#outsideisfree – über unreflektierte Privilegien im Outdoor-Sport

Die Outdoor-Bubble ist nicht besonders reflektiert

Ich bin ein Outdoor-Mensch, ein Granola-Girl, eine Müsli-Maus. Ob auf dem Fahrrad, mit Wanderschuhen oder Skiern unterwegs: wenn ich an der frischen Luft bin, geht es mir gut. Draußen sein ist für mich immer wieder ein tolles Erlebnis. Aber eine Sache nervt mich manchmal. Die Outdoor-Bubble wird dominiert von weißen, gut verdienenden Mittelschichtsmenschen (mich eingenommen). Diese stecken ihr Geld in wahnsinnig teure Ausrüstung und verwandeln dies dann auf Social Media zu coolem und inspirierendem Content. Ich habe den Eindruck, dass manche dieser Outdoor-Menschen aber nicht besonders reflektiert oder sich ihrer Privilegien bewusst sind. Besonders einleuchtend zeigt das der Hashtag „#outsideisfree“ unter Posts mit fünftausend Euro Fahrrädern oder mit neuester Ski-Ausrüstung auf der Piste.

Das wirkt etwas ignorant oder zumindest deplatziert angesichts der Tatsache, dass die auf den Bildern zu sehende Ausrüstung schätzungsweise mehrere Monatsgehälter* verschlingt. Ungewollt ironisch wie das Notizbuch für 16,99 Pfund, auf dem steht „The Best Things in Life Are Free“. Trotzdem bitte kein Hate an die hier gezeigten Beispiele. Ich hoffe, dass ein konstruktiver Hinweis in den Kommentarspalten bei den Verantwortlichen auf offene Ohren stoßen wird.

„#outsideisfree“ gilt nicht wirklich. Ganz streng genommen ist es tatsächlich kostenlos, einfach nach draußen zu gehen. Aber man kann eine Menge Geld ausgeben, damit „Draußen sein“ zu einem spannenden, stylischen und auch angenehmen Erlebnis wird. Egal ob Radsport, Bergsteigen, Skifahren, Surfen oder sonstige Outdoor-Sportarten: alle bedürfen ein Mindestmaß an finanziellen Ressourcen. Wer sich um gebrauchte Ausrüstung bemüht und keine großen Ansprüche an Unterbringung oder neueste modische Trends legt, der:die kommt etwas günstiger weg. Aber „free“, also „gratis“ ist das dann trotzdem nicht.

Der Teufel steckt im Habitus

Neben der offensichtlichen, finanziellen Schwelle gibt es mindestens genau so wichtige, soziale Abgrenzungsdynamiken, die den Zugang erschweren für Leuten aus finanziell weniger gut gestellten oder unterrepräsentierten Milieus. Es geht hier um den Habitus, den Menschen in der Outdoor-Bubble an den Tag legen. Damit sind Verhaltensmuster, Kleidungsstile, Ausdrucksweisen und viele andere Kleinigkeiten gemeint, an denen man die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe ablesen kann. Dabei geht es nicht um Subkulturen wie Punk oder Emo, sondern eher um größere, gesellschaftsübergreifende Strukturen.

Outdoor-Sportarten machen vor allem weiße, gut gestellte Menschen. Manchmal gehört das zu den anerzogenen Gewohnheiten. Wachsen Kinder in Familien auf, in denen ein jährlicher Ski-Urlaub oder das neueste Fahrrad jedes Jahr selbstverständlich ist, dann spiegelt sich das in ihrem Verhalten wider. Sie wissen, wie man sich auf der Piste, am Berg oder in anderen spezifisch konventionalisierten Draußen-Räumen verhält. Das bildet eine unsichtbare Mauer für Menschen, die mit Outdoor-Sport erst später in ihrem Leben in Berührung kommen. Man kann sich ausmalen, wie das für nicht-weiße, migrantisch geprägte Menschen sein muss.

Uniformierung durch Social Media

Social Media-Plattformen wie Instagram oder TikTok tragen viel dazu bei, dass Trends in manchen Sportarten sehr uniform werden – Mein Algorithmus weiß inzwischen sehr gut, dass ich bei Fahrrad-, Ski- und Bergcontent gerne mal länger hängen bleibe. So sehe ich in immer neuen Variationen, aber doch sehr ähnlich, dieselben „GRWM** for a Run“-Videos, bei denen Läufer:innen zeigen, was sie anziehen für ihre sportliche Aktivität. Nach Schema F sind das hochwertige Laufschuhe und Laufkleidung, eine Trailrunning-Weste, in die Wasserflaschen und Gels gesteckt werden und eine „schnelle Brille“ (eine Brille, die meist aus einem einzelnen Glas besteht, das halbe Gesicht verdeckt und verspiegelt ist).

