Review: „Deutschland 2050: Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird“

Die Antarktis trägt aktuell so wenig Eis wie nie zuvori, der Nordatlantik wies im Juni 2023 für diesen Monat ungewöhnlich hohe Oberflächentemperaturen aufii und Rauch aus kanadischen Waldbränden verwandelte New York City Anfang Juni in eine Szene aus Blade Runner 2049iii. All dies führt einem unweigerlich vor Augen: Der Klimawandel ist schon lange nicht mehr ein fremdes Zukunftsthema, oder anders gesagt: Unsere Gegenwart wurde von der Zukunft eingeholt.

Um mich dieser Tatsache zu stellen, griff ich vor kurzer Zeit zur Lektüre des populärwissenschaftlichen Buches „Deutschland 2050“, in denen die beiden SPIEGEL- Journalisten Nick Reimer und Toralf Staud in minuziöser Genauigkeit ein Deutschland beschreiben, was uns in knapp dreißig Jahren erwarten könnte: Heiß wird dieses Deutschland sein, trocken und nur manchmal in Sturmbächen nass und höchstwahrscheinlich noch ungemütlicher und gefährlicher als wir es uns jetzt ausmalen wollen.

Den beiden Autoren gelingt es auf den 384 Seiten diesen düsteren Ausblick im gleichen Maße mit Dringlichkeit als auch mit der nötigen Sachlichkeit anzugehen. Wohl wäre es ein Leichtes gewesen sich in apokalyptischen Szenarien zu verlieren, wie es Kritiker*innen dem 2019 veröffentlichen Werk Die unbewohnbare Erde des amerikanischen Journalisten David Wallace-Wells vorwarfen. In seinem Werk, das 2019 international zu einem Bestseller wurde, entwarf er eine Welt, die für einen Großteil der Welt ungastlich sein wird. Kriegerischen Auseinandersetzungen, Stürme, Dürren und ein nicht aufzuhaltendes finanzielles Chaos würden schlussendlich dazu führen, so Wallace-Wells, dass die Erde 2100 in großen Teilen unbewohnbar sein wird. „Für Menschen!“ wie viele Kritiker*innen ihm antworteten, haben doch seine Auflistungen sich stark auf die Auswirkungen auf den Menschen fokussiertiv.

„Deutschland 2050“ trägt diese Fokussierung vorweg und geht noch einen Schritt weiter. Anstelle sich auf eine globale Darstellung einzulassen, versuchen Toralf Staud und Nick Reimer die Kenntnisse der Wissenschaft lokal anzuwenden. Diese Limitierung funktioniert erstaunlich gut, da sie es erlaubt aus einer entfernten Bedrohung eine direkte Gefahr zu entwickeln. Diese Gefahr betrifft nun plötzlich nicht mehr nur die Menschen in dem entlegenen Bergregionen Chiles, sondern tatsächlich einen selbst, die Nachbarn, die Familie. Auch betrifft es Orte, an denen man entweder lebt oder gerne in den (Kurz-)Urlaub gereist ist. Kein Ort und kein Mensch werden sich von der Realität abwenden können, so die Botschaft dieses Buches. Die für ein populärwissenschaftliches Buch überraschend hohe Dichte an wissenschaftlichen Anmerkungen, Zitaten und Quellennachweisenv hilft dabei, diese unangenehme Wahrheit mit Seriosität zu transportieren.

„Deutschland 2050“ ist aufgeteilt in insgesamt 14 Kapitel, beginnend mit den Basics: Was sind eigentlich Klimamodelle und welche Auswirkungen hat das Klima allgemein für Mensch und Natur? In den folgenden Kapiteln wird dann genauer auf weitere Bereiche des Alltags und der vernetzten Welt eingegangen: auf die Auswirkungen auf die (Land-)Wirtschaft, auf das Wasser und den Wald, auf unseren Urlaub und den Verkehr, auf die Politik und die Sicherheit, auf die Städte(-planung) und die Energieversorgung der Zukunft. Was sich jetzt vielleicht ein wenig trocken anhören könnte, ist genau dies jedoch nicht. Dafür steht einerseits viel zu viel auf dem Spiel, wird uns doch gerade in den rund 400 Seiten unsere Zukunft gelesen, andererseits kommen in jedem Kapitel mehrere Expert*innen zu Wort, die die Szenarien und Hintergründe lebhaft belegen. Dabei handelt es sich nicht nur um Wissenschaftler*innen, sondern auch um diejenigen, die heutzutage schon an Lösungen arbeiten.

