Ab und zu höre ich den “Danke, gut”-Podcast von Miriam Davoudvandi. Darin geht’s um psychische Probleme, mentale Gesundheit und Popkultur. Vor Kurzem waren Giulia Becker und Chris Sommer vom redaktionsintern sehr beliebten Drinnies-Podcast zu Gast und haben mit Miriam unter anderem über Introversion gesprochen. Dabei kam direkt zu Beginn ein inzwischen sehr alltägliches Problem zur Sprache: das (verspätete) Antworten auf Instant Messages bei WhatsApp und co. Chris wirft ein, dass Nachrichten im Internet immer eine Bringschuld bei dem:der Empfänger:in erzeugen. Wer angeschrieben wird, muss so schnell wie möglich antworten. Und wenn man das nicht sofort macht, dann entschuldigt man sich.
Sorry, dass ich mich jetzt erst melde!
Manche meiner Mitmenschen antworten tatsächlich in der Regel sofort. Andere dagegen melden sich, wie ich, teilweise tage- oder wochenlang gar nicht und beginnen dann jede Nachricht erstmal mit “Sorry, dass ich mich erst jetzt melde”. So schildert das auch Miriam im Podcast und berichtet, dass ein befreundeter Journalist diesen Satz sogar direkt in seine Instagram-Biografie reingeschrieben hatte. Quasi als prophylaktische Entschuldigung.
Ich habe mich ertappt und erkannt gleichzeitig gefühlt. Ertappt, weil ich ganz klar zu der Kategorie “Sorry, dass ich mich erst jetzt melde” gehöre. Erkannt, weil ich realisiere, dass mein individuelles Problem auch strukturelle Ursachen haben könnte. Es gibt definitiv schlimmere Probleme, das ist mir klar. Aber ich finde es interessant, wie oft ich in meinem Alltag damit zu kämpfen habe.

Bringschuld der Empfänger:innen erzeugt Druck
WhatsApp und andere Instant-Messaging-Dienste machen es technisch möglich, überall und jederzeit erreichbar zu sein. Es gibt keine gute Entschuldigung, nicht auf eine eingegangene Nachricht geantwortet zu haben, denn das Handy hat jede:r von uns fast immer bei sich. Bei älteren Kommunikationsmedien wie zum Beispiel Briefpost oder Festnetztelefonaten sind die Meisten darauf eingestellt, dass der:die Empfängerin nicht immer erreichbar ist. Die erwähnte Bringschuld des:der Empfänger:in ist erstmal einleuchtend. Als Sender:in einer Nachricht darf man grundsätzlich eine Antwort erwarten. Aber je mehr ein Kommunikationsmedium darauf ausgelegt ist, unmittelbar zu kommunizieren, desto größer wird der Druck, jede eingehende Nachricht auch direkt beantworten zu müssen. Und mit diesem Druck können Menschen unterschiedlich gut umgehen.
Ich merke immer wieder: Ich kann mit dem Druck nicht so gut umgehen und meine Bringschuld als Empfängerin nicht immer leisten. Die Menge an täglich bei mir eingehenden WhatsApp-, Instagram- und TikTok-Nachrichten löst bei mir Überforderung aus. Oft entziehe ich mich dem Antworten-Druck, indem ich die empfangene Nachricht in den meisten Fällen erstmal ignoriere und dann am Besten noch fröhlich auf Instagram Memes poste.

Wichtigstes Werkzeug: die WhatsApp-Vorschau
Zentrales Werkzeug in meiner Kommunikationstaktik ist die WhatsApp-Nachrichten-Vorschau auf meinem Sperrbildschirm. Die Funktion gehört definitiv zu meinen Top 10 der Computerzeitalter-Erfindungen. Wenn hier Nachrichten aufploppen, werfe ich meistens einen Blick auf den leuchtenden Sperrbildschirm, verarbeite kurz, ob der Inhalt der Nachricht einer unmittelbaren Antwort bedarf, seufze, entsperre mein Handy und scrolle auf Instagram durch Memes. Guter Coping-Mechanismus, Alike!

Wie können wir alle Stress rausnehmen?
Selbst wenn ich meine Taktik ändern würde, gäbe es ständig unbeantwortete Nachrichten. Denn als Senderin dürfte ich dann ja von meinen Empfänger:innen auch eine möglichst unmittelbare Nachricht erwarten. WhatsApp gibt mir das permanente Gefühl, nicht alles erledigt zu haben. Sozusagen einen Messaging-Burnout. Die Empfänger:innen-Bringschuld gehört damit zu einem breiteren Diskurs um Smartphone-bezogene Alltags-Belastungen wie FOMO („Fear of Missing Out“) oder Smartphone Anxiety (auf deutsch „Nomophobie“). Natürlich gibt es bei der Bringschuld durchaus Abstufungen. Die kurze Sekunde, in der ich den Inhalt einer Nachricht auf dem Sperrbildschirm lese und die Wichtigkeit einstufe, bedingt ja mein weiteres Handeln. Aber auch das frisst Zeit und Energie.

Deshalb möchte ich hier gerne zur Diskussion stellen, ob die kategorische Bringschuld der Empfänger:innen noch zu den Strukturen der Instant-Messaging-Kommunikation passt. Ich gebe zu, nach dem vorigen Geleier klingt das wie ein Selbst-Absolutions-Versuch. Es geht mir auch nicht darum, dass ich mich für das komplette Gegenteil aussprechen will: Niemand soll mehr auf irgendeine Nachricht antworten müssen. So funktioniert Kommunikation auch nicht. Mir geht es darum, herauszufinden, was eine realistische Erwartungshaltung für Sender:in und Empfänger:in sein könnte und welche Verhaltensweisen wir kultivieren könnten, um das Kommunizieren für alle leichter zu machen. Müssen wir als Instant-Messaging-Nutzende eine Art unausgesprochenen Kodex entwickeln, auf welche Nachrichten wir wann antworten müssen? Wann und in welchen Fällen können wir als Sender:innen unmittelbar eine Antwort erwarten? Bei welcher Art von Nachrichten ist es okay, wenn man sich mit der Antwort etwas länger Zeit lässt? Wie lange ist das? Oder müssen wir uns stattdessen Mühe geben, effizienter zu kommunizieren? Sollten wir Instant Messaging nur in wichtigeren Fällen und nicht für unser Alltags-Blabla nutzen? Muss das jede:r für sich selbst herausfinden? Vielleicht ist das alles aber auch keine Lösung und wir müssen einfach damit klar kommen, dass wir alle diese Bringschuld trotz immer höherem Nachrichtenaufkommen haben?
Darüber hinaus interessiert mich auch, ob unter euch Leser:innen auch Menschen sind, die sich wie ich gerne in eine andere digitale Ecke flüchten, um die Beantwortungs-Bringschuld zu umgehen. Oder seid ihr da ganz pflichtbewusst und beantwortet immer alle Nachrichten, die bei euch eintrudeln? Wie auch immer ihr es haltet, schreibt mir. Denn eigentlich bekomme ich trotz allem gerne Nachrichten. Und prophylaktisch schon mal: Sorry, dass ich mich erst jetzt melde!
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