Die Kunst des Viralgehens – TikTok und seine Stars

Einmal berühmt auf TikTok sein, das ist doch der Traum, oder? Berühmt werden durch ein fünf-sekündiges Video, einen kleinen Tanz oder die hauseigenen Steinzeitkrebse, davon träumen viele. Doch was ist dran am TikTok-Fame? Kann man da heutzutage überhaupt noch berühmt werden? Und wie geht man viral? Wir haben uns mit dem Thema befasst und wollten herausfinden: Schaffen wir es innerhalb einer Woche, zu One-Hit-Wondern auf TikTok zu werden? Dafür haben wir einen Populärkollektiv-TikTok-Account kreiert und mit sage und schreibe 0 Followern, 0 Videos und natürlich 0 Likes begonnen. Valeska und Theresa haben es sich zur Aufgabe gemacht, jeden Tag für eine Woche auf TikTok zu posten, natürlich für das Populärkollektiv on brand, und optimalerweise viralzugehen. Außerdem wollten wir uns damit auseinandersetzen, was es überhaupt bedeutet, “viralzugehen”, was die One-Hit-Wonders von TikTok sind und welche Folgen die schlagartige Aufmerksamkeit so für Folgen haben kann.

Tag 1: Vorstellung durch Bravo-Love-Story und was sind eigentlich One-Hit-Wonder?

Wir beginnen unsere TikTok-Karriere mit einer Vorstellung des Kollektivs in Form der Bravo-Love-Story unserer “PopKol-Heads”, die wir schon auf Instagram angeschnitten hatten. Theresa spricht ein Voiceover darüber und voilá: Unser erstes TikTok geht online. Das Millionenpublikum bleibt aus, die Zahlen steigen langsam und zugegeben, am Anfang hilft Theresa noch mit ihrem privaten Account nach. Nach einer Woche hat dieses Video immerhin 311 Aufrufe.

Aber zunächst mal: Was genau meinen wir mit One-Hit-Wondern? Unter One-Hit-Wonder in der Musik beschreibt man Künstler:innen, die wegen genau eines Songs bekannt geworden sind. Für die Rezipient:innen sind die Künstler:innen mit dem Lied verschmolzen. Oftmals wird der Begriff als Beleidigung wahrgenommen – dabei ist Wunder eigentlich ein positive konnotierter Begriff. One-Hit-Wonder beschreiben den Nerv der Zeit: Ob Milli Vanilli oder Fool’s Garden – an ihnen kann man Popgeschichte, Trends und Moden ablesen.

Auch auf TikTok finden sogenannte One-Hit-Wonder statt. Wir beschreiben damit TikToker:innen, die mit einer bestimmten Videoform – wie beispielsweise einem Tanz oder einer Lippensynchronisation – bekannt geworden sind. Meist sind die Videos in der immer gleichen stattfindenden Form deutlich erfolgreicher, als andere Inhalte. Wie in der Musik, verschmelzen auch bei TiktTok die Personen mit dem Inhalt ihres viral gegangenen Videos und bleiben damit in Erinnerung.

@populaerkollektiv hi, wir sind das Populärkollektiv und hier ist unsere absolut ernstgemeinte Vorstellung #popkultur ♬ Epic – Joystock
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Tag 2: Buchtipps mit Valeska und was genau ist Tiktok?

Mit ihrem ersten TikTok wollte Valeska die Leseratten unter den TikToker:innen ansprechen. Von ihr gab es drei aktuelle Buchtipps – inklusive Sound und Voiceover. Was darf 2022 nicht im Bücherregal fehlen? Mit 119 Aufrufen ging das Video nicht ganz so durch die Decke. Aber sind Leseratten überhaupt bei TikTok? Und was hat es mit der Plattform auf sich?

