Rezension: „Allegro Pastell“ von Leif Randt

Es ist das Buch der Stunde: Allegro Pastell hat in den letzten Wochen viel Furore gemacht und es wird überall besprochen. Ich war neugierig, was hinter dem Hype steckt. Vorab kann ich schon so viel sagen: Selten war ich bei einem Buch so zwiegespalten. Aber zum Nachdenken hat mich Allegro Pastell auf jeden Fall angeregt.

Klischee-Millenials

Während der Recherche habe ich mir einige andere Rezensionen zu Randts Buch durchgelesen. Dabei sprechen eigentlich alle Rezensent*innen an, dass das Buch eine präzise Beschreibung der Millenial-Generation ist. Ob man es jetzt Milieu-Studie oder Generationsroman nennt, ich muss mich diesem Urteil anschließen. Die Hauptfiguren, Tanja und Jerome, gleichen Millenial-Reißbrettentwürfen. Sie haben ihr Leben bis ins kleinste Detail im Griff, sind furchtbar selbstreflektiert und ihr Handeln gleicht einem ständigen Geschmackswettbewerb. „Distinktionsvirtuosen“ nennt Ijoma Mangold das in seiner Zeit-Magazin-Rezension. Jerome zum Beispiel ist traumatisiert davon, dass er mal auf einer Party auflegen sollte. Weil er Angst hatte, dass die Partygäste seine Musikauswahl nicht gut finden würden, meldete er sich am Tag der Party krank. Jahre später sitzt eine Liebhaberin mit ihm im Auto und er bekommt Schweißausbrüche bei der Aufgabe, die Frau mit seiner Musikauswahl per Spotify beeindrucken zu wollen. Es klingt lächerlich, es ist lächerlich, aber es ist wohl auch wahr. Die soziologische Beobachtung kommt mir korrekt vor.

Technikaffinität und Denglisch

Zu einem authentischen Millenial gehört eine große Technikaffinität und eine gesunde Portion Denglisch. Beides hat Randt versucht, in seinen Roman einzuarbeiten. Mit dem Denglisch habe ich meine Probleme. Manche Stellen haben für mich einen großen Wiedererkennungswert. Ich (schließlich laut Wikipedia-Artikel auch noch gerade so zu den Millenial-Jahrgängen zählend) rede auch manchmal so. Da ist halt die „Insta-Story“ der Kommilitonin „voll nice“. An anderen Stellen muss ich mich allerdings dann doch ziemlich am Kopf kratzen und frage mich, ob Menschen Mitte Dreißig wirklich so reden? Ich kenne niemand, der eine*n Partner*in als „girlfriend“ oder „boyfriend“ bezeichnet. Wer weiß, vielleicht reden Randt und seine peer group (mir fällt tatsächlich kein besonders passender, deutscher Begriff dafür ein) wirklich so.

Glaubwürdiger finde ich die Adaption des technologischen Alltags in Romanform. Im Buch sind immer wieder Textnachrichten und E-Mails integriert, inklusive Emojis. Dass sie den Lesefluss ein bisschen durcheinander bringen, trägt meiner Meinung nach sogar zur Authentizität bei. Mein Alltag ist zumindest auch ein ständiges Hin- und Herschalten zwischen verschiedenen Kommunikationskanälen, die sich die ganze Zeit gegenseitig ins Wort fallen. Insgesamt überwiegen im Buch aber ganz klar die Seiten mit konventioneller Erzählung. Ein Roman nur aus E-Mails und Kurznachrichten wäre ja sogar noch konsequenter, aber er würde das sowieso schon etwas anstrengende Buch nur noch unlesbarer machen.

Alles ist Methode

Was am Anfang wie irritierend belanglose Alltagsschilderung von narzisstischen Mittdreißigern wirkt, hat Methode. Der Stil ist genauso kontrolliert, wie die Figuren, die Randt beschreibt. Den Lesegenuss steigert das nicht unbedingt. Randt hat eine sehr clevere Verschränkung von Form und Inhalt geliefert, die sich beim Lesen deshalb notwendigerweise blutleer anfühlt. Es fällt mir schwer, diesen Stil dem Buch nur als Stärke auszulegen.

Reflexion und Oberfläche

Die soziale und demographische Schicht, die Randt mit Allegro Pastell umreißt, hat keine nennenswerten Krisen durchlebt. Vielleicht hat sie deshalb so viel Zeit, über sich und ihr eigenes Tun nachzudenken. Das bedeutet aber auch, dass keine Emotion uneingeschränkt einfach nur gefühlt wird. Selbst das Buchcover ist durch und durch getränkt von dieser Haltung der kontrollierten Überzeugung mit ironischer Brechung. Sanfte Pastellfarben auf einem geschmackvoll geriffelten Hardcover mit einem fast schon ins Kitschige driftenden Bild einer Straßenlaterne-Allee in waberndem Dunst.

Das Buch sieht aus wie einem Moodboard auf Instagram entsprungen und lässt sich genau da auch perfekt integrieren. Ich fühle mich auf eine lustige Weise ertappt, als ich das Cover in meiner Story poste und dazu tippe „most instagrammable book ever“, wohlwissend, dass ich damit genau die Form der selbstironischen, denglisch-geprägten Selbstinszenierung betreibe, auf die Randt permanent anspielt.

