Remixkultur – alles nur geklaut?

Nachdem sich Alike letzte Woche mit einem musikalischen Ausblick ins neue Jahr beschäftigt hat (wer es noch nicht gelesen hat, sollte dies unbedingt tun), möchte ich heute in die Vergangenheit einzelner Hits schauen.

Radio an, Musik laut aufdrehen und Mitsingen: Egal ob morgens beim Zähneputzen, bei einer Autofahrt oder dem Kochen: Musik ist aus unserem Alltag nicht wegzudenken. Ich verbinde mit einzelnen Liedern oftmals Erlebnisse und erinnere mich beim Anhören an diese zurück. Wie schade, dass wir in einer so schnelllebigen Zeit feststecken und ein Hit den anderen jagt. Doch in letzter Zeit ist mir aufgefallen, dass da doch die eine oder andere bekannte Melodie aus meiner Kindheit und Jugend wieder auftaucht – allerdings nicht eingestaubt, sondern in einem neuen schicken Gewand. Ich spreche vom Remix bekannter und etwas in die Jahre gekommener Musikstücke. Seit rund etwa 40 Jahren prägt das Bearbeiten, Verfremden und Kombinieren bereits bestehender Musikstücke die moderne Popmusik, welche selbst aus dem Remix alter Blues-Songs in den 50er Jahren entstanden ist.

Remix, Cover, Sample: Was ist das eigentlich?

Bei einem Remix wird ein Musikstück neu abgemischt und bekommt quasi einen neuen Anstrich. So werden Klangeffekte hinzugefügt, die Geschwindigkeit verändert oder das Stück komplett zerstückelt und neu zusammengesetzt – der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt. Das Ergebnis des neu geschaffenen Musikstücks hat manchmal nur noch eine entfernte Ähnlichkeit mit dem Original. Die Remixkultur ist natürlich stark bedingt von der Entwicklung der DJ-Szene.

Remixe verweisen ständig auf das besondere Verhältnis zwischen Altem und Neuem. Dabei muss das bereits bestehende Musikstück nicht überwunden oder gar negiert werden. Vielmehr existieren Altes und Neues neben- und miteinander. Die Spannung, die durch diese Verknüpfung entsteht macht den ästhetischen Reiz der Remixe aus.

Eine Abstufung des Remixes ist das Sampling. Hier wird nur ein ausgewählter Teil eines bereits bestehenden Liedes in einen neuen Kontext gesetzt. Das kann ein einzelner Ton sein oder eine ganze Melodie.

Von Remix und Sampling muss das Cover klar unterschieden werden. Oftmals sprechen wir im Alltag davon, dass ein Lied „gecovert“ wurde. Es ist aber streng genommen nur dann ein Cover, wenn keine Bearbeitung des Originals vorliegt. Bei einem Remix wird immer in das Material „eingegriffen“. Ein Cover hingegen ist eine reine Neu-Einspielung des Musikstücks und eine unveränderte Übernahme des Originals. Das Stück kann mit der eigenen Stimmlage oder auch mit anderen Instrumenten intoniert werden. Eine weitere Bearbeitung gibt es aber nicht. 

Diesen doch sehr theoretischen Überlegungen möchte ich natürlich auch ein paar Beispiele anschließen. Hier findet ihr meine Highlights aus den letzten Jahren:

Dieses Beispiel erinnert mich an meine Teenie-Jahre. Im Remix von Bougenvilla, Albert Neve & David Puentez wird vor allem der Refrain des Originals von Nelly und Kelly Rowland („Dilemma“) aufgegriffen.

Wie man ein altes politisches Partisanenlied wie „Bella Ciao“ wieder aufleben lassen kann, lässt sich gut am Beispiel „Bella Ciao“ zeigen. Der Remix des französischen DJs Hugel schaffte es 2018 in die Charts und wurde als Titelsong der Netflix-Serie Haus des Geldes bekannt. Das Lied „Bella Ciao“, das sich im Original gegen den Faschismus richtet, wurde immer wieder aufgegriffen und zum Teil auch stark re- und dekontextualisiert. Weitere Infos dazu findet ihr in dieser Podcast-Folge.

