Videogame your life

Ich habe etwas zu gestehen. In letzter Zeit verbringe ich eine unangenehm lange Zeit mit einem Ipad-Spiel. Es heißt June’s Journey und es geht darum, Wimmelbilder zu lösen und eine Insel aufzubauen. Man lebt mit June durch eine Geschichte aus verschiedenen Krimifällen, für die man Gegenstände in Wimmelbildern finden muss. Mit dem durch die Wimmelbilder gewonnenen Geld kann man dann sein Haus ausstatten, Blumen kaufen, Wege bauen, einen Pferdestall erstellen und einen See anlegen. Das Spiel hat eine faszinierende Art und Weise, mich einzunehmen. Es macht sich manchmal rar (man braucht Energie, um Spielen zu können und wenn es keines mehr gibt, gibt es ein paar wenige Wege, es zu bekommen, u.a. es mit echtem Geld zu kaufen, und sonst hat man Pech) und dann gibt es tägliche Belohnungen, wenn man das Spiel öffnet. Ich hatte es wegen der Wimmelbilder runtergeladen, aber das Ausstatten des Garten ist auch spaßig und entspannend.

June’s Journey

Ich verbringe so viel Zeit damit, Sachen zu suchen und Pflanzen zu pflanzen und ein wenig das Leben von June zu leben, dass ich mich manchmal frage, warum ich das bei einem Spiel machen muss. Warum ich das nicht einfach in meinem Leben mache. Warum fällt es mir so leicht, in einer Scheinwelt Deadlines einzuhalten und „mein“ Leben auf die Reihe zu bekommen, und in der echten Welt klappt es nicht so gut?

Der Frage bin ich mal etwas genauer auf den Grund gegangen. Vielleicht könnte man ja einiges davon lernen, wenn man die Systeme, die in der Gaming-Welt existieren auf sein eigenes Leben anwendet. Es gibt eine Internet-Sensation namens Ulillilla, der mehr oder weniger genau das gemacht hat. Ulillilla war (ist?) ein kontroverser und komplexer Internet-User, der vor allem für seine komplexen, mathematischen Studien und die Videogamisierung (schöner Neologismus) seines Lebens berühmt und berüchtigt wurde. Wer gerne mehr über ihn lernen möchte, dem lege ich das folgende Video sehr ans Herzen:

Ulillilla hat also im Grunde durch die Quantifizierung seines Lebens erreicht, (vermeintlich) volle Kontrolle über alle Bereiche seines Lebens zu haben. Mit Quantifzierung meine ich, dass man alle Elemente des Lebens in messbare und „zählbare“ Werte umwandelt. Ulillilla misst sein Leben etwas in XP. Auf seiner Fandom-Seite steht etwa in Prozentzahlen aufgelistet, was er regelmäßig isst. Sein Leben ist also wahnsinnig strukturiert und kontrolliert. In Videospielen gibt es auch Indikatoren, die die Energie oder die Laune oder die Fortgeschrittenheit eines Avatars messbar machen. Im Videospiel verbringt man auch überaus viel Zeit damit, diese Leisten oder Indikatoren möglichst optimal zu füllen. Aber welche Systeme machen das in Video/Handy/Ipadspielen so erstrebenswert? Nach kurzen Brainstorming bin ich auf ein paar Keyfaktoren gekommen, warum Spiele wie June’s Journey so effektiv sind:

  • Belohnungen für (gute) Leistungen
  • Exklusivität
  • Verbindung mit anderen Spieler*innen/Wettbewerbe
  • Tägliche Belohnungen
  • Das Gefühl von Verbesserung (man wird besser darin, Wimmelspiele zu lösen)
  • Abwechslung von Challenge und Erfolg (Harte Spiele und leichte Spiele)
  • Fortlaufende und nie endende Geschichte

(Wenn jemand mal nach einen Hausarbeitsthema sucht: Welche Faktoren in Spielen zum Weiterspielen anregen ist wahrscheinlich sehr interessant zu untersuchen)

Jetzt ist natürlich die Frage, wie man diese Keyfaktoren in sein eigenes Leben einbindet. Manche Apphersteller haben das Potential schon erkannt und so gibt es zum Beispiel Duolingo, eine Sprachapp, die sehr an andere Handyspiele erinnert. Man sammelt auch Punkte und wird dafür belohnt, wenn man sich jeden Tag anmeldet. Man kann außerdem in den Wettbewerb mit Freund*innen treten und sich vom erspielten Geld Vorteile „kaufen“.

