Theaterkritik: Das Musical Hairspray im Theater Bonn

Seit Oktober führt das Theater Bonn das Musical „Hairspray“ auf. Wir haben es uns nicht nehmen lassen, das Kultmusical zu besuchen. Hier gibt es die Rezension.

Über das Musical

Das Musical „Hairspray“ wurde 2002 erstmals auf dem Broadway aufgeführt. Es hat für die Produktion acht Tonys erhalten, unter anderem für „Bestes Musical“. Es basiert auf dem gleichnamigen Film von John Waters aus dem Jahr 1988.

Die Musik des Musicals stammt von Marc Shaiman, die Lyrik von Marc Shaiman and Scott Wittman. Falls euch die Namen bekannt vorkommen: Beide haben auch Songs für die Musicalserie SMASH, Sister Act und viele andere Filme geschrieben.

Die Meisten kennen das Musical vermutlich wegen der Verfilmung aus dem Jahr 2007 mit Michelle Pfeiffer, Zac Efron, John Travolta und Amanda Bynes.

Zum Plot 

Tracy liebt es zu tanzen. Deswegen schaut sie sich jeden Tag „Die Corny Collins Show“ an, um die neusten Dancemoves zu kennen. Ihr größter Traum ist es, in der Show mitzutanzen. Der könnte tatsächlich wahr werden, denn sie suchen neue Tänzerinnen. Tracy geht voller Aufregung zum Casting. Doch auf Grund ihrer Figur – sie ist etwas kräftiger – wird sie nicht berücksichtigt. Aber nicht nur ihr wird der Zutritt zur Show verweigert.

Das Stück spielt in den 1960er Jahren in Baltimore. Dort herrscht weiterhin Segregation und Schwarze dürfen nur einmal im Monat in einer eigenen Show dort auftreten. Dass Schwarze und Weiße gemischt tanzen, steht für viele außer Frage. Tracy stellt jedoch genau diese Frage: Warum können wir nicht alle gemeinsam tanzen? Sie schmieden einen Plan, wie sie gemeinsam in die Show kommen. Nebenbei gibt es natürlich auch noch diverse Lovestories.

Die Inszenierung

Inszeniert wurde das Stück von Erik Petersen. Die musikalische Leitung übernahm Jürgen Grimm.

Das Bühnenbild gestaltet von Dirk Hofacker war toll. Zwei drehbare Dreiecke stellten verschiedenen Räume dar. Es gab einen Friseursalon mit Trockenhauben, einen Milkshakeladen und die chemische Wäscherei, die Tracys Mutter gehört. So stellt man sich die USA in den 1960er Jahren vor. Auf dem hinteren Teil der Bühne spielte die etwa 15-köpfige Band. Zwischendurch konnte man einen Blick auf die Musiker:innen erhaschen. Überraschenderweise wurde das Bühnenbild sogar noch von Menschen gedreht. Richtiges Oldschool Theater sozusagen.

Antonia Tröstl und Enrico De Pieri als starkes Mutter-Tochter-Dou.

Überraschend war auch, dass man mit einem Alter von 30 Jahren immer noch den Altersdurchschnitt in Opern runterzieht. Das Zielpublikum merkte man bei einigen Altherrenwitzen, die das Stück beinhaltet, deutlich. Deswegen ein kleiner Vermerk: Theater ist nicht so teuer, wie man vielleicht denkt. Die günstigsten Tickets für das Stück kosten nur 14,50 Euro! Also hin da!

Zurück zum Stück: „Hairspray“ handelt von Rassismus. Deswegen könnte man davon ausgehen, dass sich auch die Produktion mit dem Thema auseinandersetzt. Wir waren uns da allerdings nicht so sicher. In dem Begleitprogramm beispielsweise werden die historischen Hintergründe wie das Civil Rights Movement erklärt. Jedoch wird „Schwarz“ als Bezeichnung für Schwarze Menschen klein geschrieben. Auch in der Inszenierung fällt das Wort „farbig“ zu oft. Außerdem wäre es sinnvoll gewesen in der Kostümabteilung und in der Maske Schwarze Menschen einzustellen und sich Expertise einzuholen. Die Perücken und auch manche Kostüme der Schwarzen Darsteller:innen wirkten etwas forciert und unauthentisch.

Yannick-Muriel Noah beim Solostück „Ich weiß, wo ich war“.

„Hairspray“ zeigt , wie wichtig es ist, Schwarze und andersmarginalisierte Charaktere in Stücke zu schreiben. Denn sonst würden sie auf den Bühnen nicht zu sehen sein. Trotzdem hinterlässt das Stück einen bitteren Beigeschmack, weil die Schwarzen Charaktere nur in Nebenrollen zu finden sind. Außerdem werden sie von einer weißen Person gerettet. Das schmälert das Wirken Schwarzer Menschen in der Geschichte stark. Mehr zur  anti-rassistischen Analyse von Hairspray gibt es hier.

Der Cast konnte allerdings stimmlich und auch tänzerisch überzeugen. Tracy und ihre Mutter, gespielt von Antonia Tröstl und Enrico De Pieri überzeugten mit ihrem makellosen Gesang, vollen Stimmen und humorvollem Schauspiel. Das gilt ebenfalls für das Mutter-Tochter-Dou van Tussle gespielt von Kerstin Ibald und Kara Kemeny. Sie belebten die Rollen der Gegenspielerinnen sicher und mit großem Augenzwinkern.

Vor allem das Soulstück „Ich weiß, wo ich war“ über die Unterdrückung Schwarzer Menschen durch Weiße, gesungen von Yannick-Muriel Noah, begeisterte das Publikum und ließ es den Atem anhalten. Maickel Leijenhorst schmetterte seine Solos ebenfalls dahin als wäre es nichts.

Da konnte die Stimme des Love Interests Link gespielt von Fin Holzwart nicht mithalten. In der deutschen Musicalszene fehlen scheinbar die Aaron Tveits, Jeremy Jordans und Jonatha Groffs.

Das Finale „Niemand stoppt den Beat“ gab nochmal alles. Glitzernde Kostüme, ein positives Lebensgefühl und viel Tanz. Die Choreografie war jedoch zu schnell und komplex für die Singenden, weil das Lied an sich schon sehr anspruchsvoll ist. So wirkte es ein wenig durcheinander. Kann halt auch nicht jede:r Jonathan Bailey sein. Es verfehlte sein Ziel jedoch nicht. Die Zuschauenden wippten mit und gingen mit einem leichten Gefühl nach Hause.

Fazit

Es war ein freudiger, kurzweiliger Abend. Das Musical hat Spaß gemacht und das Publikum belebt. Nach wie vor wäre jedoch eine tiefere antirassistische Auseinandersetzung in der Theaterproduktion wünschenswert, damit man das Stück wirklich genießen kann.

Bilder von Bettina Stöß / Theater Bonn.

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