Hamilton – Auf gut Deutsch?!

Das amerikanische Musical Hamilton ist schon seit langem kein Geheimtipp mehr. Spätestens seit der Veröffentlichung der Aufnahme auf Disney+ erlangte das Musical einen riesigen Bekanntheitsgrad. Im Oktober 2022 feierte das Hit-Musical dann endlich in Deutschland Premiere – in deutscher Übersetzung, produziert von Stage Entertainment. Ich habe mir das Stück angeschaut und verspreche allen Fans des Originals: Die deutsche Version von Hamilton steht der amerikanischen in nichts nach.

Alexander wer?

Um erstmal alle mit ins Boot zu holen, die Hamilton weder auf Englisch noch auf Deutsch gesehen haben, folgt hier eine kleine Zusammenfassung. Das Musical erzählt die Lebensgeschichte von Alexander Hamilton, einem der Gründerväter der USA. Es geht um die amerikanische Revolution, den Unabhängigkeitskrieg gegen England und die ersten Jahre nach Erklärung eben dieser Unabhängigkeit. Im Zentrum steht auch Alexander Hamiltons Rolle in dieser Revolution, sein Privatleben und die Fragen, warum er nie Präsident geworden ist und wieso heute eigentlich so wenig über ihn bekannt ist. Musikalisch ist das Ganze ein Mix aus Hip-Hop, Jazz, R&B und Musical. Das gesamte Stück – Geschichte, Text und Musik – wurde von dem Genie Lin Manuel Miranda geschrieben, der auch im Original Cast die Hauptrolle übernahm. Bei dem Film, der auf Disney+ zu sehen ist, handelt es sich um eine Aufnahme der Broadway-Version. Auch in der deutschen Version von Hamilton hatte Miranda ein wachsames Auge auf die Übersetzung und die Auswahl des Casts.

Auf Einzelheiten zur Musik, den historischen Hintergründen, und der Story von Hamilton werde ich im Rahmen dieses Artikels nicht weiter eingehen. Falls ihr euch dafür interessiert, schaut gerne in meinem älteren Artikel zu dem Thema vorbei.

Pure Wortgewalt übersetzt

Die Ankündigung der deutschen Übersetzung löste bei Fans des Originals wohl vor allem eines aus: Skepsis. Auch ich war alles andere als überzeugt von der Idee, dieses wortgewaltige Rap-Musical zu übersetzen. Hamilton lebt unter anderem von Textteilen und Phrasen, die sich im Laufe des Musicals immer wieder wiederholen und in verschiedenen Kontexten verschiedene Dinge bedeuten. Außerdem sind vor allem die Rap-Stücke sehr Wort-lastig. Es schien mir unmöglich das alles auch nur ansatzweise zufriedenstellend ins Deutsche zu übersetzen. Doch ich wurde eines Besseren belehrt.

Im Musikvideo zur deutschen Version des Titelsongs könnt ihr einen Eindruck vom Cast und Übersetzung gewinnen.

An einigen Stellen sind die Texte fast wortwörtlich übersetzt, an anderen etwas freier und beides fand ich (fast) durchweg gelungen. Zwar kommt die deutsche Übersetzung natürlich nicht immer an das Original ran, aber an einigen Stellen hat mir die deutsche Übersetzung sogar noch etwas besser gefallen als das englische Original.

Ein Beispiel ist diese Textstelle aus Satisfied. In diesem Song besingt Angelica, wieso sie sich trotz ihrer Liebe zu Alexander dazu entscheidet, ihn mit ihrer Schwester Eliza zu verkuppeln:

I know my sister like I know my own mind, you will never find anyone as trusting or as kind

wurde übersetzt zu:

Mich und Eliza könnte nie etwas entzwei‘n. Ich verzeih mir keinen Riss in ihrem Herz, egal wie klein

Im englischen Original besingt Angelica den Charakter ihrer Schwester Eliza. Im Deutschen hat man sich etwas vom Original gelöst und beschreibt eher die Beziehung der beiden Schwestern, was für mich den Kern des Ganzen mehr trifft: Angelica „überlässt“ ihrer kleinen Schwester den Mann, den sie liebt, weil die beiden Schwestern sich so nah stehen und Angelica es nicht ertragen könnte, Eliza unglücklich zu sehen.

