Content Content Content – Ein Small Dive in Deep Dives

Die Leute schauen immer mehr Sachen im Internet an, gleichzeitig scheinen sie immer kürzer an einer Sache hängen zu bleiben. Die Konsequenz: Es gibt immer mehr Bedarf für stetig neuen Content. Heißt das, es wird nur noch sehr viel kurzer Content hergestellt? Heute geht es darum, warum das eventuell nicht so ist…

Ich muss diesen Artikel mit einem kurzen Exkurs über Alter beginnen. Ich habe gerade erfahren, dass ich als (gerade noch so) 29-Jährige nicht mehr als „Junge Erwachsene“ zähle. Junge Erwachsene sind zwischen 18 und 24 Jahre alt. Ich weiß nicht, warum ich dachte, dass ich noch jung bin (*schnief*), aber immerhin: In manchen Auslegungen zählt man mit 29 noch als junge Person. Dementsprechend schreibe ich diesen Artikel noch aus der Perspektive einer jungen Person, thank you very much. (Alle zukünftigen Artikel sind dann erwachsen, versprochen.)

Über die Jugendlichen und jungen Erwachsenen heutzutage wird häufig gesagt, dass sie keine Aufmerksamkeitsspanne haben. Dass sie konstant online sind. Dass sie auf TikTok von Video zu Video swipen und sich kaum noch auf eine Sache lange konzentrieren können.

Mehr und mehr Internetzeit für alle!

In den letzten Jahren hat sich die Nutzungsdauer des Internets gerade bei 14-49-Jährigen stark erhöht, was sicherlich auch viel mit der Pandemie zu tun hat. 14-29-Jährige (hier zähle ich immerhin noch in die jüngste Gruppe) verbrachten 2023 durchschnittlich 257 Minuten, also 4 1/4 Stunden, am Tag im Internet. Ich bin wahrscheinlich eine der Personen, die diesen Durchschnitt anheben, nicht senken. Auch ich habe einen TikTok-Account und swipe durch die Videos. Auch ich habe schon die Subway-Surfer Videos oder die komischen Kochvideos angeschaut, die links laufen, währen rechts jemand etwas erzählt. Aber kann uns wirklich alles nur noch für maximal 15 Sekunden interessieren?

„Die mediale Internetnutzung beinhaltet beispielsweise das (zeitversetzte) Ansehen von Videos, das Hören von Audios, Podcasts, Radiosendungen oder Musik über Musikstreaming-Dienste, das Lesen von Zeitungen und Zeitschriften im Internet sowie das Lesen von Texten auf Onlineangeboten von Fernsehsendern und über Social-Media-Angebote.“ Statista, [Stand: 16.01.2024]

Mehr Nutzung = Mehr Content

Wenn uns alles nur noch für 15 Sekunden interessiert, dann braucht es bei dieser mehr oder weniger stetig erhöhenden Internetnutzung auch immer und immer mehr mediale Inhalte. Neuer Content und zwar so schnell wie möglich. Auch TikTok werden tatsächlich mittlerweile schon ganze Serien und Filmen zerstückelt gezeigt. TikTok zeigt tatsächlich mittlerweile auch nicht mehr nur Videos, die maximal 15 Sekunden gehen, es können mittlerweile sogar Videos hochgeladen werden, die 10 Minuten lang sind. Der Mythos der extremen Kurzform ist also mittlerweile eigentlich auch überholt. (Eine Entwicklung, die Youtube übrigens vor Ewigkeiten auch durchgemacht hat: Ursprünglich konnten Videos maximal 3 Minuten lang sein, mittlerweile scheint es kein Limit zu geben, wie lang Videos sind.)

Es scheint ein unstillbarer Hunger, den alle für Neues haben. Das ist natürlich auch eine gute Möglichkeit für viele, aus Videoplattformen wie TikTok oder Youtube Profit zu schlagen. Es gibt mittlerweile so viele Nischen, so viel unterschiedlichen Content, dass andere noch nie von Trends gehört haben können, die bei einem selbst die „For You“-Page dominieren. Gleichzeitig erzeugt das auch einen krassen Druck bei Content Creator:innen, schnell und viel Content zu produzieren, um nicht aus dem Raster zu fallen, denn diese Plattformen belohnen natürlich Content, der User:innen auf der Plattform hält, mit mehr Reichweite.

