Kürzlich hatte ich eine kleine Diskussion mit Bekannten darüber, warum man überhaupt Bücher, Filme und Medien analysiert. So nach dem Motto: Das bringt ja gar nichts für die Gesellschaft. Als Medienkulturwissenschaftlerin bin ich es leid, das immer wieder zu erklären. Zugegebenermaßen habe ich es auch erst vor kurzem für mich selbst herausgefunden, aber gerade die letzten Wochen und Monate haben mich wieder daran erinnert. Ich glaube, vor allem Bücher und Filme können uns in andere Welten transportieren, wenn die Welt um uns herum nicht so einladend ist. Das nennt man dann Eskapismus und ist in YA (Young Adult)-Literatur sehr beliebt. Interessanterweise lesen wir dabei aber auch immer wieder Bücher und schauen Filme, in denen die Welten nicht lovey-dovey sind. Filme und Bücher zu analysieren kann uns dann manchmal helfen, Lösungen für die Probleme in unserer Welt zu finden, während man gleichzeitig mit etwas realitätsferner Vogelsicht auf die Probleme schauen kann.
Wie sich Bücher damit auseinandersetzen erzähle ich euch jetzt anhand einiger berühmten YA Fantasy-Beispiele:
Die Brüder Löwenherz von Astrid Lindgren (Buch)
Als Kind habe ich immer sehr gerne Brüder Löwenherz gelesen, weil es mir irgendwie Hoffnung gegeben hat und eine interessante Welt nach dem Tod vorgeschlagen hat. Es geht darin um einen kleinen Jungen names Krümel, der sehr krank ist und dessen Bruder Jonathan ihm deswegen über die Welt erzählt in die man nach seinem Tod kommt. Ich habe schon gehört, dass manche die Geschichte gruselig fanden, aber für mich war sie immer sehr fantastisch und irgendwie positiv. Für mich war die Message immer, dass man keine Angst vor dem Tod haben muss und einfach sein Leben leben soll. Im Grunde behandelt Die Brüder Löwenherz dabei Eskapismus selbst. Krümel, so könnte man es meinen, entflieht seiner Krankheit, wegen welcher er ans Bett gebunden ist und erlebt Abenteuer in Nangijala.
So wie Krümel lernen wir durch das Buch in der fantastischen und auch grausamen Welt von Nangijala uns unseren Ängsten zu stellen und trotz allem immer mit Hoffnung in die Welt zu gehen.
Die Chroniken von Narnia (Buch- & Filmreihe) von C.S. Lewis
Genauso wie Die Brüder Löwenherz behandeln auch die Chroniken von Narnia das Thema Eskapismus. Gerade das zweite Buch, Der König von Narnia, und der Film der darüber gedreht wurde, befasst sich mit Kindern im zweiten Weltkrieg. Die Kinder werden, wie viele Kinder dieser Zeit, von London aus aufs Land geschickt, um in Sicherheit vor den Luftangriffen der Deutschen zu sein. Von dort aus haben sie keinen Einfluss auf die Geschehnisse und müssen tatenlos auf eine Nachricht von ihren Eltern warten. Um dieser Hilflosigkeit zu entfliehen schaffen sie (das liegt dann an der Interpretation) eine imaginäre Welt, wo sie selbst Einfluss auf den Krieg haben und schließlich zu Königen und Königinnen ernannt werden und großen Einfluss auf die Geschehnisse dieser Welt haben. Alle vier haben dabei unterschiedliche Fähigkeiten und Stärken.
So lehren diese Bücher und Filme Kindern, dass auch Kinder einen Einfluss auf die Welt haben können. Dafür müssen sie nicht unbedingt groß und stark sein, auch andere Stärken, wie Klugheit, Ehrgeiz und Güte können dabei helfen.