Den Millenials wird nachgesagt, dass sie alles nur noch ironisch gut finden können. Das ist eine doppelte Verallgemeinerung, die man schlecht auf einzelne Individuen und einzelne Situationen anwenden kann. Aber intuitiv würde ich unterschreiben, dass ich eine Tendenz in die Richtung auch so wahrnehme. Ich gehöre selbst zu dieser Generation und in vielen Situation bin ich schuldig im Sinne der Anklage. Ironische Brechung gehört zu einen der Standardmodi, in denen ich konsumiere und lebe. Andererseits bin ich diesen Modus mehr als satt. Er drückt auch eine gewisse Unsicherheit aus. Etwas uneingeschränkt und einfach nur so „gut“ oder „schön“ zu finden, ist ein Risiko. Es könnte ja sein, dass jemand anderes dieses Empfinden nicht teilt oder schlimmer noch, als „naiv“ verurteilt. Von so einem Urteil kann man sich schnell frei machen, indem man alles auf einer selbstreflektierten Ebene bricht. Es verlangt also manchmal mehr Mut, Dinge uneingeschränkt „gut“ und „schön“ zu finden. Manchmal merke ich an mir selbst, dass bei mir eine Art „Reflexions-Reflex“ einspringt. Ich kann gar nicht anders, als alles, was ich gut finde, auf einer übergeordneten Ebene noch mal anders einzuordnen.

Man kann auch dieses Buch nur gut finden, indem man genau diese Haltung der selbstironischen Brechung annimmt. Man kann das Buch nicht einfach nur so „gut“ finden. An dieser Stelle trennen sich die Geschmäcker: Entweder, man liest gerne so vergeistigt und distanziert von einem Text. Oder man favorisiert Bücher, die einen mitnehmen. Ich habe den Eindruck, dass ein Satz über die Hauptfigur Tanja auch auf Leif Randt selbst zutrifft:

Tanja schrieb Texte, die vor allem Menschen berührten, die so ähnlich waren wie sie selbst.

Leif Randt, Allegro Pastell, S. 207

So genau, wie Randt die Selbstreflexion der Millenials beschreiben kann, kennt er das wohl auch von sich selbst. Er wird vermutlich auch so selbstreflektiert sein, dass er sich den Parallelen zwischen Tanja und ihm selbst bei diesem Satz bewusst ist. Diese sich ständig überlagendernden Ebenen von Selbstreflexion und Rückbezug auf sich selbst sind auf die Dauer aber nicht nur klug, sondern anstrengend und wirken arrogant. Dabei ist mir selber nicht ganz klar, ob ich davon genervt bin, weil es mir auch meine eigene Selbstbezogenheit vor Augen führt. Aber ich vermisse auf jeden Fall, dass das Buch emotional irgendetwas in mir auslöst. Es ist keine Geschichte, die in mir nachlebt und einprägsame Bilder erzeugt.

Zielgruppe „Langweilige Elite“

Mehr noch als die emotionale Leere stört mich, dass das Buch nur für die Menschen interessant ist, die es beschreibt. Und das schließt einen großen Teil der deutschen Bevölkerung (und der Weltbevölkerung sowieso) aus. Ich habe gar nichts grundsätzlich gegen Bücher, die eine bestimmte Gesellschaftsschicht oder Bevölkerungsgruppe beschreiben. Aber dass man sich gerade die irgendwo doch ziemlich langweiligen Akademiker-Millenials aussuchen muss? Wer will das denn lesen, außer die Leute, die selbst gemeint sind? Die überwiegend positiven Rezensionen in anderen Zeitungen und Magazinen verstärken bei mir den Eindruck, dass vor allem Brüder*innen im Geiste sich in dem Roman und in der verkopften, ironischen Distanzierung davon wiederfinden. Das ist mir dann doch irgendwie zu selbstverliebt.

Lesen oder nicht?

Ja und Nein. Randt hat es geschafft, eine präzise Gegenwartsbeobachtung über Millenials so zu schreiben, als ob diese sie selbst geschrieben hätten. Das ist an einigen Stellen ermüdend zu lesen, aber aus der Beobachterperspektive interessant. Die Figuren bleiben aus Prinzip unsympathische, wenig greifbare Klischees. Die methodische Stärke ist zugleich die größte Schwäche von Allegro Pastell: Es berührt mich einfach nicht. Abgesehen davon bleibt die Frage, ob das Buch tatsächlich vor allem den Menschen gefällt, um die es in dem Buch geht (und da schließe ich mich mit ein). Ich muss ein bisschen zerknirscht zugeben: Das Buch ist wirklich erstaunlich klug und genau, aber die angestrengte Dauer-Reflexion ist ermüdend und hinterlässt ein schales Gefühl. Ich kann nicht endgültig entscheiden, ob ich das Lesen empfehle oder eher davon abrate. Dass mich Allegro Pastell so Millenial-typisch unentschieden zurücklässt, ist vielleicht der letzte Narrenstreich Randts.

Bewertung

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