Umberto Eco: Eine Bibliothek der Welt – Filmreview

Als Master der Medienkulturwissenschaften ist Umberto Eco für uns beim Blog nicht nur ein Begriff, sondern auch eine Ikone. Nicht umsonst haben wir unseren ersten Sticker mit „Dating Umberto“ beschriftet (Sticker auf Anfrage immer noch erhältlich). Eco, der der Allgemeinheit vor allem aufgrund von „Im Namen der Rose“ bekannt sein wird, hat uns mit seinen Texten zu Semiotik und Autor:innenschaft durchs Studium begleitet. Nun hat Davide Ferrario ein weiteres Werk Umberto Ecos dokumentarisch festgehalten: Seine Bibliothek. Wir durften den Film bei der Premiere in Köln sehen und wollten euch Einblick geben, ob der Satz stimmt „Wer das Buch nicht ehrt, ist die Bibliothek nicht wert.“?

Ein Film für eine Bibliothek?!

Umberto Eco wurde in den 80ern mit einem Buch schlagartig weltberühmt: Im Namen der Rose. Sein erstes Buch, geschrieben mit 48, doch er war bereits weit vorher eine Koryphäe in seinem Metier: Der Semiotik. Umberto Eco, Sprachenliebhaber, Semiotiker, Buchphiler. Als letzterer hatte er selbstverständlich auch eine große Bibliothek. Über diese drehte Davide Ferrario nun eine Dokumentation, mit Interviews mit Umberto Eco, Führungen durch die Bibliothek von Eco selbst, seinen Kindern und Kindeskindern. Dazwischen sind einzelne, von Umberto Eco verfasste Texte gesteckt und alles wurde mit einem kräftigen Schubs Humor bestreuselt.

Erinnern, Erzählen und Lügen

Unterteilt ist der Film in drei Akte: Erinnern, Erzählen und Lügen. Das scheinen zentrale Themen in Umberto Ecos Bibliothek gewesen zu sein. Für Umberto Eco ist das Erinnern sehr wichtig. „Ohne Erinnerung kann man keine Zukunft gestalten“, so meint er. Und das Erzählen lässt einen weit mehr Leben leben, als das eine, das man hat. Außerdem: Keine Bücher in seiner Bibliothek seien wahr. Es gibt Bücher darüber, dass die Welt flach ist, über Verschwörungstheorien und Mythen.

„Ohne Erinnerung kann man keine Zukunft gestalten“

Auf eins dieser angesprochenen Themen möchte ich aber ausführlicher eingehen. Der Film regt sehr zum Denken an und über das gerade genannte Zitat habe ich viel nachgedacht. Er geht beim Punkt des Erinnerns genauer auch auf das Internet ein. Durch das Internet würden die Menschen ihr physikalisches Erinnerungsvermögen nicht mehr verwenden, sondern sich auf ihr digitales Erinnerungsvermögen verlassen. Doch so, wie man die Floppy Discs der 70er Jahre jetzt nicht mehr lesen kann, so ist nicht gegeben, dass man die Festplatten und Server des Internets in 50 Jahren noch lesen kann. Bücher dagegen können wir jetzt noch von vor 500 Jahren lesen. Dass wir uns so auf das Digitale verlassen, ist fatal, denn unsere Erinnerung ist doch integral für das Planen einer Zukunft. Dieses Argument leuchtet mir ein. Es ist ein Punkt, der häufig auch im Kontext des Holocausts fällt. Nach dem 2. Weltkrieg gab es im Kulturbereich (und auch in anderen Bereichen) Überlegungen, wie man mit dieser Erinnerung umgeht. Vergessen und weitermachen, erinnern und nicht weitermachen oder erinnern und weitermachen. Das wird als eine der Begründungen gesehen, warum so viel Künstler:innen in die abstrakte Malerei gingen. Ihre Erinnerungen formten also ihre Zukunft. Und genauso handeln wir in anderen Bereichen ja noch bis heute. Unsere kollektiven und individuellen Erinnerungen fließen in unsere Planung für die Zukunft ein.

