Ich habe bei einem Bücherbasar ein Buch gefunden, das heißt „Frauen, die lesen, sind gefährlich: Lesende Frauen in Malerei und Fotografie“ von Stefan Bollmann, mit einem Vorwort von Elke Heidenreich. Fantastischer Titel, doch leider dreht sich dann das ganze Buch um die größtenteils männlichen Künstler, die die Bilder gemalt haben. Ich war empört. Ähnliches beim Wikipedia-Artikel zu „Women Reading“. Es gibt einen ganzen Artikel dazu, aber über Frauen*, die lesende Frauen* malen, gibt es nur einen kleinen Abschnitt. Ursprünglich wollte ich einen Kalender durch die Kunstgeschichte machen, ganz gerecht: Halb Künstler*, halb Künstlerinnen*, aber diese Erfahrung trieb mich zum Umdenken. Über Künstler wurde bereits genug berichtet, wir werden nun über die Frauen reden. Denn obwohl der akademische Weg in die Malerei Frauen* weitestgehend verwehrt wurde, gab es doch immer wieder weibliche Koryphäen, die auch nicht vor der Abbildung lesender Frauen* zurückgeschreckt sind. Deswegen werdet ihr in den kommenden 12 Monaten immer zum Ende des Monats von einem Portrait lesen. Viel Spaß!
Ein paar Gedanken, die ich beim Schreiben dieser Texte hatte:
Ich komme nicht umhin, bei jedem dieser Bilder mit der harschen, unwirtlichen Welt konfrontiert zu werden, die Alltag für Frauen* zu sein scheint, sowohl die der Frauen*, die malen, als auch die der Frauen*, die gemalt werden. Die Stärke, die diese Frauen stillschweigend in sich tragen, ist ungeheuerlich.
Über jede dieser Frauen*, Malerinnen* wie Gemalte* könnte man ganze Vorträge geben. Daher werden hier viele Aspekte außen vorgelassen, die auch in einer ausführlichen Analyse relevant sein könnten. Ich kann nur empfehlen, zumindest die Wikipedia-Artikel über diese Frauen* zu lesen. Außerdem empfehle ich sehr: „The Story of Art Without Men“ von Katy Hessel.
JANUAR: Die lesende Frau als Vorbild

Wir starten das Jahr mit einem unbefleckten, simplen Bild und dem ältesten der ausgesuchten Portraits. Es zeigt Elena Anguissola, die Schwester der Malerin Sofonisba Anguissola. Wir sehen eine junge Nonne, die von einem kleinen Büchlein aufschaut und keusch lächelt. Es ist eine der ersten Arbeiten der Malerin und besticht trotzdem durch die wundervolle Komposition und Technik. Sofonisba ist zu dem Zeitpunkt 19 Jahre alt und hat mit Elena bereits fünf Jahre bei verschiedenen Malern Praktika gemacht. Ihr Werk geht in der Message einher mit ihrem berühmtesten Werk „The Chess Game“, das nur vier Jahre später entsteht. Darin sieht man vier Mädchen Schach spielen.
In einer Zeit, in der es außerhalb der Norm war, dass Mädchen Praktika bei Malern machten, wird Sofonisba Anguissola, die mit fünf Schwestern und einem Bruder aufgewachsen ist, die Diskrepanz zwischen den Fähigkeiten ihrer Schwestern und ihr und den Mitteln, die die Gesellschaft ihr zur Verfügung stellt, nicht entgangen sein. Vier der Anguissola-Schwestern waren talentierte Malerinnen. Die Tatsache, dass sie alle in der Malerei ausgebildet wurden und damit solch einen großen Erfolg hatten, wie Sofonisba später haben würde, ermöglichte es, dass diese Praktika für eine viel weitreichendere Gruppe an Mädchen und jungen Frauen möglich wurde. Daher wird Sofonisba die Wirkung von sichtbaren Vorbildern wahrscheinlich bewusst gewesen sein und so malte sie ihre Schwestern beim Schachspielen und Elena beim Lesen. Sie hielt so der Gesellschaft den Spiegel vor: „Guckt mal, was Frauen können. Unterschätzt das mal nicht!“
Sofonisba zeigte selbst, was Frauen können, und hatte eine fantastische Karriere als Malerin. Michelangelo attestierte ihr Talent, sie war lange Jahre Hofmalerin am spanischen Hof und, auch als sie mit 40 Jahren heiratete, war sie weiterhin als bekannte Malerin aktiv. Nach vielen erfolgreichen Jahren zog sie sich etwas zurück, lehrte andere in der Malerei, verbrachte ihr Lebensende in Sizilien und starb mit 93 Jahren in Palermo.

10 Gedanken zu “Die Vielfältigkeit der lesenden Frau (Januar)”