In Deutschland sorgte der Corona-Lockdown für den Durchbruch der chinesischen Social-Media-Plattform. TikTok steht für kurze Videos, die mit Musik oder anderen Tönen unterlegt sind. Im Vordergrund steht Entertainment und das schnelle Konsumieren der audiovisuellen Inhalte. Mittlerweile nutzen knapp 11 Millionen Personen die App (Stand: Oktober 2020) – Tendenz steigend. Vor allem junge Menschen (ab Jahrgang 2000) sind dort unterwegs. Die TikTok-Welt ist sehr schnelllebig: Täglich werden unzählig neue Videos hochgeladen und konsumiert. Der Algorithmus entscheidet, welche Dinge besonders gepusht und dadurch von vielen gesehen werden und viral gehen. Somit wäre es eigentlich für jede:n möglich, ein TikTok-Star zu werden. Der Musikwissenschaftler Matthias Pasdzierny glaubt, dass solche Erfolgsgeschichten aus dem Nichts – quasi vom No-One zum TikTok-Hit – die beste Werbung für die Plattform sind. Sie suggeriert: Alle können zu Stars werden und eine hohe Reichweite erzielen. Unsere Beiträge haben dies noch nicht geschafft, aber was nicht ist, das kann ja noch werden 😉 

Tag 3: Die Einfahrt des Zuges und die schönen Seiten des TikTok-Algorithmus

Es ist Tag drei und Theresa ist wieder an der Reihe. Sie hatte alte Schwarz-Weiß-Aufnahmen auf TikTok gesehen und wollte auch auf den Zug aufspringen. Dafür hat sie die “Die Ankunft eines Zuges auf dem Bahnhof von Ciotat” von den Brüdern Lumière gewählt und erklärt im Voiceover, welche Gerüchte es zu dem Film seinerzeit gab und auch heute noch gibt. Klicks bekommt das Video kaum. Im Vergleich zu den anderen läuft es geradezu verheerend. Auch heute hat das Video nach wie vor nur 7 Aufrufe. Lange Retrovideos mit semi-lustigen Voiceover scheint wohl doch nicht das Rezept zum Viralgehen zu sein. Doch gibt es überhaupt ein Rezept? 

Zwei Tiktokerinnen, die in letzter Zeit viralgegangen sind, sind @metty.xoxo und @Karolinelix. Metty hatte einen Song ausgegraben, den sie als Kind mit ihrem Vater aufgenommen hatte und bei dem sie schmissig über ihr Basketball-Training sang. Karoline hat einen kleinen Tanz zu dem Song erfunden und ging damit viral. 

Karoline sagt zum perfekten Rezept zum Viralgehen: “Also die Viralität des Basketballtanzes kam für mich sehr zufällig, da ich das zweite Video zu dem Sound hochgeladen habe und gar nicht damit gerechnet habe, dass so viele Menschen es sehen werden. Dennoch habe ich versucht mich ein wenig auf Tiktok zu etablieren und durch den Basketballtanz ist es dann einfach passiert.” Karoline hat dadurch extrem viel positives Feedback bekommen, von dem sie ganz schön geflasht ist und konnte sich so eine eigene, “kleine” Community von 12.000 Followern aufbauen. Sie hofft, diese in Zukunft weiter ausbauen zu können, während sie parallel die Schule fertig macht. 

Karolines Erfahrungen waren also sehr positiv und der plötzliche Erfolg hat sich auch gut auf ihre Perspektive auf eine professionelle Laufbahn auf TikTok – und vermutlich Social Media allgemein – ausgewirkt. 

Auch Metty hatte nicht erwartet, mit diesem Lied viralzugehen: “Ich finde, TikTok ist total unberechenbar, was das angeht. Ich mach jetzt schon seit einem Dreivierteljahr TikTok und da ist nie großartig was passiert. Ich bin da nicht mit der Erwartung herangegangen: Ich poste das jetzt und dann geht das viral. Denn, manchmal sitzt man fünf Stunden an einem Video und das kriegt 100 Aufrufe. Bei diesem Video habe ich fünf Minuten dran gesessen und es ging total durch die Decke…” Das Video war das zweite, dass Metty zu dem Song gemacht hatte. Bereits das erste hatte eine relative gute Resonanz, sodass Metty schon eine gewisse Richtung sah, wohin es gehen würde, wirklich damit gerechnet hatte sie aber trotzdem nicht damit. 

