Ein Gastbeitrag von Jana Burnikel von Boob Books.
Frauen haben Lust auf Sex? Kann nicht sein! Insbesondere die Medien führen uns immer wieder vor, dass Frauen* eigentlich eher den passiven Part einnehmen, wenn es um sexuelle Wünsche und Praktiken geht, während Männer eben der aktive, der „vorstoßende“ Gegenpart sind. Wie oft haben wir schon auf der Leinwand mitverfolgt, wie die sittsame Frau im Sturm vom Testosteron-geladenen Mann erobert werden muss, damit sie sich hingebungsvoll in seine starken Arme retten kann, um schlussendlich auch körperlich voll und ganz sein Eigentum zu werden? Und auch in der Porno-Industrie wird der Frau oft die passive Rolle zugewiesen: Sie lässt sich unterwürfig „nehmen“ statt „es dem Partner zu geben“, denn dieser Teil liegt ganz klar beim Mann. Aber stimmen diese vermittelten Bilder zu männlicher und weiblicher Sexualität mit der Realität überein? Alles ankonditionalisierter Käse, so eine der Haupt-Statements von Kolumnistin und Journalistin Katja Lewina in ihrem Buch „Sie hat Bock“.
Die Lektüre
Ganz ehrlich: Für Katja Lewinas „Sie hat Bock“ braucht es am Anfang echt eine große Portion Entkrampfung. Ich wenigstens war am Anfang beim Lesen vollkommen verklemmt. Dabei halte ich mich eigentlich für ziemlich aufgeklärt und vor allem abgebrüht. Aber beim Lesen flüsterte irgendwo in meinem Kopf stets eine Stimme: Uff – so was kann Frau* doch nicht schreiben! Das ist viel zu offenherzig, viel zu direkt, viel zu „dirty“ (was eine ganze Menge über meine eigene Sozialisierung aussagt). Daher, sorgt euch nicht, denn diese Beklemmung vergeht und sie ist letztendlich nur das Symptom gesellschaftlicher Konditionierung, die wir Frauen* mitgemacht haben und mitmachen. Ein Auswuchs dieser Konditionierung: Bock auf Sex haben nur Männer (zu haben). Und Frauen haben sich brav nach einem veralteten, korsett-geschnürten Schönheitsideal herzurichten und Zu Hause still und leise neben dem zubereiten Hackbraten auf den Mann zu warten, der voll sexueller Spannung irgendwann heim kommt und sich nimmt, was er will. Vielleicht leben wir dieses überspitzte Bild heutzutage nicht mehr ganz so extrem. Aber die Überreste dessen schlummern in uns allen.
Schlampe vs. Stecher
Warum geben Frauen* eigentlich statistisch gesehen mehr Blowjobs, als sie umgekehrt geleckt werden? Und wieso faken so viele Frauen* ihren Orgasmus beim Sex? Katja Lewina hat nicht nur für jeden Aspekt des weiblichen Begehrens bzw. des weiblichen Körpers ein eigenes Kapitel (Beispiel: „Mund auf – Damit Lecken genauso selbstverständlich wird wie Blasen“). Ihre Kern-Messages an ihre Leser*innen sind in fast allen Kapiteln gleich: Lasst uns die gesellschaftlichen Normen in unseren Köpfen ab und unsere eigenen Gefühle, unser eigenes Wohlbefinden und unsere LUST stattdessen auf „on“ setzen. Wie Sprache unsere Sexualität und den Sexismus prägt, nutzt Lewina daher immer wieder als Beispiel, um unsere sozialen Gefüge zu verdeutlichen: Warum ernten Männer eigentlich die allgemeine Akzeptanz, wenn nicht sogar Ansehen, wenn sie mit einer möglichst hohen Anzahl an Frauen schlafen, während Frauen mit vielen Sexualpartner*innen direkt als Schlampen abgestempelt und damit entmoralisiert werden? Weil wir immer noch im Patriarchat leben und weil wir uns alle immer noch allzu oft brav in das bestehende Machtsystem einfügen, so Katja Lewina.
