Im Rahmen des Sommerblut Kulturfestival 2022 zeigt die Theaterproduktion von Interfemme* e.V. das Stück „Entlove You“ in der TanzFaktur in Köln. In dem Stück geht es darum, wie wir Liebe neu denken können. Was gibt es für Formen, Rollen und Muster zu lieben? Wie wollen wir lieben und geliebt werden? Franzi und Theresa waren in der Premiere und haben mit der Regisseurin Ana Valeria González gesprochen.
Das moderne Leben und der Kapitalismus haben unsere Gefühle und Liebesleben verändert. Gerade erlebt die Liebe eine endlose Wahlfreiheit, eine Optionsvielfalt – vielleicht sogar einen Optimierungszwang. Welches Potenzial bietet die Liebe?

Mit Liebe als zentralem Thema fängt das Stück direkt mit dem weltweit bekannten, kommerziellen Symbol dessen an: Einer Hochzeit. Alle Menschen auf der Bühne sind in Hochzeitskleid und Anzug fein gemacht und begrüßen das Publikum beim Eintritt in Formation. In den folgenden eineinhalb Stunden wird das Stück Liebe in ihrer heutigen, kommerzialisierten, an Bedingungen geknüpften Form auseinandernehmen. Zwischen pointierten Metaphern, Texten aus den Leben der Schauspieler:innen und Vorträgen von Gäst:innen weiß man manchmal gar nicht, wohin mit sich selbst. Das Stück schafft es, ein Bild der Gesellschaft zu malen, in dem jede:r die Regeln der Liebe kennt, ohne dass sie ausgesprochen werden. Gleichzeitig bringt es einem selbst nahe, wie man sich „heutzutage“ noch lieben kann und gibt einem eine kleine Anleitung an die Hand.
Ana Valeria González war es wichtig, die Menschen nach einer langen Zeit der Distanz, des Lebens in Bubbles und der Vorsicht wieder näher aneinander zu rücken. Das merkt man, während man den Schicksalen und Geschichten der Schauspieler:innen lauscht. Zudem hat das Publikum kleine Perlenringe bekommen, sodass alle im Raum auf bestimmte Art verbunden waren. Die erzählten Geschichten sind so vielseitig wie das FLINTA*-Ensemble selbst, das aus Menschen mit und ohne Behinderungen besteht. Im Vornherein erklärte die Pressemitteilung, dass das Stück dazu anregen will, die Liebe in Zeiten von modernem Leben und Kapitalismus als partizipatorische Handlung zu verstehen. „Entlove You“ soll dabei eine Wortneuschöpfung sein und nicht unbedingt „Entliebt euch“ heißen. Es geht vielmehr darum, Liebe nochmal bewusst wahrzunehmen und neu zu entdecken. Wie können wir uns lieben, ohne gleich große finanzielle Opfer zu bringen? Vielleicht kann es ja auch Liebe sein, wenn man nicht heiratet. Vielleicht muss Liebe ja auch nicht zwischen zwei Menschen sein, sondern kann auch mit einem selbst sein. Das Facettenreichtum von Liebe schließt auch die platonische Liebe ein, die Nächstenliebe und das Verständnis für Andere. Auf eine charmante Art und durch viel Abwechslung schafft es das Stück, das zu verdeutlichen, ohne dabei langatmig zu werden.
Insgesamt hat das Stück sehr zum Denken angeregt und viele spannende Fragen gestellt und individuelle Antworten gegeben. Was für jede:n Einzelnen die Antwort ist, muss er oder sie wohl selbst herausfinden. Besonders schön war, dass das Stück sich selbst dabei nicht zu ernst genommen hat und dem Publikum erlaubt hat, manchmal die Thematik auch mit einer gewissen Leichtigkeit zu sehen.

Entstehung des Stücks
Während der Corona-Pandemie war der Regisseurin das Thema Liebe wichtig. Deswegen beschäftigt sich das neue Stück mit den Fragen: Wie gehen wir miteinander um? Wie können wir uns wieder gegenseitig neu lieben? Auch in ihrem Team haben sich die Menschen während der Pandemie etwas zurückgezogen: „Wir sind in unseren Blasen unterwegs gewesen. Dagegen anzukämpfen war eine Herausforderung. Wie gehen wir miteinander um? In unserer Gruppe müssen einige etwas mehr auf sich achten, weil sie chronisch krank sind oder kranke Personen in ihrem Umfeld haben, das war nicht einfach. Wir haben uns gefragt: Wie gehen wir mit unseren Ängsten um?“