Durch und durch empfindet sie das Viralgehen als positive Erfahrung. Als aufstrebende Sängerin konnte sie dadurch ihre Plattform ausweiten und es hat auch geholfen, ihre anderen Songs zu pushen. Trotzdem gibt Metty auch zu bedenken, dass es auch anstrengend und überfordernd sein kann, von TikTok so eingenommen zu sein. Sie versucht bewusst, sich Zeiten ohne Handy und Online-Feedback einzuteilen.

Ein perfektes Rezept zum Viralgehen hat sie nicht, aber ein paar Tipps: “Was ich beobachtet habe, ist auf jeden Fall die Authentizität. Also, dass man nicht versucht, etwas zu verkaufen, wovon man nicht überzeugt ist. Es ist generell nicht wirklich planbar, bei TikTok viral zu gehen, aber wenn man eine Sache beeinflussen kann, dann ist das die Authentizität. Und sonst muss man sich eben eine Nische überlegen und an einer spezifischen Zielgruppe festhalten. Es bringt nicht so viel, wenn man immer etwas anderes macht. Aber wenn man sich damit etwas mehr beschäftigt, dann hat man super viel Potenzial, weil TikTok immer weiter wachsen wird, mehr als alle anderen Plattformen.” Damit startet Valeska authentisch in Tag 4…

Tag 4: Foucault und die Bezahlung auf TikTok

Viele, die etwas geisteswissenschaftliches studiert haben, kommen um ihn und seine Theorien nicht herum: Michel Foucault – französischer Philosoph, Poststrukturalist und Autor zahlreicher Texte aus dem 20. Jahrhundert, die den ein oder die andere Studierende an den Rande der geistigen Kapazitäten gebracht haben. Kann Foucault Valeska zum TikTok-One-Hit-Wonder machen? Mit Lippensynchronisation hat sie einen O-Ton genommen, der die Reaktion auf den Satz “Wenn jemand sagt: Texte von Foucault sind einfach zu verstehen” verstärkt. Mit 89 Aufrufen konnte sie leider keinen viralen Hit landen… vielleicht schreckt Foucault die TikToker:innen ab.

Leider hat TikTok auch eine dunkle Seite, die dabei häufig übersehen wird. Zu einem gibt es das Problem mit dem Creator Fund. Hank Green von den vlogbrothers, selbst aktiver TikTok-Creator, hat darüber ein ausführliches Video gemacht:

Im Grunde genommen ist der TikTok-Fund finit und während Zuschauerschaften und Creator in der Zahl zunehmen, steigt der Fund dazu nicht proportional, sodass die Creator nicht immer mehr verdienen, auch wenn ihre Zahlen zunehmen. 

Zudem scheint bei den Creator:innen ein gewisser Druck zu herrschen, ihre “One-Hit-Wonder” immer wieder nachzustellen. Entweder fühlen sie sich gezwungen, den gleichen Trend immer weiter zu verfolgen, weil das das einzige ist, was ihre Fans interessieren zu scheint oder sie rennen einem Trend nach dem anderen nach, um relevant zu bleiben. 

Tag 5: Relatable Content und Performance Druck

Es ist erst Tag 5 und Theresa ist bereits überfordert. Es ist nicht immer leicht, nach einem überfüllten Arbeitstag und anderen Verpflichtungen spritzigen und unterhaltsamen Content zu kreieren. Wie machen das nur die ganzen Influencer:innen, die immer das neben einem Vollzeitjob schaffen? Entsprechend unkreativ fällt auch das TikTok für diesen Tag aus und so postet Theresa ein “relatable” Video darüber, dass sie vom Bett aus arbeitet. Entsprechend fällt auch die Resonanz aus: Nämlich schlecht. Ob nun der Algorithmus das Video für nicht gut genug empfunden hat oder die Zuschauer:innen, jedenfalls zieht es extrem wenig Views. Und so wird uns jetzt schon klar, wie stark der Druck sein kann, immer zu performen und täglich wunderschönen oder wahnsinnig interessanten Content zu veröffentlichen. Obwohl wir uns das nur für eine Woche vorgenommen hatten, nagt dieser Druck bereits.