Miss Peregrine’s Home for Peculiar Children (Buchreihe und Film) von Ransom Riggs
Eine ähnliche Welt, in der die Kinder, die anders sind, besonders sind und jedes Anderssein ein Stärke ist gibt es im Universum von Ransom Riggs. Auf Deutsch heißt der Film Die Insel der besonderen Kinder, in der Buchreihe startet die Reise von Jacob jedoch nur auf der Insel und geht dann durch viele verschiedene Ecken der Welt. In dem Internat von Miss Peregrine werden Kinder aufgenommen, die besondere Fähigkeiten haben und sie beschützt diese in einem versteckten Loop vor den Monstern, die nach ihnen suchen. Hier werden die Außenseiter aufgenommen, die unsichtbar sind, Bienen beschwören können oder die Toten wiederbeleben (ähnelt dabei wohl dem Plot von X-Men).
Auch hier bringt uns die Geschichte bei, dass die Dinge, die uns einzigartig machen, auch unsere Stärken sein können. Wir können sie nutzen, um gegen die Monster in unserem Leben zu kämpfen, auch wenn die wirklich gruselig und manchmal auch unsichtbar sind.


Harry Potter (Buch- und Filmreihe) von J.K. Rowling
Ein kleiner, unscheinbarer Junge in schwierigen familiären Verhältnissen lernt, dass er besonders ist und nicht nur normal besonders, sondern besonders besonders. Harry Potter ist wohl das bekannteste Beispiel für Eskapismus. Die meisten Kinder haben die Bücher wohl schon in ihrer Kindheit gelesen und sich gewünscht, zum elften Geburtstag einen Brief zu bekommen. In der Zauber-Welt ist Harry mächtig, er setzt sich mit seinen besonderen Fähigkeiten gegen andere durch und nutzt seine Stärken, sei es gegen das ultimative Böse, politische Unterdrückung oder eine schnippische und hasserfüllte Reporterin/Autorin ( 😉 ).
Harry Potter hat uns beigebracht, wie wohl kein anderes Buch, dass Freundschaft über alles geht, Mutterliebe Wunder tut und auch David Goliath besiegen kann, wenn er nur weiß, wie er seine Fähigkeiten einsetzen muss.

Tribute von Panem von Suzanne Collins/Divergent von Veronica Roth (beides Buch- und Filmreihen)
Die beiden Reihen Tribute von Panem und Divergent sind aufgrund der aktuellen Lage auch wieder sehr aktuell und werden immer wieder erwähnt. Hier geht es beide Male um eine kleine Gruppe die gegen die Unterdrückung von einem übermächtigen System kämpft. Beide Male gibt es integrierte und etablierte Systeme innerhalb der Gesellschaft, die die Unterdrückung immer wieder reproduzieren und festhalten. Auch diese Bücher geben dem*r Leser*in vor allem die Hoffnung, dass man es schaffen kann, auch wenn der Gegner so mächtig ist.
So bringen uns beide Serien bei, dass man für sich selbst und Gerechtigkeit einstehen muss. Jeder hat Fähigkeiten und Stärken und jeder Mensch ist es wert, ein freies und selbstbestimmtes Leben zu leben. Diese Bücher geben uns die Hoffnung, dass man es schaffen kann, unterdrückende Systeme abzuschaffen.


So schwappt das Gelernte aus der fiktiven Welt in die reale Welt über. Die (oft) jungen Erwachsenen nehmen dieses Wissen und die Hoffnung, die die Bücher und Filme ihnen geben und setzen sie in ihrem Leben ein, um sich den Monstern ihrer Realität zu stellen. Jedesmal, wenn man eine Geschichte liest, analysiert man sie auch. Medienkulturwissenschaftler*innen analysieren nur eben auch, wie die Geschichten das machen, was sie machen. Es gibt noch viel, viel mehr Geschichten, die einem helfen, aus der eigenen Welt zu fliehen und in eine neue Welt einzutauchen. Welche Geschichte hat euch in eurer Jugend oder auch heute noch geholfen, schwere Zeiten oder einfach das normale Leben (was auch immer das ist) zu durchstehen?
Ein Gedanke zu “„Take me to the moon“ – Eskapismus in Büchern und Filmen”