Analog dazu könnte ich auch ein Schema für ein Rennrad-Video beschreiben. Der Punkt ist: Durch das ständige Wiederholen fressen sich diese Outdoor-Ausrüstungs-Trends in Nullkommanichts in meinem Unterbewusstsein fest. Und auf einmal spiele ich selbst mit dem Gedanken, mir eine Trailrunning-Weste zuzulegen. Dabei laufe ich nicht einmal besonders ambitioniert. So sehen am Ende viele Menschen in den Outdoor-Sportarten sehr ähnlich aus. Das macht das Erscheinungsbild einer Sportart nach außen noch uniformer und weniger zugänglich, für Menschen, die nicht dem Bild entsprechen.

Es geht auch anders

Es gibt auch positive Beispiele von Outdoor-Menschen, die sich dieser Zusammenhänge bewusst sind und sie reflektieren. Einer davon ist Shaffer Nickel, der vor ein paar Wochen dieses wirklich sehr gute, wenn auch kurze Video zur „Snobifizierung“ von Outdoor-Sport gemacht hat. Es ist eine selten willkommene Kritik an der Outdoor-Industrie und zudem stylisch und lustig. Eine absolute Seh-Empfehlung also für alle, die sich für das Thema interessieren.

Shaffer Nickel spricht dort in groben Zügen einige der von mir genannten Punkte an und erzählt außerdem von der inzwischen sehr bekannten „Don’t buy this jacket“-Kampagne von Patagonia. Die in Kalifornien ansässige Bekleidungsmarke hatte zum Black Friday die clevere Idee, aktiv vom Konsum abzuraten – wohlwissend, dass ihre Zielkundschaft diese Form der Konsumkritik sehr begrüßt, um dann aber trotzdem bei Patagonia zu kaufen. Klingt absurd, aber dieser Widerspruch ist wirklich sehr präsent in der Outdoor-Bubble. Sogar ich selbst merke immer wieder, dass ich diese kognitive Dissonanz recht gut ausblenden kann: Eigentlich ist mir Nachhaltigkeit und Konsumverzicht schon wichtig, aber wie häufig habe ich dann doch wieder ein neues Trikot bestellt, ohne wirklich ein Neues zu brauchen?

Für ein Draußen für Alle

Dieses Draußen, das auf dem Papier gratis und für jeden gleichermaßen zugänglich sein sollte, ist in der Realität von verschiedenen Hürden umgeben. Soziale Grenzen und Kommerzialisierung machen aus „#outside is free“ ein „#outside is a heavily commercialised sphere that is mostly consumed by well-off middle or high class people“ oder auf Deutsch „#Draußen ist eine stark kommerzialisierte Sphäre, die hauptsächlich von gut gestellten Mittel- und Oberschichtsmenschen konsumiert wird“. Die Outdoor-Welt spiegelt Tendenzen, die auch in vielen anderen Gesellschaftsbereichen eine Rolle spielen. Deshalb freue ich mich immer, wenn ich Personen auf Instagram entdecke, die eine nicht-weiße oder nicht-heteronormative Identität in der Outdoor-Welt vertreten.

Ich wünsche mir, dass die Outdoor-Bubble inklusiver wird und Menschen in privilegierten Positionen ihren Vorsprung nutzen, um andere aktiv mit einzubeziehen. Das kann eine Initiative wie „Soultrak Outdoors“ sein, die Outdoor-Aktivitäten für BIPoC in den USA anbietet und dadurch einen Safer Space für diese unterrepräsentierte Gruppe herstellt. Oder es könnte eine aufmunternde Einladung zur nächsten Ausfahrt sein an eine:n Freund:in, der:die sich in der Outdoor-Welt sonst vielleicht fehl am Platz fühlen könnte. Oder man macht bewusst mal etwas, was nichts mit der Outdoor-Welt zu tun hat und bekommt so vielleicht automatisch neue Impulse aus anders geprägten Lebensrealitäten. Vielleicht schaffen wir es so von einem „#outsideisfree“ zu einem „#outsideisforeveryone“.


(1) Das deutsche monatliche Netto-Einkommen lag laut Statista im Jahr 2021 bei 2.224 Euro.

(2) GRWM ist ein Akronym und steht für „Get Ready With Me“ („Mach dich mit mir fertig/zurecht“). Das Format ist auf Social Media sehr beliebt und zeigt in verschiedensten Kontexten, wie jemand sich für den Tag zurecht macht, schminkt oder ein Outfit anzieht.


Titelbild: Canva AI Bildgenerator

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