Gerade bei TikTokern, die sich auf künstlerische Bereiche konzentrieren, wirkt sich dieser Druck sicherlich auch auf die Arbeit aus. Diverse TikToker:innen, wie Melanie Brauner von @versostudio, machen regelmäßig aufmerksam darauf, wie sie sich immer wieder dazu entscheiden, nicht für den Algorithmus, sondern für sich selbst zu kreieren. Doch so, wie man es bereits bei Youtuber:innen und Instagramer:innen gesehen hat, kommen auch TikToker:innen immer wieder an die Grenzen. Häufig braucht Kunst eben mehr Zeit, als man zwischen zwei TikToks hat. 

@versostudio

♬ original sound – Melanie Brauner
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Tag 6: Fun Facts und Fun Facts

Im nächsten TiKTok beschäftigt sich Valeska mit Fun Facts zu Harry Potter und bringt für unsere – mittlerweile auf acht Personen angewachsene – Followerschaft drei Harry-Potter-Fakten mit. Das Video wurde von 73 Personen angeschaut. 

Selbstverständlich gibt es hier für euch auch ein paar spannende Dinge, über die App TikTok: Es dauerte 200 Tage, bis das chinesische Entwicklungsteam die Originalversion von TikTok (damals noch “Douyin”) erstellt hatte. Innerhalb des ersten Jahres wurde der Meilenstein von einer Million Aufrufe am Tag geknackt. Zu den erfolgreichsten Kanälen gehören Lisa und Lena. Die Zwillinge haben mittlerweile 15,5 Millionen Follower. Sie sind vor allem dadurch bekannt geworden, dass sie Tänze vorgeführt haben, doch ihr Fame geht mittlerweile weit über TikTok hinaus – die beiden haben mittlerweile sogar ein Fernsehformat. Und genau das, also TikTok-übergreifender Erfolg, ist das Ziel vieler. Die App ist mit gerade mal fünf Jahren ein junges Social Media und bietet so vielen noch eine Marktlücke, die sich etwa auf Instagram oder Youtube nicht mehr so einfach finden lässt. Das nutzen verständlicherweise viele aus, es lässt aber auch viele über mögliche Datenlücken und fragliche AGBs hinweg blicken. Klar, eine junge, beliebte App will keiner verpassen. Zumal sie gerade den amerikanischen Traum in der Online-Version verkörpert. 

Tag 7: Candy is Dandy und ein Fazit

Zunächst einmal: Haben wir es geschafft, innerhalb einer Woche auf TikTok viralzugehen? Kurz: Nein, haben wir nicht. Unser beliebtestes Video war schlussendlich unser erstes, mit fantastischen 311 Views. Später zogen vor allem die Videos, bei denen Valeska zu sehen war und überraschend das Video vom letzten Tag, wo Theresa lediglich ein Video eines Scherzartikels ihrer Oma zeigte. 

Vorher/Nachher nach einer Woche

Uns ist am Ende aufgefallen, dass wir uns einen gewissen Druck aufgebaut hatten, weswegen das Erstellen der TikToks nur bedingt Spaß gemacht hat. Wenn man TikToks machen will, sollte man auf alle Fälle Spaß daran haben und es nicht nur machen, um Views und Likes zu bekommen.

Generell ist TikTok eine spannende App, die durchaus zum schnellen Erfolg verhelfen kann, aber auch schnell wieder vergisst. Es gibt wirklich keinen Algorithmus wie diesen, was bestimmt jedem beim längeren Scrollen auf der ForYou-Page auffällt. Das bedeutet aber auch, dass die Creator maßgeblich diesem Algorithmus ausgeliefert sind und ihn täglich wie einen hungrigen Drachen füttern müssen, um nicht in Ungnade zu fallen. 

Zum Viralgehen gehört mehr als willkürliches Posten, auch wenn die, die es geschafft haben, selbst nicht genau sagen können, warum. Aber jetzt wollen wir von euch wissen: Was haltet ihr von der App? Oder kennt vielleicht jemand von euch den Schlüssel zum Viralgehen? 😉

P.S.: Danke an Metty und Karoline für die spannenden Interviews! Schaut mal beiden auf TikTok vorbei!

P.P.S.: Vergesst nicht zu herzen und das rote Plus wegzudrücken!

Titelbild entworfen von Theresa, Hintergrund von NeONBRAND auf Unsplash

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