Der politische und mediale Umgang mit dem Todesfall in Frankfurt
In Frankfurt wurde ein 8-jähriger Junge vor einem Zug geworfen und starb kurze Zeit später. Nachdem bekannt wurde, dass der männliche Täter aus Eritrea stammt, wird im Netz nicht mehr getrauert, sondern es entsteht eine politische Debatte. Statt um das Opfer und den Täter geht es fortan nur noch um den Umgang der AfD und ihrer ausländerfeindlichen Hetze. Ganz vorne mit dabei ist AfD-Fraktionschefin Alice Weidel, die in einem Tweet die schreckliche Tat in der – mit ihren Worten -„grenzenlosen Willkommenskultur“ geschuldet sieht. Obwohl sie die Tat zurecht als entsetzlich betitelt, beendet sie ihren Satz mit der Frage „was muss noch passieren“, womit sie die alleinige Schuld des Täters auf die der regierenden Politiker, beziehungsweise Merkel schiebt. Damit zeigt sie einmal mehr, wie sie rassistische Schuldzuweisungen für ihre politische Hetze nutzt.
Für ihre Worte bekommt Weidel viel Aufmerksamkeit. Unter den Kommentaren finden sich sowohl Unterstützer, als auch User mit einer gegenteiligen Meinung. Während andere AfD-Politiker wie Georg Pazderski oder Frank Pasemann ähnliche geschmackslose und unangemessene Nachrichten twittern, hetzt Parteikollege Holger Lucius direkt unter Weidels Tweet und fragt die wütenden Gegner Weidels „Wo ist hier Rassimus [sic!], wenn erneut ein mutmaßlicher Asylant mordet?„. Dabei bleibt die Frage, ob dies eine bewusst provozierende, unlogische und widersprüchliche Frage ist, oder ob ihm selbst nicht bewusst ist, was der Begriff Rassismus bedeutet. Das ist, als würde man mit einem Schnitzel im Mund sagen man sei Vegetarier. Dazu kommt, dass der Täter kein Asylant ist und seit 2006 in der Schweiz arbeitet und lebt.
Rassistische Wortwahl auch in den Agenturen zu lesen
Auch die Medien nehmen die Persönlichkeit des Mannes unter die Lupe und es entstehen Schlagzeilen wie die auf zeit.de: „Hauptbahnhof Frankfurt: Zuvor war er ein ‚Vorzeigemigrant‚“ Was bedeutet Vorzeigemigrant? Dieser Begriff bringt Menschen dazu in Hierarchien zu denken, bringt rassistische Strukturen und Menschen dazu, nicht an die Opfer oder die Taten zu denken. Statt den mittlerweile erwiesenen entscheidenden Grund der psychischen Krankheit des Täters in Betracht zu ziehen, bringen Schlagzeilen wie diese die Menschen dazu, andere aufgrund ihres Passes, ihrer Kultur oder Religion zu beschuldigen. Es ist so wichtig, dass die Medien sich bewusst machen, welche Kraft in Worten und welche Bilder und Vorurteile sie im Kopf der Leser pflanzen. Es war für diese Tat von keiner Bedeutung, dass der Mann einen Pass aus Eritrea hat. Man stelle sich mal vor, man könnte nach einem Mord in der Zeitung lesen, der Täter sei weiß, männlich, katholisch, Europäer bzw. er hätte einen deutschen Pass – schwierig sich das vorzustellen? Weil es zeigt, wie absurd diese Titel sind, solange kein Bezug zur Tat gezogen werden kann.
Auch Innenminister Seehofer meldet sich nach der Tat zu Wort und unterbrach dafür seinen Urlaub. Er verurteilte die Tat „auf das Schärfste“ und doch bleibt bei seinem Auftritt ein negativer Gedanke hängen: So hat Seehofer beispielsweise für den kurz zuvor ermordeten Eritrea im hessischen Wächterbach, bei dem die Ermittler von einem fremdenfeindlichen Hintergrund ausgehen, nicht seinen Urlaub unterbrochen (morgenpost.de). Auch wenn zu einer Mahnwache am Tatort rund 400 Menschen zum Protestieren kam, findet dieser Vorfall in den Medien und bei den Politikern kaum Bedeutung.
Twitter-Krieg wird im Fernsehen fortgesetzt
Zurück zum Tweet: Auf der Seite der Weidel-Gegner ist unteranderen Oliver Pocher – kein Politiker. Wer hätte das gedacht? Schließlich wurde er als Komiker bekannt und wurde wegen seinen Witzen in der Vergangenheit auch schon mal als antisemitisch bezeichnet. Doch bei dem Tweet von Alice Weidel scheint es Pocher mehr als ernst: „Die Herkunft des Täters mit dieser Straftat in Verbindung zu bringen, um hier rechtspopulistische Weisheiten zu verbreiten ist einfach nur dumm und ekelhaft.“ Mit dieser zurecht scharf formulierten Meinung ist Pocher nicht allein, erntet viele Likes, aber zum aktuellen Zeitpunkt knapp zwei Tausend weniger als Weidel selbst. Trotzdem mischt Pocher jetzt in der Debatte mit und wird vom Fernsehsender RTL zu einem „Streitgespräch“ mit AfD-Politiker Dr. med. Martin Vincentz eingeladen (Das komplette Gespräch). In diesem Gespräch kann er nicht so richtig punkten. Statt wie im Netz durch kurz gefasste Argumente zu überzeugen, kommen im Fernsehen keine Emotionen rüber. Der „Twitter-Krieg“ kann sich offline nicht von gewöhnlichen, mit sich gegenseitig unterbrechenden Politikern und zeitlich begrenzten TV-Sendungen absetzen. Schade eigentlich, wäre es doch mal eine interessante Diskussion geworden, wenn RTL das Gespräch nicht auf 10 Minuten reduziert hätte und einen AfD-Politiker gefunden hätte, der sich den Argumenten Pochers ohne Abschweifen gestellt hätte. Der Zuschauer bekommt stattdessen einen Pocher, der mit gesenktem Kopf aussieht – wie ein kleiner Junge, der seine Mutter erzählt, dass er sich mit seinem Bruder gestritten hat, während der große Bruder daneben sitzt und Ausreden findet, dass sie eigentlich keine Meinungsverschiedenheiten gehabt hätten. Das sogenannte „Streitgespräch“ beendet Pocher, in dem er sagt, man müsse jetzt auch über die Hochzeit von Heidi Klum und Bill Kaulitz und über den Wendler reden. Damit macht er deutlich, welchen geringen Stellenwert er diesem Gespräch zurechnet und entzieht der ganzen Diskussion ihre politische Relevanz. Es zeigt sich, dass Pocher als Komiker, wie er selber auch weiß, nicht der beste Kandidat ist, eine politische Diskussionsrunde spannend und informativ zu gestalten.
Anders als Pocher es hier vermuten lässt, ist die Diskussion um den medialen und politischen Umgang mit schrecklichen Vorfällen, wie dem in Frankfurt, an dieser Stelle noch nicht vorbei. Es sollte kein Politiker seinen Bekanntheitsgrad ausnutzen, um mittels rassistischer Worte oder voreiliger Entschlüsse für seine Ideologie zu werben, während der Hintergrund der Tat noch nicht bekannt ist.