Der Rapper XXXTentacion ist brutal – aber das fasziniert mich. Hilfe?!
Lasst mich diesen Text hier lieber erst mal richtig framen: XXXTentacion war kein guter Mensch. Das kann ich wohl mit Fug und Recht behaupten. Der im Sommer letzten Jahres erschossene Rapper schlug und misshandelte seine schwangere Freundin und war immer wieder in gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt. Über diese in jeder Hinsicht abscheulichen Dinge wurde viel geschrieben und viel diskutiert. Viele Fans von Jahseh Dwayne Onfroy, so sein bürgerlicher Name, halten bis heute fest zu ihm. Das finde ich rational gesehen nicht wirklich nachvollziehbar. Trotz, oder gerade wegen, seiner engen Verstrickung in Gewalt und Missbrauch erfährt XXX einen unglaublichen Rückhalt, die Kommentarspalten der YouTube-Videos sind voll von Kondolenzbekundungen. Und wie so oft wird auch dieser Text dazu beitragen, dass dem Täter mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird als dem Opfer.
Nachdem ich das also klar gestellt habe, muss ich gestehen: Auch ich kann mich der abgründig-düsteren Anziehungskraft von Onfroy nicht entziehen. Diesen Text schreibe ich, weil ich gemerkt habe, das ich nicht besser bin, als viele von XXXs Fans. Und ich will wissen warum. Ich habe mir Artikel zu Onfroys Gewalt und Machtmissbrauch durchgelesen. Mir ist schlecht geworden bei dem Gedanken, er hätte in meinen schwangeren Bauch getreten. Aber ich höre seine Musik, schaue seine Videos und seufze bei Titeln wie „Everybody Dies In Their Nightmares“. Natürlich könnte ich das auch einfach als post-pubertäre Emo-Phase abtun. Aber ich glaube, da steckt mehr dahinter. Seine Songs schwanken zwischen Zartheit, Zerrissenheit, Wut und ja, eben auch Gewalt. Da sind so viele Bezüge zum Hass, zu Todschlag und Selbstmord. Seine feinen Gesichtszüge waren umrandet von Tattoos und schweren Ketten. Wenn er seine Haare zu zwei nach hinten geflochtenen Zöpfen trug, sah er aus wie einer der trügerischen Dämonen, die er in seinen Songs beschwörte. Seine Songs und auch seine Präsenz bei Auftritten, ja, alleine schon Bilder von ihm transportiert eine irritierende Wildheit. Alles ist direkt. Die Songs und Visuals explizit zu nennen, ist noch eine Untertreibung. XXXTentacion rappt darüber, wie er Frauen auf das Gesicht ejakuliert, inszeniert sich als Gehängter und prangert Rassismus und Bigotterie an. Und das alles in nur einem Video. Es passt nicht zusammen und das passt zu der Getriebenheit, die XXXTentacion verkörpert. Mit Shakespearscher Intensität scheint er alles in dieser einen Künstlerpersona zu vereinen, was ein Tier namens Mensch je gefühlt hat.
Woher kommt die menschliche Faszination für das Abgründige?
Der Tod ist der Dreh- und Angelpunkt dieser Künstlerfigur. Onfroy fasste das einst so in Worte: „Mit 13 haben ich mir gewünscht, mit 18 tot zu sein.“ Dass er dann mit 20 Jahren tatsächlich umgebracht wird, scheint wie verspätete Konsequenz des Kosmos. Und es befeuert die mystische Aura um ihn logischerweise nur noch mehr. XXXTentacion ist nicht der erste Künstler, der gerade aufgrund seiner moralischen Fragwürdigkeit faszinierend auf mich und andere Menschen wirkt. Aber er war gerade für mich wieder mal ein gutes Beispiel, wie man dieser Faszination wieder besseren Wissens nicht entkommen kann.