Content macht Diebe

Den Plattformen ist aber größtenteils erstmal egal, wo die Leute ihren Content hernehmen. Bei TikTok sind die Copyright-Richtlinien sowieso lax, sodass Fernsehsendungen, Filme, Podcasts und Youtubevideos einfach eins zu eins von Spam-Accounts hochgeladen werden, ohne groß Copyright-Strikes wie auf Youtube fürchten zu müssen. Doch selbst auf Youtube wird eifrig kopiert, um enge Veröffentlichungspläne einhalten zu können.

Darüber hat Hbomberguy gerade ein ausführliches Video gemacht, wo er die Plagiatisierung einiger Youtuber:innen aufgedeckt hat. Das Video ist eine vierstündige Auseinandersetzung mit fehlenden Quellenangaben und zweifelhaften Praktiken einiger anerkannter Youtuber:innen.

Ich kann dieses Video allen empfehlen. Es bringt mich aber auch zu einem anderen Thema. Das Video ist fast vier Stunden lang und hat 14 Millionen Aufrufe. Das Video ist in etwa so lang wie eine Aufführung von „Tristan und Isolde“ oder die ein oder andere Miniserie auf Netflix und hat mehr Zuschauer:innen als vermutlich die beiden zusammen. Wenn wir alle eine so kurze Aufmerksamkeitsspanne haben, wie haben wir dann die Fähigkeit, dieses Video anzuschauen? Oder schauen wir uns kollektiv nur die ersten 15 Sekunden davon an? Spoiler: Meine These ist es, dass wir weitaus längere Aufmerksamkeitsspannen haben, als die TikTok-Nutzung vielleicht suggerieren würde.

Die Schönheit von Deep Dives

Das Video über Plagiate ist, was in Internetsprache wohl ein „Deep Dive“ genannt werden würde. Damit ist eine gründliche Analyse eines Themas gemeint. Diese Deep Dives gibt es auf Youtube seit Videos länger als drei Minuten gehen dürfen. Youtuber:innen wie Contra Points, Lindsay Ellis oder HBomberguy tauchen seit Jahren sehr tief in Themen ein. Was diesen manchmal mehrstündigen Videos in letzter Zeit aber nochmal zu einem Boom verholfen hat, ist Mikes Analyse und Zusammenfassung der Serie Pretty Little Liars:

Auch dieses Video haben 7 Millionen Menschen gesehen. Zumindest für mich, sicherlich aber auch für andere Menschen, hat es mir nach der Veröffentlichung Deep Dives wieder schmackhaft gemacht. Das erste Mal habe ich übrigens davon etwas auf TikTok gesehen und mir dann das ganze Video (und Teil 2 und 3) auf Youtube angeschaut. Dieser Deep Dive erklärt den gesamten Plot von Pretty Little Liars, andere Deep Dives tauchen aber auch in andere Themen ein. Die Videos von PhilosophyTube oder ContraPoints nehmen beispielsweise philosophische Theorien auseinander und bringen sie in unsere heutige Zeit. Lindsay Ellis analysiert Filme. FriendlyJordies erschafft ganze Abhandlungen über australische Politik. Explore with us analysiert Verhöre von Mörder:innen und bereitet Verbrechen auf. Coffeezilla berichtet in Deep Dives über Cybercrime. Vermutlich gibt es für jede Nische eigene Youtuber:innen. Deep Dives sind ein beliebtes Medium, sowohl bei Youtuber:innen als auch bei Fans.

Also was nun? Keine Aufmerksamkeitsspanne oder Deep Dive?

Ich glaube nicht, dass die Aufmerksamkeitsspanne wirklich kürzer geworden ist. Leute sind immer noch fähig, sich über lange Strecken auf etwas zu konzentrieren. Die Frage ist eher, ob wir die ganze Zeit Content brauchen und dazu noch interessanten. Also, können wir nicht ohne Beschallung? Die Sache ist jedenfalls nicht so einfach, wie sie von außen erscheint. Die Aufmerksamkeitsspannen können durchaus lang sein. Gleichzeitig fühlen wir uns aber hingezogen zu einer gewissen Reizüberflutung: Am Handy, während wir eine Serie schauen. Oder man macht sich ein Video beim Putzen an. Dann ist es wieder das stundenlange Scrollen durch TikTok, von kurzem Video zu kurzem Video. AI wird das Feld auch nochmal komplett durchmischen, wenn man nicht mehr weiß, was vom Computer erschaffen wurde und was vom Menschen. Die Menge an Content wird also immer weiter zunehmen. Ob das irgendwann eine Blase ist, die dann platzt, wenn alle übersättigt sind, das kann uns wohl nur die Zeit sagen.

Ich bin gespannt auf eure Gedanken zu dem Thema! Schreibt es in die Kommentare!

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