Eine kurze popkulturelle Analyse von Schlaf anhand „My Year of Rest and Relaxation“

“I love sleep. My life has the tendency to fall apart when I’m awake, you know?” — Ernest Hemingway

Wir können nicht einschlafen, wir zählen Schafe, es zieht uns in die Dunkelheit, in einen Strudel aus Träumen, manche erschreckend real. Wir träumen von unseren Ängsten, Wünschen und Sorgen, dann wachen wir auf. Langsam oder schnell, schweißgebadet, im Schreck. Wir schlafen so viel, dass es ein zentraler Teil unseres Lebens ist. Unser Schlaf hat Auswirkungen auf unsere Gesundheit und unsere Psyche. Kein Wunder also, dass Schlaf immer wieder in Filmen, Serien und Büchern behandelt wird. „Der Sandmann“ dreht sich zum Beispiel um die Welt der Träumenden. In „Schlaflos in Seattle“ geht es um einen Mann, der nicht einschlafen kann. Bei „Dornröschen“ kann eine Prinzessin hingegen nicht aufwachen. So – scheint es – wurde Schlaf bereits vielseitig dargestellt – oder?

Wie die Frage schon impliziert bin ich anderer Meinung. Es ist schwer, Schlaf zu fassen und in allen Facetten darzustellen. Diese Versuche zeigen immer nur Teile: Das Aufwachen, das Einschlafen, das Schlafwandeln oder das Träumen. Schlafen, als ohnmächtiger Zustand, an den man sich nicht erinnert, in dem nichts passiert, außer, dass man schläft, wird eher weniger behandelt. Wir gehen dann höchstens in die Außenperspektive und gucken, was alle anderen so machen. Wenn man Dornröschen in der Ich-Perspektive aus Sicht der Prinzessin erzählen würde, wäre das auch verdammt langweilig, oder?

Ottessa Moshfeghs „My Year of Rest and Relaxation“ ist ein interessanter Versuch, Schlaf, tatsächlichen Schlaf, in all seinen Fassetten in einem Buch zu festzuhalten. Die junge, depressive Ich-Erzählerin nimmt sich nach dem Tod ihrer Eltern vor, ein Jahr lang zu schlafen. Sie sorgt dafür, dass alle ihre Rechnungen automatisch bezahlt werden, lässt sich von einer zweifelhaften Ärztin Schlafmedizin, Beruhigungsmitteln und Antidepressivum verschreiben und versucht ihre Kontakte zur Außenwelt auf ein Minimum zu beschränken.

Lediglich von ihrer besten Freundin Reva lässt sie sich noch manchmal besuchen. Reva scheint in ihrer eigenen Welt aus Bulimie und einer unglücklichen Affäre mit ihrem Chef Ken gefangen zu sein. Sie vergöttert die Erzählerin, die sie als Ideal ansieht: wunderschön, blond, dünn. Die Erzählerin verachtet Reva dafür, dass diese sich so dick fühlt und fühlt sich ihr überlegen. Generell ist die Erzählerin eine zutiefst unsympathische Person, die sich selbst für besser als alle anderen hält und die anderen nach Möglichkeit manipuliert – sei es Reva oder etwa ihren Exfreund Trevor, den sie immer wieder anruft und überredet zu sich zu kommen. Das passiert in ihren Wachphasen oder auch manchmal, wenn sie schlafwandelt. Dann kann sie sich nur im Nachhinein erschließen, was passiert ist. Ihr Leben in dem Jahr wechselt also immer zwischen diesen Phasen des Wachseins, anfangs noch Träumen, Schlafwandeln, tiefer Schlaf oder einem Dämmerzustand, während sie Filme auf VHS anschaut (immerhin haben wir 2000/2001), oder Reva irgendetwas faselt.

