Clubhouse: Hype oder logische Entwicklung?

Ende Januar bestimmte vor allem ein Thema meine Social-Media-Kanäle: Clubhouse. Wer hat noch einen „Invite“? Wer ist schon dabei? Welche Talks sind die angesagtesten? Wollte ich am ersten Tag noch überall reinhören, war ich schnell frustriert, dass ich zu spät eingeschaltet habe oder Gesprächsrunden verpasst habe. Lineares Programm? Gab es das nicht vor Jahren beim Fernsehen und ist das nicht längst überholt? In diesem Beitrag möchte ich herausfinden, ob Clubhouse mehr als ein Hype ist, nämlich eine logische Entwicklung unseres Medienkonsums und unserer Ansprüche daran.

Was ist Clubhouse?

Nüchtern betrachtet ist Clubhouse eine Audio-App. Manche sagen, es ist der heißeste Shit und die Plattform ist der neueste Trend im Social-Media-Angebot. Wenn ich meiner Mutter erklären würde, was Clubhouse ist, dann würde ich wohl sagen: Das ist wie Radio, nur ohne Musik und jede:r kann mitsprechen. Oder wie Podcast mit Zuhörer:innen-Beteiligung. Quasi eine virtuelle Gesprächsrunde für alle. Jede:r kann aktiv partizipieren. Alle Meinungen werden gehört. Der wohl perfekte Zeitvertreib für den Lockdown.

Das Prinzip klingt gut, es gibt aber auch viele Schattenseiten. Es gab viel Kritik an dem „Exklusivitäts“-Status. Man kommt nur über eine Einladung ins „Clubhouse“ rein… Die Sorge, etwas verpassen zu können, hat aus meiner Sicht zum Hype um die neue Plattform beigetragen. Aber ganz ehrlich: Nach drei Tagen waren doch schon alle dabei – sofern Sie ein iPhone besitzen, denn die App ist nur dort verfügbar. Aus meiner Sicht ist es ein Problem, dass jede:r zum/zur Moderator:in werden kann. Es gibt es keine verifizierten Accounts. Jede:r kann einen Raum öffnen. Das ermöglicht auch die Gruppierung von Menschen, die dort beispielsweise Verschwörungstheorien oder rechtsradikale oder homophobe Gedanken zu teilen. Auch das hat es selbstverständlich schon gegeben. Ein weiterer negativer Punkt ist, dass die App leider nicht barrierefrei ist. Es gibt keine Untertitel für gehörlose Menschen. Maggie Tyson hat in ihrem Instagram-Beitrag „The Good, the Bad and the Really Fucking Ugly“  das Positive und Negative von Clubhouse zusammengefasst.

Wer bereits von Clubhouse gehört hat, kam am Thema Datenschutz nicht vorbei. So müssen beispielsweise alle Nutzer:innen der App Zugriff auf die Kontakte geben. Die App erhält damit auch Daten von Personen, die gar nicht aktiv auf Clubhouse sind. Da ich keine Datenschutzexpertin bin, empfehle ich euch für weitere Informationen den Artikel von t3n.

Clubhouse: Hype oder logische Entwicklung?

Aus meiner Sicht ist die Audio-App Clubhouse aber mehr als nur ein neuer Hype. Ich glaube, dass viele Menschen sich auf so ein Format gefreut oder es sich sogar erhofft haben. Für mich ist Clubhouse eine logische Entwicklung unseres Medienkonsums beziehungsweise unserer Bedürfnisse an die Medien. Endlich kann ich selbst mitreden und werde zur/zum aktiven Gestalter:in einer virtuellen Gesprächsrunde. Endlich muss ich mich nicht mehr zwischen unzähligen Angeboten entscheiden. Endlich muss ich aktiv zuhören und habe keine Chance etwas nachzuhören.

Was ich mit diesen Sätzen andeuten möchte, ist folgende These: Clubhouse greift mit seinem Angebot unsere Bedürfnisse an ein Medienangebot auf, das wir lange vermisst haben. Wir wollen, anders als beim Podcast, nicht ständig aktiv auf die Suche nach neuen Inhalten gehen oder wie beim Radio einfach nur passiv rezipieren. Wir wollen mitreden und uns davor nicht durch unzählige Angebote wühlen. Clubhouse greift aus meiner Sicht das „Beste“ aus den auditiven Medienformen Radio – hier vor allem die Talkrunden – und Podcast auf.

Radio, Podcast und nun Clubhouse: Audioformate entwickeln sich immer weiter und beziehen sich dabei immer auf das Vorgängerformat. In der Medienwissenschaft spricht man dann von Remediation. Bildquelle: Unsplash/rexcuando

In der Medienwissenschaft hat dieses Phänomen sogar einen Namen: Remediation (Vgl. dazu David Bolter und Richard Grusin: Remediation. Understanding New Media. Cambridge 1999). Remediation bedeutet, dass neue und etablierte Medienformen ineinandergreifen.  Die neuen Medien greifen etablierte Dinge auf, gestalten diese neu und entwickeln sie weiter. Die alten, etablierten Formen werden in den neuen Medien technisch, narrativ und/oder ästhetisch umgestaltet.  Das alte Medium kann in der neuen Variante anerkannt, rivalisiert oder überarbeitet werden. Die Vorgängermedien reagieren auf die neuen Impulse und nehmen diese in ihren bewährten Strukturen auf.