Deutschland wird im Jahre 2050 um rund zwei Grad Celsius wärmer sein als der vorindustrielle Durchschnitt. Regional wird dies selbstverständlich anders ausfallen: in den Städten wird es heißer als in ländlichen Gebieten, der Süden wird stärker erwärmen als die Küstenregionen, die wiederum am steigenden Meeresspiegel leiden werden. Unser gesamter Energie- und Transportsektor muss viel mehr als jetzt an Extremwetter angepasst werden, damit es nicht zu Ausfällen kritischer Infrastruktur kommt, von der wir alle abhängig sind. Weizen muss gleichzeitig mehr Hitze aushalten und früher gepflanzt werden, aber sich auch einen obligatorischen Frosteinbruch im Mai widersetzen können. Diese Probleme und diese Folgen sind unumkehrbar, da die Klimagase schon in der Atmosphäre sind und erst in der Zukunft ihre volle Entfaltung zeigen werden. „Deutschland 2050“ zeigt all dies detailliert auf, gibt aber auch Wege aus der Misere wieder.

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Es war ein wenig beklemmend „Deutschland 2050“ dieses Jahr zu lesen, zwei Jahre nach der westeuropäischen Flutkatastrophe, die hierzulande besonders Euskirchen und dem Ahrtal zusetzte. Wieder kam es zu Beginn des Sommers 2023 auf Grund von einer Gewitterfront aus Frankreich zu heftigen Niederschlägen, eine größere Katastrophe blieb glücklicherweise aus. An Ereignisse wie diese werden wir uns gewöhnen müssen, genauso wie an so einige andere, die wir gerne weiterhin ignoriert hätten. Mir hat die Lektüre von „Deutschland 2050“ geholfen einen Überblick darüber zu bekommen, was uns mit aller Wahrscheinlichkeit erwarten wird.

„Gut bedacht ist schon halb gemacht.“ Was nun gemacht werden muss, um eine größere Katastrophe als die beschriebene abzuwenden liegt bei uns allen. Ich persönlich habe mich einem genossenschaftlich geführten Supermarkt in Köln angeschlossen, in dem Entscheidungen im Kollektiv getroffen werden und die Ware bevorzugt lokal eingekauft und zum Selbstkostenpreis weiterverkauft wird. Die Arbeit von Köllektiv und anderen Organisationen wie der Letzten Generation oder Fridays For Future zeigen mir immer wieder, dass es nicht nur ökologische Kipppunkte, sondern auch positive soziale Kipppunkte gibt. Und dass die Apokalypse Stand jetzt für Mitteleuropäer:innen noch ferne Zukunftsmusik ist. Hoffen wir für uns alle, dass es auch so bleibt.

i Zwar wächst der Eisschild in der Antarktis derzeit, da sich die Südhalbkugel im Winter befindet, jedoch in einem viel zu langsamen Tempo. Was die Gründe dafür sind und welche Folgen es für die Region und das Weltklima haben könnte, könnt ihr hier weiterlesen.
ii Mit 23,1 Grad Celsius war der Nordatlantik im Juni 2023 1,1 Grad Celsius wärmer als der Durchschnitt der letzten 40 Jahre. Ob dies eine Folge des Klimawandels ist oder ob andere Gründe dahinterstecken, wird aktuell in der Wissenschaft noch debattiert. Mehr könnt ihr in diesem SPIEGEL-Artikel lesen.
iii Die Waldbrandsaison ist Ende Juli noch lange nicht vorbei und so kann es immer wieder dazu kommen, dass die Winde den toxischen Rauch über die amerikanischen Staaten verteilen. Bereits jetzt sind mehr als 9 Millionen Hektar Wald den Bränden zum Opfer gefallen.
iv Als Antwort auf das Feedback vieler Wissenschaftler*innen hat Wallace-Wells kurz nach Veröffentlichung seines, dem Buche zugrunde liegenden, Artikels eine annotierte Fassung veröffentlicht. Lohnend allemal, allein um lebendige Wissenschaft live und in Farbe (gelb) zu sehen.
v Insgesamt 332 an der Zahl, gepaart mit einem umfangreichen Stichwortregister. Mein failed academic Herz hat sich drüber gefreut.

Titelbild: Unsplash

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