Ich bin mir sicher, jede:r von euch hat so einen: Ob neben dem Bett, im Regal oder zumindest digital aufgelistet: Einen Stapel, der manchmal immer größer wird, auf den man mit Vorfreude entgegenfiebert und der wahrscheinlich niemals verschwinden wird. Auf meinem befinden sich momentan 10 Bücher – ich spreche vom Tsundoku.
Tsun-was? Fragt ihr euch jetzt vielleicht. Ich bringe etwas Licht ins Dunkle: Tsundoku kommt aus dem Japanischen und lässt sich in etwa mit „aufstapeln und lesen“ übersetzen. Tsundokus sind unsere Bücher, die wir entweder physisch oder digital aufstapeln, allerdings noch nicht gelesen haben, dies aber unbedingt tun möchten. Also eigentlich unsere kleine – oder manchmal auch größere – Bibliothek der ungelesenen Bücher. Falls euch der Begriff Tsundoku kein Begriff ist, dann kennt ihr vielleicht die Abkürzungen „SuB“ (Stapel ungelesener Bücher) oder „TBR“ (to be read).
In Magazin der Süddeutschen Zeitung bin ich vor ein paar Wochen auf einen spannenden Beitrag gestoßen und die Überschrift hat mich zum Nachdenken gebracht: „Ein ungelesenes Buch ist immer noch besser als kein Buch.“ Der Autor beschreibt, dass Millionen von Büchern gekauft werden, ohne dass sie jemals jemand liest. Durchschnittlich kaufe jede:r Leser:in im Jahr 12,3 Bücher – Tendenz steigend. Laut ihm sei das jedoch nicht bedauerlich, dass davon viele Bücher ungelesen bleiben, sondern auf einem Stapel landen. Denn da ist für ihn noch der „Zauber der eigenen Vorstellungskraft.“
Und was soll ich sagen: Ich gebe ihm Recht! Ich möchte kein einziges Buch auf diesem Stapel missen und liebe das Gefühl, durch Buchhandlungen zu streifen und mir ein neues Buch zu kaufen oder online auf Buchblogs und Instagram-Kanälen zu stöbern und neue Titel zu entdecken. Für mich ist dieses „Entdecken“ von Büchern auch irgendwie ein Teil des Lesens. Es gehört genauso für mich dazu und macht den Prozess „Bücherlesen“ für mich komplett.
Manchmal holt man sich dann ein Buch, aber manchmal ist man nicht in der Lesestimmung für den Inhalt. Ein Winter-Krimi aus Skandinavien ist vielleicht nicht der perfekte Reisebegleiter für den Sommerurlaub oder das komplexe Sachbuch etwas für die entspannte Feierabendlektüre im Bett. Ein Buch, das schon lange auf meinem Tsundoku liegt, habe ich im Februar 2020 zum Geburtstag geschenkt bekommen. Wer erinnert sich noch an diesen Monat? Da gab es so ein Virus, das aber noch relativ weit weg war in China… ich ging zu Konzerten, Essen und trug keine Masken. Hätte ich mir damals vorstellen können, dass Reisen, Freunde treffen und ein Leben, wie wir es bisher kannten, bald nicht mehr möglich war… Das Buch „Vom Glück zu reisen“ von Philipp Laage liegt seitdem auf meinem Stapel – unangetastet, weil ich diese Lust aufs Reisen dann nicht mehr ganz so hatte… Und so haben viele Bücher auf den Tsundokus eigene Geschichten, warum sie dort gelandet sind.
Meinen Bücherstapel seht ihr oben im Titelbild. Auch Katrin und Kim können einen ordentlichen Stapel vorweisen und möchten euch ihren Tsundoku nicht vorenthalten. Da ist für die nächsten Monate noch ordentlich Lesestoff vorhanden:


Natürlich haben auch bekannte Personen der Bücherwelt solche Stapel. Hier seht ihr beispielsweise Mona Amezianes Tsundoku auf ihrem Nachttisch:
Doch einen Nachteil hat dieses Sammeln und Hamstern von Lesestoff: Manchmal setzt es einen auch unter Druck. Der Stapel wird immer größer. Die – zumeist auch nur gedanklich – festgehaltene und selbst erstelle Leseliste wird immer länger. Ein „Hast du das schon gelesen?“ oder „das ist doch ein Klassiker“ einer anderen Person oder eines Online-Posts steigert diesen Druck und in mir entsteht das Gefühl, dass mein Leserepertoire ohne all diese noch nicht gelesenen Bücher nicht vollständig sei. Und dieses Gefühl, etwas lesen zu müssen, weil es alle gelesen haben, ist nicht schön.
Für genau dieses Problem habe ich aber neulich eine Lösung entdeckt, die ich euch nicht vorenthalten möchte. Wenn also das nächste Mal jemand fragt, ob du dieses oder jenes Buch schon gelesen hast – sei es Klassiker oder neuester Trend – dann antworte mit Stolz „NEIN“ und freue dich, dass du es noch vor dir hast. Ein Tipp aus dem Drinnies-Podcast – zwar zu Serien aber aus meiner Sicht auch auf Literatur anwendbar: Seid froh, dass ihr diese Werke, von denen alle schwärmen, noch nicht rezipiert habt! Ihr könnt ihren Zauber noch erleben! Habt noch alles vor euch! Also freut euch drauf neue Werke zu entdecken – denn unsere Tsundokus haben kein Limit und die Vorfreude auf neuen Bücherstoff wird nie gebremst. Viel Spaß beim Lesen!