Schlaf ist (wenig überraschend) das konstante Motiv des Buches. Nach dem Schlaf ist vor dem Schlaf. Neben der Erzählerin dieses Buches haben viele Menschen eine gewisse Obsession mit Schlafen. Man sieht es in relatable Memes und Zitaten von berühmten Leuten. Ich zumindest konnte mich mit diesem Aspekt sehr anfreunden. In meiner Jugend war ich auch dauermüde und hätte am liebsten ganze Tage verschlafen. Die Nacht war meine Lieblingszeit, weil man dann schlafen „durfte“. Gerade aus einer depressiven Perspektive verständlich: Im Schlaf gibt es kein Schmerz und das scheint auch bei der Erzählerin das utopische Ziel zu sein: Kein Schmerz. Irgendwie lebt die Erzählerin also einen Traum vieler aus, indem sie sich zum Ziel setzt, ein Jahr zu schlafen. Sie schreibt, dass sie als Kind ein Jahr bei ihrer Mutter im Bett geschlafen hat, die ebenso wie sie gerne schlief. Sie beschreibt Schlaf so: „Oh, sleep, nothing else could ever bring me such pleasure, such freedom, the power to feel and move and think and imagine, safe from the miseries of my waking consciousness. […] I was […] a somniac. A somnophile.“ (S. 46) Sie liebt es zu schlafen, weil es sie befreit. Ironisch, dass eine privilegierte, sich selbst wunderschön findende, reiche Mittzwanzigjährige in New York ohne elterliche Einschränkungen gefangen fühlt. Die Ironie scheint aber auch an der Erzählerin nicht vorbei zu gehen, aber sie meint, dass sie das als Selbsterhaltung sieht. „Not that what I was doing was suicide. In fact, it was the opposite of suicide. My hibernation was self-preservational. I thought that it was going to save my life.“ (S. 7)

Ihren konstanten Wunsch zum Schlafen kann die Erzählerin trotz starker Ambitionen in dieser Richtung aber nur mit Medikamenten erfüllen. Ihr Körper scheint sich gegen den andauernden Zwang zum Schlaf zu wehren. So kann sie zum Teil trotz Medikamente nicht einschlafen und schaut sie Unmengen an Filmen an. Andere Male ist ihr Körper wach, ohne dass es ihr Geist ist und sie geht auf wilde Partys, was sie nur durch Fotos in ihrem Apartment erfährt. Ihr wird ihr Wunsch vom Schlafen zu einem Kampf von Mind against Matter. Auf die Art ist sie fast wie eine Ultamarathon-Läuferin, die etwas Unglaubliches macht, was lebensgefährlich ist und von einem Ehrgeiz zeugt, den die meisten nicht haben würden. Vollkommen nachvollziehbar? Nicht wirklich. Aber ambitioniert? Sicherlich.

Für mich war vor allem das letzte Drittel des Buches interessant. Hier wird die Auseinandersetzung mit der Sucht der Erzählerin behandelt und gleichzeitig der Konsum eines besonders starken Schlafmittels immer stärker. Der Schlaf ist traumlos, tief und drei Tage lang. Dargestellt in dem Buch ist der durch die Abstände zwischen den einzelnen Absätzen. Die Leere spricht für einiges, frei nach dem Motto „Zwischen den Zeilen lesen“. Die Erzählerin kann sich immer nur aus Context Clues erschließen, was in der Zeit passiert ist, ob sie aktiv war oder jemand sie besucht hat. Die Abstände sind immer gleich hoch, nicht sonderlich groß dafür, dass sie drei Tage darstellen, aber genau so ist Schlaf ja? Selbst wenn man ewig schläft, fühlt es sich manchmal an, wie nur fünf Minuten. Die Erzählerin meint dazu auch: „The speed of time varied, fast or slow, depending on the depth of my sleep.“ (S. 73)

Moshfeghs Portrait einer selbstverliebten, depressiven Frau hinterlässt durch die einzige Darstellung von Schlaf einen tiefen Eindruck. Man kommt nicht umhin, sich zu einem gewissen Grad auch einen einjährigen Schlaf zu wünschen, denn Moshfegh schafft es auf neuartige Weise (ein wenig wie die Selbstmonologe in De Beauvoirs „Die gebrochene Frau“, aber in Mittzwanzig) Schlaf in seiner Vollumfänglichkeit einzufangen. Schlaf ist nicht nur das Träumen oder die Zeit zwischen Einschlafen und Aufwachen. Schlaf ist essentiell für alle und gleichzeitig wie eine Droge: Gesund in Maßen. Es ist eine Projektionsfläche für den ultimativen Eskapismus und gleichzeitig ein Ort, an dem man sich sicher, geborgen und gelassen fühlt. Faszinierend, dass Moshfegh einen ohnmächtigen Zustand, den man ja eigentlich nicht fühlt, greifbar zu machen. Besonders schön, dass sie es durch eine unsympathische Heldin macht, sonst würde man sich vielleicht schlecht fühlen und das Buch so depressiv wahrnehmen, wie es eigentlich ist. Durch die abgehobene Art und den erhabenen Blick der Erzählerin bleibt das Buch aber herrlich leicht und unbelastet. Dadurch wird dieses Buch über Depression, Sucht und Schlaf bitterlustig und dunkel komödiantisch.

I love to sleep. Do you? Isn’t it great? It really is the best of both worlds. You get to be alive and unconscious.” — Rita Rudner, American Comedian

Titelbild: Populärkollektiv

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