu gründen. Ich finde, jetzt ist ein guter Zeitpunkt dafür.
Meet your next favourite book(club)
Natürlich möchte ich euch angesichts der aktuellen Situation nicht empfehlen, dass ihr euch jetzt bei Leuten Zuhause in Grüppchen zum Lesen und Diskutieren treffen sollt. Das sind Aussichten dafür, wenn soziale Distanz nicht mehr das Gebot der Stunde ist, und vielleicht ja ein kleiner Lichtblick für die Zeit danach. Nein, gerade in der aktuellen Zeit, in der wir alle so viel wie möglich Zuhause sein sollen und so wenig wie möglich andere Leute treffen sollen, eignet sich ein virtueller Buchclub ganz besonders. Die einfachste Art ist wohl sich mit Leuten zum Austausch über Skype, Zoom oder jeden anderen Videochat-Anbieter eures Vertrauens zu verabreden. Schnappt euch euer Buch und ein Glas Wein, macht es euch im Bett oder auf der Couch gemütlich und startet den PC, um mit anderen Leuten über Literatur (und alles, was euch sonst gerade umtreibt) zu diskutieren. Vielleicht macht ihr das mit Freund*innen, vielleicht startet ihr einen Aufruf in der Nachbarschaft oder online, um Interessierte zu finden. Das Internet hat das Finden und Gründen, aber auch das Führen von Buchclubs so viel einfacher gemacht.

Wem Zeit und Muße fehlen, sich zum Bücherchat zu verabreden, kann aber auch problemlos auf nicht-synchrone Angebote zurückgreifen. Dazu möchte ich kurz meine liebste Website rund um Bücher, quasi einen globalen Buchclub vorstellen: Goodreads. Es gibt hunderte Websites zu Büchern, aber Goodreads ist die weltweit größte Community. Nach eigenen Angaben sind 55 Millionen Menschen Mitglieder und in der Datenbank finden sich 1,5 Milliarden Bücher. Hier findet sich zunächst die einfachste Art des virtuellen Austausches über Bücher: Bewertungen, Rezensionen und Empfehlungen. Ferner bietet Goodreads aber auch weitere Möglichkeiten der Interaktion und Kommunikation: Man kann virtuelle Bücherregale erstellen, an Gewinnspielen teilnehmen, Quizfragen beantworten, gemeinsam Listen erstellen und Freunde hinzufügen. Und man kann Gruppen erstellen und beitreten. Et voilà virtueller Buchclub. Eine Empfehlung einer Goodreads-Gruppe meinerseits wäre Our Shared Shelf, der feministische Buchclub, den Emma Watson ins Leben gerufen hat. Wann, wenn nicht jetzt, ist eine gute Zeit zum „social reading“, dem Online-Austausch über Gelesenes?
Verliert euch und findet euch!
Alle Buchclubs, ob online oder analog, sind auf Austausch angelegt. Es wird nur selten vorkommen, dass ein Buch allen gleich gut gefällt. Aber das ist auch gut so. Es ist viel spannender über ein Buch zu diskutieren, wenn nicht alle einer Meinung sind. Andererseits kann ich aus Erfahrung sagen, dass es durchaus auch etwas Befriedigendes hat, wenn alle ein Buch furchtbar fanden und man sich gemeinsam darüber aufregen kann. Die gemeinsame Verabredung mit anderen führt auch dazu, dass man Bücher liest, die man sonst nie aus dem Regal genommen hätte.
Viele haben vielleicht aktuell Angst. Vor dem Alleinsein. Vor Beschäftigungslosigkeit. Vor der Pandemie, die gerade draußen umgeht mit all ihren Konsequenzen. Das ist okay. Auch hier empfehle ich Bücher. Ob ihr euch in andere fantastische Welten entführen lasst, eure Emotionen in Gedichten wiederfindet oder euer Informationsbedürfnis mit Fakten aus dem Sachbuchbereich füttert, aber ich glaube, für jede*n gibt es das passende Buch in dieser Zeit. Und dann sucht euch jemanden, um drüber zu reden. Über die Literatur, aber auch über alles Andere, was euch gerade umtreibt.
Also haltet euch an die Selbst-Isolation. Aber isoliert euch dabei nicht völlig selbst. Denn selbst einsame Tätigkeiten wie das Lesen lassen sich mit sozialem Austausch verbinden.
Beitragsbild: Populärkollektiv
2 Gedanken zu “Warum jetzt die Zeit ist, einen Buchclub zu gründen”