Produktion: DRANGWERK
Das Performance-Stück „Eine wütende Frau“ baut eine Collage aus feministischen Perspektiven, Cello-Spiel und Körper-Theater. Es geht um den Status Quo von weiblich gelesenen Personen in der Gesellschaft, um Machtmissbrauch und um Oberarzt-Cowboys im Kreißsaal.
Ein Stück für alte weiße Männer?
Doch beginnen wir ganz von vorne. Das Stück kündigt sich selbst im Pressetext als „Stück für weiße alte Männer und solche, die es werden wollen.“ Es ist ein provokanter Aufruf an die Teile unserer Gesellschaft, die dieses Theaterstück wohl nicht erreichen wird. Denn viele alte, weiße Männer sind an diesem Abend nicht im Publikum zu sehen. Lediglich ein circa sechzigjähriger Mann setzt sich in die Reihe vor mir. Er trägt einen Siegelring, Nadelstreifenhemd und ein eher schickes Sakko. Damit fällt er unter dem sonst eher jungen, überwiegend weiblichen und alternativ-künstlerisch gekleideten Publikum schon auf.
Nachdem sich alle Zuschauer:innen auf der kleinen Tribüne zurecht geruckelt haben, wird es erst einmal still. Erwartungsvoll richten sich alle Augen auf die Bühne, auf der mehrere große Eimer verteilt sind. Durch ein Netz aus Bändern sind die Eimer mit den Traversen an der Bühnendecke verbunden. Hervorgehoben durch Lichtspots, sitzen bzw. liegen drei Frauen auf der Bühne.

Lage der Nation, aber in weiblich
Das Stück beginnt damit, dass die zwei Schauspielerinnen Lisa Sophie Kuss und Elisabeth Pleß stumme Schreie und verzerrte Gesichter zum Ausdruck bringen. Dass es hier nicht um gefällige, hübsch inszenierte Frauenkörper geht, ist erstmal nicht überraschend.

Während die Cello-Spielerin Elisabeth Codoux einen immer dringlicher werdende, rhythmische Melodie auf dem Cello spielt, reihen die beiden Schauspielerinnen nüchtern einprägende Fakten zur Situation der Frau in der heutigen, westlichen Gesellschaft aneinander:
75 % aller Entschuldigungen stammen von Frauen. […] Frauen verdienen durchschnittlich 18 % weniger als Männer. […] Die WHO nennt Gewalt als eines der größten Gesundheitsrisiken für Frauen.
Pressetext, DRANGWERK
Diese statistische Beweisführung wird ergänzt durch persönlich erzählte Ausschnitte aus dem Alltag von Frauen in einer Welt, die häufig noch durch Männer bestimmt wird. Wie im Gespräch mit einer guten Freundin vertrauen sich die drei Frauen auf der Bühne dem Publikum mit erschütternden Erfahrungen an. Eine erzählt von der Vergewaltigung durch einen Ex-Partner, eine von einer Begegnung mit einem Exhibitionisten als kleines Kind, eine von einem Macht-missbrauchenden Theaterregisseur.

Die meisten Fakten zur Lage der Frau sind mir bekannt und auch die persönlichen Geschichten kenne ich in verschiedenen Variationen aus meiner Lebenswelt und der von Freundinnen oder Bekannten. Das ruft bei mir zuverlässig auch dieses Mal Beklemmung hervor, da es verdeutlicht, wie häufig solche Vorfälle leider sind. Auch deshalb ist das für mich mit der emotionalste und stärkste Moment des Stücks. Ich vermute, es geht den Meisten im Publikum ähnlich.
Hampelei im Kreißsaal
Womit ich nicht so richtig warm werde, sind die gewollt stümperhaft inszenierten Gesangs-/Tanzeinlagen, die mal ulkig, mal kauzig wirken. In bester Riot-Grrl-Manier hüpfen, rumpeln und radebrechen die Schauspielerinnen Kusz und Pleß zu den experimentellen Cello-Einlagen von Coudoux. Die Bewegungen auf der Bühne sind intensiv körperlich, manchmal sogar krampfartig rhythmisch, wie bei einem Nervenzusammenbruch. Das passt zu der Tatsache, dass Gefühle von Frauen, insbesondere Wut, häufig pathologisiert (also als krankhaft dargestellt) wurde. Es überrascht mich aber nicht wirklich und war für mich in diesem Kontext irgendwie erwartbar. Deshalb bin ich von diesen Szenen sogar eher ein bisschen genervt.

Etwas aus dem Rahmen fällt eine Szene, die eine Geburt im Kreißsaal karikiert. Eine junge Assistenzärztin ist mit den Geburtskomplikationen überfordert und hampelt slapstick-mäßig um die gebärende Frau herum. Kunstblut spritzt und die Assistenzärztin entschuldigt sich andauernd für jeden Handgriff. „Natürlich“ braucht die Assistenzärztin Unterstützung vom breitbeinig eintretenden Oberarzt. Dieser macht zwei kurze Stiche und der Tag ist gerettet. Die Szene ruft Lacher im Publikum hervor und zeigt auf, wie tragikomisch das Patriarchat sein kann.
Fazit

Insgesamt war es eine runde Inszenierung, aber auch nicht wirklich überraschend. Unharmonischer, kantiger Sprechgesang und Ausdruckstanz sind inzwischen nicht mehr ein Bruch mit Konventionen, sondern selbst zu einer erwartbaren Trope des Theaters geworden. Bei aller Erwartbarkeit unterhält das Stück aber stellenweise auch und ruft einem die Dringlichkeit der feministischen Sache nochmal ins Gedächtnis. Es ist kein immersives Theatererlebnis, da die Szenen keine zusammenhängende Erzählung ergeben. Eher funktioniert das Stück wie eine Montage aus Schlaglichtern auf die Welt aus der Perspektive der titelgebenden wütenden Frau.
Mehr Informationen zum Stück und zu weiteren Spielterminen in Frankfurt und Siegen findet ihr hier.
Titelbild: Viola Sophie/DRANGWERK