Vulva versus Vagina – is there a difference?
„Sie hat Bock“ führt uns durch all die Aspekte durch, in der sexuell betrachtet absolute Ungleichheit zwischen den Geschlechtern herrscht, eingeschlossen der Fragen nach Verhütung (wer zahlt und wer unterzieht sich letztendlich jahrelangen Hormon-Einflüssen?), nach körperlicher Behaarung (warum müssen Frauen sich eigentlich jedes einzelne Haar entfernen, um wie ein vorpubertäres Mädchen auszusehen?) und nach dem Mythos rund um Jungfräulichkeit (Männer sollen möglichst früh zum Zug kommen, während Frauen bis zur Ehe unberührt bleiben). Doch ganz besonders viel mitgenommen habe ich aus dem Kapitel über die Bezeichnung für das weibliche Kapital („Gib dem Baby einen Namen – Das Unsichtbare sichtbar machen“). Katja Lewina zeigt darin nämlich solche Dinge wie den simplen Tatbestand auf, dass Kinder in der Schule im Sexualkundeunterricht den Unterschied zwischen Vagina und Vulva nicht lernen. Und dass es sowieso für das weibliche Genital sehr viele entwertende und sexualisierende Namen gibt – Pussy, Möse, Fotze. Natürlich alles ein Symptom des vorherrschenden Patriarchats. Zitat Lewina: „Sprache ist ein Instrument der Macht und gleichzeitig Spiegel der Machtverhältnisse. Durch Benennung bewerten wir und verleihen Bedeutung. Mit anderen Worten: Etwas, für das es keine präzise Bezeichnung gibt, wird gesellschaftlich kaum Anerkennung erfahren.“ (Seite 29)
Thema Monogamie
Und wie ist das mit der Monogamie – ist doch eigentlich alles ein soziales Konstrukt und längst überholt – oder? Katja Lewinas „Sie hat Bock“ ist nicht nur eine Sammlung von Kolumnen, die sie selbst über die Jahre in verschiedenen Medien wie der Süddeutschen Zeitung und im Playboy veröffentlichte. Lewina unterfüttert auch alle ihre Bestandsaufnahmen mit persönlichen Anekdoten, bei denen sie nicht im Detail spart. Sie erzählt beispielsweise von ihrem eigenen Sexualleben, denn Lewina lebt seit Jahren in einer offenen Beziehung. Mit ihrem Partner, mit dem sie Kinder hat, ist sie emotional exklusiv, aber nicht körperlich. Beide gehen ab und zu auf die Suche nach sexuellen Abenteuern außerhalb der Tandem-Beziehung – und Lewina ermutigt uns dazu, das Konzept der Monogamie ebenfalls infrage zu stellen. Warum nicht mal was Neues ausprobieren und einen Dreier vorschlagen? Oder mit dem Partner Konditionen abstecken, wie eine offene Beziehung funktionieren kann? Ich fand diese Einblicke sehr ehrlich und erfrischend. Meinen Horizont haben die Anekdoten definitiv erweitert – auch wenn ich nicht sicher bin, ob ich der offenen Beziehung eine Chance geben will. Als erste Amtshandlung wird der Rasierer weggepackt. Das Corona-Jahr ist für das Unterfangen „weibliche Körperbehaarung deluxe “ja bestens geeignet.
Fazit
Dieses Buch werde ich definitiv mindestens ein Mal pro Jahr zur Hand nehmen und so ziemlich allen in meinem Umkreis empfehlen. Female Empowerment vom Feinsten. Die Original-Rezension und weitere Texte über feministische Literatur gibt’s auf www.boobbooks.de.
Katja Lewina
„Sie hat Bock“
Seitenanzahl: 224
Preis: 20,00€ (D)
Erschienen im März 2020 beim DuMont Verlag
ISBN: 978-3832181178
Bildquelle: DuMont Verlag
Das Interview mit Jana und Carlotta, den Gründerinnen von Boob Books, findet ihr hier.
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