Diese Faszination für das Abgründige und Dunkle scheint tief im Menschen verankert zu sein. Es gibt immer wieder neue Beispiele, wie wir uns nur allzu gerne von Psychopathen und Gewalttätern in den Bann schlagen lassen. Nicht nur fiktive Mörder in Krimis und Serien wie „Dexter“ oder „Hannibal“ stillen unseren Bedarf nach abgründigen Mensch-Monstern. Gerade auch reale Serienmörder wie Charles Manson oder Jack Unterweger reizen uns immer wieder aufs Neue.
Power, Sex and Crime – ein gefährliches Bermuda-Dreieck
Warum aber wirken gerade gewalttätige Männer oft so anziehend auf Frauen (das ist hier jetzt vorerst ziemlich heteronormativ, aber statistisch gesehen der häufigste Fall)? Klar ist auf jeden Fall: Es scheint irgendwie mit dem Komplex Macht, Sex und eben Gewalt zu tun zu haben. Auf gesellschaftlicher Ebene versuchte und versucht man diesem gefährlichen Bermuda-Dreieck mit Tabus, Verboten und Regulationen wie der Ehe beizukommen. Wie unser Verständnis von Sexualität von Machtverhältnissen beeinflusst ist, darüber schreibt zum Beispiel Foucault in dem posthum erschienenen „Sexualität und Wahrheit„.
Aus der Perspektive der Psychologie hat die Liebe einer Frau zu einem Psychopathen sogar eine eigene Bezeichnung: das Rotkäppchen-Syndrom. Dabei ist die Frau krankhaft fasziniert vom Animalischen eines Mannes und sieht in ihm eine Art Alphamännchen. So erklärt das der Psychiater Borwin Bandelow in einem Interview mit Fluter. Alternativ, so Bandelow, könnte es auch das „Amiga-Syndrom“ sein, bei dem die Frau sagt, das er ja eigentlich für all das nichts kann und nur wirkliche Liebe (am Besten von ihr selbst) erfahren muss, um geheilt zu werden.
Der Name „Rotkäppchen-Syndrom“ sagt zumindest schon mal was darüber, wie Psychologen Märchen lesen. Für mich war Rotkäppchen bis gerade eben immer eine Art ziemlich blutige Coming-of-Age-Geschichte, in der das naive Mädchen über sich selbst hinaus wächst und sich gegen gemeine Monster wehren kann. Bis ich nach kurzer Google-Session herausgefunden habe, dass wohl verschiedene Enden existieren, bei denen entweder der männliche Jäger die Kleine rettet oder sie eben selbst schlau genug ist. Nun ja.
Zurück zu meinem problematischen Verhältnis zu XXXTentacion. Habe ich wohl eine Art schwaches Rotkäppchen-Syndrom gegenüber dem erschossenen Übeltäter entwickelt? Dass ich XXXTentacion trotz jeglicher Vernunft und gerade wegen seiner Animalität irgendwie doch hot finde, würde zumindest dafür sprechen. Auch das Amiga-Syndrom passt ein bisschen: Gerade wenn ich die besonders einfühlsamen Lieder von ihm höre, stelle ich mir Onfroys geplagte Seele vor und wie man die wohl heilen könnte. Ganz schön gruselig, wie gut die Symptombeschreibungen auf mein Verhalten passen.
Das Gute ist: Eine wirkliche belastbare Diagnose kann ich nicht durch Googeln und Wikipedia-Artikel lesen bekommen. Das kann nur der Fachmann. Bis dahin tröste ich mich mit dem Gedanken, dass der tote XXXTentacion zum Glück keine Frauen mehr misshandeln und keine neuen, popularitätsbefeuernden Songs mehr schreiben kann.
Hinweis: Ich habe in diesem Text absichtlich keine Videos oder Songs von XXXTentacion verlinkt, da ich nicht noch mehr (als sowieschon durch diesen Artikel) zu dessen Popularität und Klickzahlen beitragen will. Ich selbst bin auf jeden Fall schuldig im Sinne der Anklage. Aber ich will, dass ihr euch selbst überlegt, ob ihr die Songs hören und die Videos sehen wollt.
Foto: Ian Espinosa, Unsplash