Und diese Remediation passiert aus meiner Sicht gerade in der Audio-App Clubhouse. Clubhouse greift die Form der Gesprächsrunde auf, die sich im Podcast etabliert und beliebt gemacht hat und verbindet dies mit dem linearen Programm, das wir aus dem Radio kennen. Gesagtes ist im Clubhouse flüchtig. Und dieser Wunsch nach so einer Form ist aus meiner Sicht aus dem uns überflutenden Programm der Podcasts entstanden. Wir haben bei Clubhouse nur eine überschaubare Anzahl an aktuell stattfindenden Talks, bei denen wir aktiv zuhören müssen, da die Gespräche danach nicht mehr zur Verfügung stehen. Dinge werden nicht mehr dokumentiert und archiviert, wie wir das aus anderen Sozialen Netzwerken kennen, wie beispielsweise auf Instagram, das mittlerweile zum persönlichen digitalen Fotoalbum von uns geworden. Bei Clubhouse wird nur für den Augenblick gesendet. Das schafft ein Momentum und damit ein Gegenprogramm zu anderen Medien. Wir kehren mit Clubhouse zu einem vergänglichen Medium zurück. Auch das reizt sicher viele an der neuen Audio-App. Mir geht es beispielsweise bei Podcasts oft so, dass ich diese nebenher höre und schlussendlich nur wenig Inhalte daraus behalten kann. Mit Clubhouse wird das aktive Zuhören wieder gefördert. Wenn ich jetzt etwas nicht mitbekomme, kann ich es nicht nachhören.

Ein weiteren Nutzer:innen-Wunsch, der im Clubhouse erfolgreich aufgegriffen wird, ist die aktive Partizipation an Audio-Inhalten. Wer hatte nicht auch schon mal den Wunsch, einen eigenen Podcast zu etablieren? Mit Clubhouse kann man ohne großen technischen Aufwand selbst zur/zum Sender:in werden. Einfach einen Raum selbst eröffnen oder sich auf eine virtuelle Bühne holen lassen und mitsprechen. Einfacher war Partizipation in Audio-Formaten noch nie.

Und auch etablierte Medien können die Chance nutzen, Inhalte von Clubhouse in ihre bestehenden Programme zu etablieren. So verbreiten sich auf meinem Twitter-Feed schon zahlreiche Screenshots von Gesprächsrunden. Die ZEIT ONLINE Morgenkonferenz auf Clubhouse (Montag bis Freitag von 9 bis 9:30 Uhr) sucht beispielsweise über Clubhouse neue Geschichten aus dem Clubhouse-Publikum. Die bewährten Medienformen greifen also nach dem Prinzip der Remediation die neuen Impulse aus dem Clubhouse auf und entwickeln sich damit selbst weiter.

Clubhouse kann sogar zu einer neuen Form der journalistischen Berichterstattung führen. Die Journalistin und Medienkritikerin Samira El Ouassil sagt in einem Podcast-Gespräch mit Holger Klein Folgendes:

Es wird eine neue journalistische Form, dass Leute nacherzählen, was auf Clubhouse passiert ist – unter der Prämisse, dass man darauf vertrauen muss, dass das auch stimmt.

Samira El Ouassil in „Holger ruft an … wegen Clubhouse“

Vielleicht werden wir als Informationsquelle in der tagesschau bald hören: „Sagte Politikerin xy in einem Clubhouse-Gespräch“. Samira El Ouassil kann sich vorstellen, dass die Audio-App als journalistische Quelle genutzt werden kann. Allerdings kann nicht nachgeprüft werden, ob die Person die zitierten Aussagen auch getroffen hat. Die Zuhörer:innen, die die Aussagen wiedergeben, müssen von der Gesellschaft als glaubwürdig anerkannt sein.

Meine Clubhouse-Erfahrungen

FOMO – also die Angst, etwas zu verpassen – habe ich nicht – oder besser gesagt nicht mehr. Ich wollte natürlich auch von Anfang an dabei sein, habe mich aber noch nicht in das Konzept der App einfinden können. Für mich ist es noch schwer, die festen Zeiten der einzelnen Talks in meinen Alltag zu integrieren. Ich muss mich an das lineare Audio-Programm erst wieder gewöhnen. Ich bin zudem noch etwas zwiegespalten beim Flüchtigkeitsfaktor der App. Das ist wahrscheinlich wie bei einem Konzert. Es gibt Menschen, die  die ganze Show mit dem Handy mitfilmen, um sie sich im Nachgang nochmal anzuhören. Und es gibt diejenigen, die den Moment genießen und im Nachhinein die Show aus ihren Erinnerungen wieder aufleben lassen.

Auf jeden Fall hilft mir das überschaubare Programm auf Clubhouse, eine schnelle Entscheidung zu treffen. Ich kann mich bei der Flut an Podcasts, Filmen und Serien kaum noch entscheiden – und zweifle danach auch immer, ob es nicht noch etwas Besseres gäbe. Clubhouse greift genau das Problem auf und macht es zu seiner Stärke: Es gibt nur das, was auch aktuell gesendet wird. Der Streaming-Anbieter Netflix hat das Prinzip des linearen Programms auch schon aufgegriffen und bietet seit Herbst 2020 in Frankreich als Test ein lineares Programm an.

Ich bin gespannt, wie sich Clubhouse und auch die etablierten Medienformen weiterentwickeln werden. Falls ihr schon aktiv seid, dann empfehle ich euch Mona Ameziane (1Live-Moderatorin) und ihrem Bücher Lunch zu folgen. Weiter spannende Akteure sind Peter Wittkamp (Hauptautor der heute show), Steffi Tönjes (Kommunikatorin bei der Telekom), Magdalena Rogl (Managerin bei Microsoft), Verena Lammert (Social-Media-Trendsetterin und Gründerin von Mädelsabende) und Katja Diehl (Podcasterin für Nachhaltigkeit und Mobilität der Zukunft)

Beitragsbild: Unsplash / williamk

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