Wir stecken noch mitten im Sommer – die Sonne hat noch ordentlich Kraft, die Schwimmbäder und Seen sind gut besucht und es gibt den ein oder anderen lauen Sommerabend, den man draußen im Park oder auf dem heimischen Balkon mit Lesen verbringen kann. Falls also noch die ein oder der andere einen Lesetipp für den Spätsommer braucht, sollte hier weiterlesen.
Ich möchte euch den Debütroman der englischen Schriftstellerin Natasha Brown vorstellen. „Zusammenkunft“ war bereits ein großer Erfolg im Vereinten Königreich und nun dürfen sich auch die deutschen Leser*innen darüber freuen.
Um was geht es?
Ganz einfach gesagt, um Themen, die unglaublich wichtig sind: Rassismus, Gender und soziale Klassenstrukturen. Eine junge Person of Colour (PoC) kämpft sich in der Londoner Finanzbranche mit viel Kraft nach oben. Auf den ersten Blick scheint es so, als habe die junge Frau alles erreicht, was man sich wünschen kann: ein angesehener und gutbezahlter Job, einen netten Freund, der gleichzeitig ein vermögendes Elternhaus hat und eine Eigentumswohnung in einem Londoner Szeneviertel. Doch macht das glücklich? Die klare Antwort: Nein! Denn die Protagonistin gehört irgendwie nicht zur Gesellschaft dazu.
Trotz ihres Erfolgs begegnet ihr ständig offener Alltagsrassismus. Beruflich wird ihr vorgeworfen, dass sie nur so weit gekommen wäre, weil Diversity gerade wichtig sei. Ihr männlicher Arbeitskollege lässt nicht wirklich versteckt durchblicken, dass sie die neue Führungsrolle bekommen habe, da er als weißer Mann nicht so ins vielfältige Image des Unternehmens passen würde, wie sie.
Ein starkes Zitat aus dem Roman, das mich bewegt hat und so vieles gut auf den Punkt bringt, ist Folgendes:
„Aber das, was du brauchst, um dorthin zu kommen, ist nicht das, was du brauchst, sobald du dort angekommen bist.“
Sie hat es also geschafft, nach oben zu kommen – Doch wie kann sie sich dort zurechtfinden? Wie schafft Sie es, unter Rassismus von Arbeitskolleg*innen, aber auch der Familie des Freundes standzuhalten? Bei der titelgebenden „Zusammenkunft“ – einem Familienfest auf einem englischen Landsitz – trifft die Protagonistin auf die vermögende Familie des Freundes und hat hier keinen einfachen Stand. Mehr möchte ich aber nicht verraten.
Wir erfahren leider nicht so viele biografische Daten wie Name oder Alter der Protagonistin. Was wiederum ein wichtiger Bestandteil des Erzählstrangs ist, der in die Erzählung hineingewoben wird, ist die Geschichte der Ich-Erzählerin und ihre Suche nach Herkunft und Heimat. Die Protagonistin selbst hat jamaikanische Vorfahren, die jahrzehntelang als illegale Einwanderer*innen behandelt wurden. Der Umgang Großbritanniens mit Einwanderer*innen nimmt großen Raum im Buch ein und wird durch historische Ereignisse erläutert.
Mein Fazit:
Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Nicht nur die aktuelle Situation von Menschen mit Migrationsgeschichte, die heute in der zweiten oder dritten Generation in Großbritannien leben und immer noch stark angefeindet werden und das Gefühl haben, nicht dazuzugehören, sondern auch der historische Rückblick, der zum Teil wirklich erschreckend für mich war und, den ich so noch nicht wirklich kannte. Das Buch ist ein guter Mix aus neuzeitlichem und historischem Geschehen, der durch die Rückschau in die Vergangenheit, die Gegenwart besser verstehen lässt. Die Konflikte aus Vergangenheit und Gegenwart werden im Roman sehr gut dargestellt.
In einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk (BR) sagt die Autorin selbst:
Wir müssen uns damit auseinandersetzen, wie unsere Gesellschaft in Zukunft aussehen soll. Und ich sehe die Geschichte meiner Erzählerin als eine in einer größeren Welle von Literatur darüber, wie diese seltsame Phase, in der wir uns gerade befinden, auf der individuellen Ebene aussieht.
Natasha Brown im BR-Interview
Ein kleines Manko hat das Buch allerdings: Ich habe etwas Zeit gebraucht, um mich in die Geschichte einzufinden. Gerade der Anfang war stilistisch etwas wild ohne chronologische Erzählweise und geprägt von verschiedenen Sprachstilen, die sich zum Teil von Kapitel zu Kapitel ständig wandelten. Zudem finde ich es sehr schade, dass die Ich-Erzählerin doch etwas anonym und distanziert wirkt. Es dauerte ein bisschen, bis ich mich in sie hineinfühlen konnte – das hat aber einen guten Grund, wie die Autorin selbst verrät:
Für mich war es interessant, der Identität der Erzählerin einen gewissen Freiraum zu gewähren. (…) Ich denke, wenn man einer Figur sofort ein Race-Etikett anheftet, werden sofort Barrieren errichtet. Und für mich ist eher das Gegenteil von dem, wozu Bücher da sind, nämlich Brücken in verschiedene Welten und Perspektiven zu bauen. Deshalb habe ich absichtlich nicht nur nicht viele Details über die Erzählerin geliefert, sondern auch nichts zur Race der anderen Figuren erwähnt. Manchmal ist es einfach schön, ohne solche Einschränkungen zu schreiben und die Figuren ohne sie zu erleben.
Natasha Brown im BR-Interview
Achtung Spoiler: Mir hat es sehr gut gefallen, dass das Ende absolut offen ist und jede Leser*in selbst interpretieren kann, wie die Reise der jungen Frau weitergehen wird. Die Autorin sagt dazu:
Ich wollte mich wirklich auf die Unsicherheit und das Unbehagen einlassen, das sich einstellt, wenn die Dinge eben nicht gelöst sind.
Natasha Brown im BR-Interview
Bildquelle: Valeska Martin