Auf Min Jin Lees neuen Roman bin ich aufmerksam geworden, weil ich ihr vorheriges Buch Ein einfaches Leben sehr mochte. Im Gegensatz dazu handelt es sich bei Gratisessen für Millionäre nicht um einen historischen Roman. Trotzdem weisen die beiden Bücher viele Parallelen auf, denn bei beiden Romanen handelt es sich um recht lange Familiendramen, die mehrere Jahre umspannen. Jedoch konnte mich Gratisessen für Millionäre leider nicht so sehr überzeugen wie damals Ein einfaches Leben.
Doch erstmal ein paar Worte zum Inhalt
Casey Han ist die Tochter koreanischer Einwanderer*innen, die alles geopfert haben, um ihren Kindern eine bessere Zukunft zu bieten. Casey verfolgt den American Dream: Sie möchte erfolgreich und reich werden. Doch nach ihrem Studium hat sie keinen Job und lebt über ihre Verhältnisse. Während sie ihren Platz in der amerikanischen Gesellschaft sucht, erlebt sie viele Triumphe und vor allem Misserfolge.
Meine Meinung
Wie die kurze Zusammenfassung schon vermuten lässt, sind die zentralen Themen des Romans Kapitalismus und Armut bzw. die Unmöglichkeit, dieser Armut zu entkommen. Die Themen wurden sehr gut umgesetzt. Indem man Casey als Leser*in über eine längere Zeit (ca. 5 Jahre) begleitet, bekommt man einen Einblick in ihr Leben und verfolgt ihre Aufs und Abs. Ich hatte das Gefühl, dass ich so wirklich einen Eindruck davon bekomme, wie sich ihre koreanische Herkunft, ihre familiären Verhältnisse und die Armut, in der sie aufgewachsen ist, auf ihr Leben auswirken. Sie versucht genau diesen Verhältnissen zu entkommen, schafft es aber nicht und bleibt häufig orientierungslos zurück. Das Format des Romans schafft es, den langwierigen Struggle mit Armut authentisch und verständlich darzustellen.
Die 800 Seiten, in denen wir Casey und diverse Nebencharaktere in ihren Leben begleiten, fühlen sich jedoch gleichzeitig langatmig an. Es handelt sich bei dem Roman um eine sehr ausgedehnte Slice-of-Life-Geschichte ohne wirklichen Spannungsbogen. Stringenz sowie der rote Faden leiden darunter. Ich empfand es oft als anstrengend, wenn die Protagonistin nach einer erfolglosen Episode wieder dort ankommt, wo sie vorher war, oder sogar in noch schlechteren Verhältnissen. Natürlich ist mir bewusst, dass es das Ziel des Buchs ist, genau diese Redundanz und Unmöglichkeit des Aufstiegs zu vermitteln. Trotzdem war das für mich oft schwierig auszuhalten und hat das Lesevergnügen stark beeinträchtigt. Der Schreibstil war ebenfalls etwas fad und einfallslos, was es aber wiederum leicht gemacht hat, das Buch trotz der Länge schnell durchzulesen, denn die Sprache ist sehr simpel gehalten.
Neben Casey gibt es noch weitere Charaktere im Buch, deren Leben wir als Leser*innen begleiten und die Schwung und Abwechslung in die Geschichte bringen. Da gibt es zum Beispiel Ella, eine gute Freundin von Casey, die einen reichen aber sehr arroganten Mann heiratet. Oder Leah und Josef, Caseys Eltern, die in einem Waschsalon arbeiten und sich ansonsten mit Leib und Seele für die koreanische Kirchengemeinde engagieren. Ich persönlich fand niemanden wirklich sympathisch und ich konnte die Handlungen der Charaktere auch nicht unbedingt immer nachvollziehen. Vor allem über Casey habe ich oft den Kopf geschüttelt. Trotzdem sind alle Charaktere auf irgendeine Art interessant und authentisch und der Perspektivwechsel tut dem Roman in jedem Fall gut.
Fazit
Gratisessen für Millionäre verfehlt nicht sein Ziel, die Schwierigkeiten von sozialem Aufstieg über Jahre hinweg darzustellen. Die Art der Geschichte mit dem fehlenden Spannungsbogen ist allerdings nicht mein Cup-of-Tea. Insgesamt war der Roman trotz interessanter Prämisse und authentischer Charaktere nicht unterhaltsam genug, um über 800 Seiten wirklich das Interesse aufrecht zu erhalten.

„Gratisessen für Millionäre“ erschien im Mai 2023 im dtv Verlag und wurde übersetzt von Andrea Fischer. Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar.