Das System, dass man sich selbst Belohnungen setzen soll, ist natürlich allgemein schon bekannt. Entweder hat man das schon regelmäßig von Eltern oder Lehrer*innen gehört oder man hat „Life Hacks“ wie diesen im Internet gesehen:

Wenn man zum Beispiel tägliche Belohnungen setzen will, kann man sich sagen, dass man jeden Morgen einen Kaffee bekommt, wenn man um 7 Uhr aufsteht. Oder man challenged sich selbst, drei mal die Woche mit einer*m Freund*in ins Fitnessstudio zu gehen, dann hat man auch den Netzwerk/Wettbewerb-Aspekt dabei. Die meisten Klausuren (um mal aus dem Leben einer Studierenden zu greifen) funktionieren zudem wie die Challenges, bei denen manchen schwerer und andere leichter sind. In den leichten findet man dann die Motivation für die schweren, durch die man wiederum mehr lernt. Der ultimative Boss, gegen den man kämpfen muss, ist die Bachelor-/Masterarbeit.

Natürlich kann man auch einfach alles im Leben quantifzieren und dann verschiedene Deadlines setzen. Beispiel Job: Ich arbeite ca. 20 Tage im Monat. Also funktioniert das System Arbeit videogamified so: Pro Tag, den ich zur Arbeit gehe, bekomme ich einen Punkt. Bei 20/20 Punkten bekomme ich dann eine Belohnung in Form von Geld ausbezahlt. Ich kann mir Punkte „kaufen“, wenn ich zum Beispiel Urlaub einreiche oder mich krank melde. Natürlich gibt es dafür ein Limit, ich habe etwa nur 28 Urlaubstage die ich gegen „Arbeits-Punkte“ einlösen kann.

Was bei Videospielen die Energy-Leiste ist, das ist bei uns das Essen. Wir brauchen jeden Tag eine Gewisse Menge an Essen und je erwachsener wir werden, desto länger wird die Leiste. Unterschiedliche Nahrungsmittel haben dabei unterschiedliche Vorteile. Optimalerweise essen wir natürlich gesunde Sachen, die die meisten Gesundheitsvorteile bringen, aber viele greifen zu Nahrungsmitteln, die die kurzfristige Zufriedenheit des „Users“ steigern. Je länger ich darüber schreibe, wie wir unser Leben videogamifien können, desto faszinierender finde ich es.

Diese Faszination am Spiel ist wahrscheinlich auch, warum wir Videospiele so gerne spielen. Im Grunde sind unsere Leben gar nicht so anders, nur ist es einfacher, wenn man sich in einer scheinbar entfernten Welt befindet, die „nichts“ mit der eigenen gemein hat. Zumindest bringt sie nichts von dem Schmerz und der Anstrengung mit (ob physisch oder mental), den die echte Welt so mit sich bringen kann.

Quelle: Elon Musks Twitter

Ich glaube, wenn man es schafft, diese Faszination auch auf sein eigenes Leben zu übertragen, kann man diese Illusion auch für sich selbst erschaffen. Theoretisch sind die meisten Sachen ja so quantifizierbar wie im Videospiel. Man kann sich selbst ein ausgeklügeltes Belohnungssystem setzen. Man kann sein Leben wie eine fortlaufende und nie (naja, lange nicht) endende Geschichte sehen.

Natürlich muss man dabei auch die Gefahren sehen. Dieser Druck auf Quantifizierung kann auch in einen Produktivitätswahn enden. Daher hier die Erinnerung: Man muss nicht immer produktiv sein. Wenn man Fitbits o.ä. verwendet, um seine Erfolge zu messen, gibt es auch immer die Gefahr, dass diese gehackt werden können und/oder man nicht weiß, was in Zukunft damit passiert. Bei Videospielen gibt es manchmal das Problem, dass die Leute so süchtig danach werden, dass sie für den nächsten Klick oder das nächste Spiel bereit sind, viel Geld auszugeben. Genauso kann man sich natürlich auch bei der Selbstoptimierung in den Ruin treiben.

Schlussendlich glaube ich, dass es faszinierend ist, sein Leben aus der Perspektive eines Videospiels zu sehen. Man sollte sich natürlich der Gefahren und Nebenwirkungen bewusst sein, aber dann steht einem eine riesige und faszinierende Spielwelt offen, die sich wahnsinnig realistisch anfühlt und viele Wunder für uns bereit hält.

Titelbild von Robert Heiser auf Unsplash

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