Mein „Sommerhit“ des letzten Jahres stammt von twocolors. Das Berliner Electro-Duo mischen den alten Hit von The Cardigans neu auf. Dieser was mir als Titelsong des Films „William Shakespeares Romeo + Julia“ (1996) noch im Ohr.

Das richtig alte Party-Klassiker auch in angesagten Hip-Hop-Clubs laufen können, zeigt Tyga mit seiner Interpretation von Macarena. Das Schöne: In seinem neuen Video haben Los Del Rio sogar auch noch ein Plätzchen bekommen. Ayy!

Hier habe ich noch zwei letzte Beispiele, die zeigen, dass es manchmal nur ein paar Töne braucht.

Eines meiner Lieblingslieder in meiner Jugend war „All arround the World“ von ATC. Ava Max bringt diesen Sound in einem flotten neuen Gewand in die Charts. Danke dafür.

Nea und Felx Jaehn brachten 2020 den Ohrwurm Nummer 1 in einem schönen Sample heraus. Hörst selbst rein… es tut mir jetzt schon wieder leid… da ba dee da ba dee

Sind Remixe authentische Musikstücke?

In meiner Überschrift frage ich ganz provokativ, ob alles nur geklaut sei. Können Remixe als authentische Musikstücke angesehen werden oder stehen sie etwa immer im Schatten des Originals? Die Remixkultur ist natürlich unabdingbar mit neuen technischen Reproduktionsmedien verbunden und wer jetzt eins und eins zusammen zählen kann und ein Faible für die Kulturwissenschaft hat, der kommt an ein paar Gedanken von Walther Benjamin nicht vorbei.

In „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit“ von 1935 beschäftigt sich der Philosoph damit, was mit einem Kunstwerk passiert, wenn es durch technische Reproduktionsmedien wie Fotografie oder Film massenhaft vervielfältig wird. Dadurch verliere das Kunstwerk nach Benjamin seine Aura, also Authentizität und damit einhergehend die Qualität, die es eigentlich erst zum Kunstwerk mache. Die einmalige und einzigartige Erscheinung des Kunstwerkes ist nach Benjamin an einen Ort und eine bestimmte Form der Rezeption gebunden. Durch das Kopieren geht die Einmaligkeit verloren. Doch auch durch die technische Verfremdung oder Ergänzung wie im Falle der Remixe?

Natürlich ist ein Remix keine einfache Kopie oder eine Abschrift bereits bestehender Musik. Es ist ein neugeschaffenes Kunstwerk mit einer neuen und eigenen „Aura“. Die digitale Reproduktion und Veränderung der Musikwerke ist allerdings eine weitere Steigerung technischer Reproduzierbarkeit von der Benjamin in den 1930er Jahren noch nichts wusste. Durch diese einfache Weise der Vervielfätigung geht natürlich das Einmalige etwas verloren und immer neue Versionen erscheinen. Zahlreiche Songs wurden bekanntlich mehr- wenn nicht sogar hundertfach musikalisch neu interpretiert. Oftmals kennen die jüngeren Generationen das Original gar nicht mehr. Sie erkennen darin keinen Remix, sondern sehen es als neues und eigenständiges Werk an. Ein weiteres wichtiges Kriterium bei einem Remix ist das Wissen über das Bestehen eines Vorgängerwerkes.

Für mich haben Remixe eine besondere „Aura“, die in mir etwas auslösen. Für mich gewinnen die alten Werke durch das erneute Aufgreifen an neuem Wert – und schaffen dabei in mir noch etwas viel Wertvolleres: Sie erinnern uns an gute alte Zeiten und schaffen gleichzeitig neue Erlebnisse.

Remixe sind und werden auch in Zukunft ein wichtiger Teil unserer Musikkultur sein. Sie werden aus alten Klassikern neue Hits schaffen und dabei auch immer wieder an das Bestehende erinnern. Es wird also nichts einfach überschrieben, sondern ergänzt und weiterentwickelt. Original und Remix werten sich gegenseitig auf.

Beitragsbild: Simon Noh, Unsplash

Auch ich habe für euch eine Spotify-Remix-Playlist erstellt. Hört gerne mal rein.

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