Der Rap-Part von Hercules Mulligan aus dem Song Yorktown enthält Wortspiele zu seinem Job als Schneider, die sich sehr gelungen fand. An vielen Stellen finden sich in der deutschen Version deutsche Redewendungen, die etwas freier übersetzt wurden. So ist die Textstelle „You must be out of your geddamn mind“ aus Cabinet Battle #1 übersetzt mit „Euch hat wohl jemand ins Hirn geschissen“. Solche Stellen machen das Stück im deutschen wirklich originell und dynamisch. Und an einigen Stellen wurde auch der englische Songtext übernommen, denn manches lässt sich einfach nicht übersetzen (z.B. In New York you can be a new man aus dem Opening-Song). Im Song Aaron Burr, Sir wurde daraus sogar ein Scherz gemacht. Wie auch im englischen Original gibt Burr Hamilton in der deutschen Version den Rat: „Talk less, smile more“. Hamilton reagiert darauf mit Unverständnis, weil das ganz und gar seinem Charakter widerspricht. Im Deutschen stellt Hamilton die Rückfrage „Auf gut Deutsch?!“, woraufhin Burr den Rat nochmal auf Deutsch erläutert („Weniger Reden und mehr Lächeln, seht euch vor“). Das hat auf jeden Fall für einige Lacher im Publikum gesorgt. Wie das englische Original, ist also auch die deutsche Version an einigen Stellen sehr witzig.

Der deutsche Cast ist Chef’s Kiss

Hamilton lebt von den Darsteller:innen. Alle Fans des Hamilfilms sind sehr stark an den Original Broadway Cast gewöhnt – entsprechend nervös war ich bezüglich der deutschen Darsteller:innen. Tatsächlich hat es mich nicht gestört, andere Darsteller:innen in den Rollen zu sehen. Eher finde ich es spannend zu sehen, was andere Personen aus den mir bekannten Charakteren machen und wie sie diese interpretieren. Und der deutsche Cast hat mich wirklich beeindruckt. Wie auch im Original, sind alle Figuren außer King George mit BIPoC-Darsteller:innen besetzt und ich finde es gut und wichtig, dass die deutsche Adaption dem englischen Original da treu geblieben ist. Der ganze Cast war überragend, aber drei Darsteller:innen haben mich besonders überzeugt. Das war zum einen Diluckshan Jeyaratnam als Alexander Hamilton. Er hat so viele Emotionen in die Rolle gelegt, kann sehr gut rappen und vor allem wahnsinnig gut singen. Ich war etwas traurig, nicht die Erstbesetzung sehen zu dürfen, doch ich kann mir nicht vorstellen, dass mir jemand besser gefallen hätte als er.

Ein weiteres Highlight war Redchild als Mulligan/Madison. Redchild ist MC und Rapper aus Hamburg und hatte vor Hamilton mit Musical gar nicht so viel am Hut. Ich finde es toll, dass der Cast, wie auch im Original, ein wenig durchgemischt ist und jemand aus der Hip-Hop Szene mit dabei ist. Redchild passt mit seiner badass Attitude sehr gut in die Rolle und hat mich vor allem mit seiner wahnsinnig tiefen Stimme umgehauen.

Der Star des Abends war allerdings Chasity Crisp als Angelica Schuyler. Angelica hat das beste Lied des Stücks (Satisfied) und die besten Lines sowieso (ihr Rap in The Schuyler Sisters) und Chasity Crisp ist einfach perfekt für die Rolle. Sie lässt Angelica gleichzeitig sassy und zerbrechlich wirken und hat die Liebe, die Angelica für Eliza und Alexander sowie ihre Zerrissenheit greifbar gemacht. Chasity Crisps Präsenz auf der Bühne hat mich einfach nur umgehauen. Sie ist stimmgewaltig und auch ihr Rap klingt absolut mühelos. Sie ist einfach die perfekte Besetzung für die coolste Rolle des Musicals und ich hoffe, dass ich sie irgendwann nochmal live erleben darf.

Chasity Crisp als Angelica Schuyler gemeinsam mit Ivy Quainoo als Eliza und Mae Ann Jorolan als Peggy.

Schaut euch das deutsche Hamilton an!

Die Texte und der Cast weichen ab, aber stehen dem englischen Original kaum in etwas nach. Die altbekannten Songs mit anderem Text und von mir unbekannten Darsteller:innen performed zu sehen, habe ich eher als erfrischend statt störend empfunden. Ansonsten gleicht die deutsche Inszenierung aber dem US-amerikanischen Original. Das Orchester, Ensemble und die Kostüme sind genau so grandios wie in der Broadway-Inszenierung. Für mich ist ein Traum in Erfüllung gegangen, als ich das Stück, von dem ich jetzt schon so lange großer Fan bin, endlich auf der Bühne erleben durfte. Das Gefühl, keinen Bildschirm dazwischen zu haben und das Ganze live zu sehen, war wirklich etwas ganz Besonderes. Ich kann jeder Person nur empfehlen, sich das Stück anzuschauen und sich selbst zu überzeugen. Hamilton läuft seit Oktober 2021 im Stage Operettenhaus in Hamburg. Egal, ob du Fan des Originals bist oder Hamilton-Neuling: Lass dich nicht einschüchtern, sondern überzeuge dich selbst von der mitreißenden Musik, der überzeugenden Übersetzung dem grandiosen Cast und der wundervollen Inszenierung. Du wirst es nicht bereuen!

Beitragsbild: Johan Persson/Stage Entertainment

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