Wie hat sich das Team Interfemme* gefunden?
Ana Valeria González hat bereits 2017 eine Frauentheatergruppe geleitet, die sich speziell an Migrantinnen gerichtet hat. Zunächst ging es ihnen um die Fragen, wie gehen wir miteinander um, wie werden wir wahrgenommen, was heißt es, Frau zu sein. Mit der Zeit haben sich immer mehr Schauspieler:innen zusammengefunden. Ohne, dass sie direkt auf die Suche gegangen sind, haben sich Freund:innen aus dem Wohnheim, dem Sprachkurs oder aus der Nachbarschaft dazu entschlossen, dass sie gerne mitmachen würden. Auch nach Veranstaltungen meldeten sich oft Menschen bei Ana Valeria González, wollten mitmachen und blieben mit ihr in Kontakt. Es gibt zwar eine konstante Gruppe, die immer dabei ist, aber es kommen auch immer wieder neue Menschen dazu. Seit 2020 sind sie offiziell eine FLINTA*-Gruppe.
Interfemme*, der Verein hinter dem Theaterstück, setzt sich laut der Webseite mit seinen kulturellen Projekten für Empowerment, gegen die Diskriminierung von FLINTA* und für rassismuskritische Arbeit ein. Der Verein ist ein inklusives, transkulturelles, emanzipatorisches und unterstützendes Netzwerk für Kunst- und Kulturschaffende mit und ohne Rassismuserfahrungen in Köln und in NRW. Mehr Information: www.interfemme.de.
Ana Valeria González hat erkannt, dass es für das Team wichtig ist, einander zu haben: „Wir sind eine bunte Gruppe. Wir identifizieren uns genau damit. Wir haben oft nicht die gleichen Chancen wie cis-Männer. Dadurch haben wir eine starke Verbindung.“ Die Regisseurin ist stolz auf ihr Team und ihren Fortschritt, den sie durch die Zusammenarbeit erreicht haben: „Es ist schön, die Entwicklung zu sehen. Wir haben oft Menschen dabei, die zunächst unsicher waren, bezüglich der Sprache, und am Anfang wollen sie keinen Text schreiben oder etwas auf der Bühne sagen. Jetzt trauen sie sich. Finden ihre Stimme.“

Sichtbar machen und sichtbar sein
Das Team von InterFemme* sieht sich als Spiegelbild der Gesellschaft. Sie wollen, dass sich das Publikum in die Spieler:innen hineinversetzen kann und sich selbst in den Geschichten wiederfindet. Manchmal kann sich das Publikum auch mehrmals mit unterschiedlichen Menschen auf der Bühne identifizieren. Ana Valeria González erzählt, dass es ihr bei ihren Theaterbesuchen Kraft für ihr Leben gibt. In ihrem Stück „Entlove You“ findet sie es zum Beispiel wunderschön, wenn die Schauspielerin Lucélia sagt „Ich verabschiede mich von deinem Schönheitsideal.“ und dabei den Brautschleier und die Perücke von dem Kopf nimmt. „Das ist sehr symbolisch, denn es betrifft uns alle auf unterschiedliche Art“, sagt Ana Valeria González. Andererseits bringe das Stück die Menschen zum Nachdenken: Wieso habe ich eigentlich keine Menschen mit Behinderung in meinem Bekanntenkreis oder keine trans Person?
Ein diverses Team möchte ein buntes Publikum
Dem Team um Ana Valeria González ist es wichtig, dass das Publikum gemischt ist, bei der Premiere war es mit größtenteils scheinbar links-orientierten, gebildeten und intellektuellen Zuschauer:innen zwar ziemlich homogen, aber das liegt oft daran, dass Familie und Bekannte eingeladen werden und Menschen, die sich in diesen Kreisen aufhalten, oft als erstes von der Veranstaltung erfahren. Doch um das Publikum etwas bunter zu machen, hat sich das Team entschlossen, immer 20 Soli-Tickets zu verschenken, die sie oft an Schulen verschicken. Zur zweiten Aufführung kam zum Beispiel eine Schulklasse. Sie wollen damit Menschen ansprechen, die nicht so oft ins Theater gehen und so das Gespräch auch über das „klassische“ Theaterpublikum hinaus öffnen.

Foto: Tell me Personal Stories
„Wie schaffen wir es, an unsere Utopie der Liebe zu glauben? Damit meine ich, wir werden uns nie alle lieben, aber wir bleiben in Bewegung, um dieses Ziel zu erreichen.“
Wenn ihr jetzt neugierig geworden seid, könnt ihr an diesen Termine das Stück noch sehen: Mi, 11.5., Do, 12.5., Fr, 13.5., Sa, 14.5., So, 15.5. Hier geht es zur Webseite des Festivals. Wenn ihr mehr über die Arbeit von Interfemme* erfahren wollt, könnt ihr hier vorbeischauen.
Beitragsbild: Hans Diernberger