Davide Ferrario wurde bei der Premiere des Films in Köln dazu befragt und meinte in etwa, dass die Jugendlichen von heute kein Erinnerungsvermögen durch das Internet mehr haben würden und daher keine Zukunft planen würden (das ist natürlich eine sehr starke Zusammenfassung aus der Erinnerung). Eine Frau warf (meiner Meinung nach sehr passend ein), dass das auch daran läge, dass Orte der Erinnerung zerstört werden würden, so wie etwa in Lützerath. Ich glaube aber darüber hinaus, dass trotz Internets auch Digital Natives sich durchaus erinnern und auch eine Zukunft vorstellen können. Er (Davide Ferrario an der Premiere) meinte darüber hinaus, dass die Jugendlichen nur noch im Jetzt leben und wollen, das alles so bleibt, wie jetzt. Als, zugegeben nicht Jugendliche, aber immerhin eher junge Person, stimme ich dem ebenfalls nicht zu. Wir denken gerade aktuell viel an 1933 und es gibt durchaus Konzepte, Ideen und Lieder über die Zukunft („Ich träume von einem Land, in dem für immer Frühling ist…“). Offensichtlich war am Ende des Filmgesprächs, dass Umberto Ecos Gedanken zum Erinnern viel Raum für Interpretation lassen. Und das, obwohl er von allen Philosoph:innen noch die direkteste Sprache wählte. Auch die Doku bietet viele spannende Anreize und Ideen. Man (und damit meine ich mich) ist glatt gewillt, mal wieder einer der Texte über Semiotik zu lesen.

Bild: Populärkollektiv

Haben Sie die ganzen Bücher auch gelesen?

Was mir am Ende in der Doku gefehlt hat, wird auch im Nachgespräch leider nur angeteast. Die Übersetzerin Paola Barbon, die auch mit Umberto Eco arbeitete, und Regisseur Davide Ferrario erzählen, dass er auf die Frage, ob er denn alle Bücher in der Bibliothek gelesen habe, immer mit einer Antwort entgegnete wie: Das hab ich mir für morgen vorgenommen. Das ist natürlich unterhaltsam, aber hinter der Frage steckt eigentlich auch eher die Frage, wie er mit der Bibliothek gearbeitet hat. Hat er die Bücher in einem gewissen System verwendet? Hat er manche für verschiedene Arbeiten durchblättert? Wie hat er ein Buch wiedergefunden? Warum waren genau diese Bücher da? Es wird kurz erwähnt, dass alles „falsche“ Bücher sind, aber genauer wird auf den Inhalt nur in Bezug auf die antiken Bücher eingegangen. Umberto Ecos Interaktion mit den Büchern und der größte Teil der Bibliothek, um die es in diesem Film geht, bleibt bis zum Ende ein Enigma.

Trotzdem…

Was ich an der Dokumentation fantastisch fand, war die Aufbereitung. Es gab immer viel zu sehen, es wurde viel erzählt und die Bilder waren auch mit schöner, klassischer Musik unterlegt. Es wurden auch andere, ikonische Bibliotheken aus aller Welt gezeigt und viele Mitglieder aus Ecos Familie erzählten amüsante Geschichten aus der Zeit mit Umberto Eco. Auch wenn der Film nicht den Anspruch einer Biografie hatte, führte es doch ein wenig durch das Leben und das Wesen Umberto Ecos.

tl;dr (too long; didn’t read)

„Umberto Eco – Eine Bibliothek der Welt“ ist eine gutgelaunte Biografie einer Bibliothek, mit amüsanten Geschichten über den Erschaffer Umberto Eco, mit vielen schönen und lustigen Einlagen, Interviews und gaaanz vielen Büchern. Wer sich mal wieder mehr mit Umberto Eco, seinen Gedanken, Büchern und Bibliotheken auseinandersetzen will, dem empfehle ich diesen Film wärmstens, für alle anderen ist es ein guter Film für ein kleines Schläfchen.

Bild: Populärkollektiv

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