Heute, am 08. März, ist Weltfrauentag. Das nutze ich als Gelegenheit, euch hier acht female MCs [1] aus dem Deutschrap vorzustellen. Rap ist im Moment global und auch in Deutschland die einflussreichste popkulturelle Strömung. Was hier passiert, hat Durchschlagkraft. Deutschrap prägt aber nicht nur, wie wir uns anziehen, was wir essen und wie wir uns verhalten. Er spiegelt auch, wie wir als Gesellschaft drauf sind. Deshalb freut es mich besonders, dass ich sagen kann: Noch nie sind im Deutschrap so viele verschiedene weibliche Rap-Acts unterwegs gewesen und noch nie waren die künstlerischen Visionen dieser Acts so divers. Es freut mein Deutschrap-Herz sehr, dass sich hier einiges tut. Es ärgert mich zwar, dass „Frauen-Rap“ immer noch eine eigene Kategorie ist, die nur in Ableitung vom Standard „Rap (natürlich männlich)“ existiert. Aber ich komme in diesem Fall um diese Kategorisierung selbst nicht drum herum. Deshalb fangen wir am Besten direkt an.
Badmómzjay – Move
Die Berlinerin mit polnischen Wurzeln ist eine der freshesten im Deutschrap und das, obwohl sie sich selbst nicht zur Szene zählt. Sie hat kein Bock auf den von ihr so betitelten „Zirkus“ und stellt klar: „Ich höre kein Deutschrap“. Ihre Selbstprognose: Nächstes Jahr komme das Feature-Album mit Tyga, einer Größe im US-Rap. Ihre Vorbilder hört man der Musik von Badmómzjay auch an. Die Sounds und der Flow sind deutlich von amerikanischer Rapmusik geprägt. Ihre Texte, eine Mischung aus Deutsch und Englisch, passen dazu sehr gut. Kein Wunder, Badmómzjay ist schließlich zweisprachig aufgewachsen. Der Begriff Denglisch wirkt deshalb für ihre Lyrics viel zu trocken. Aber die Rapperin hat nicht nur einen innovativen Stil, sondern sie bringt auch durch ihre offen ausgelebte Bisexualität frischen Wind in das Game. Sie macht keinen Hehl daraus, dass sie dir sowohl deinen Boy als auch dein Girl klaut. Sie sieht diese offene Haltung als Hilfsangebot an andere junge Menschen, die mit ihrer Sexualität oder einem Outing Schwierigkeiten haben. So eine erwachsene und reflektierte Haltung ist leider nicht selbstverständlich. Und dabei ist Badmómzjay erst 18 Jahre alt. Wenn sie so weitermacht wie bisher, steht ihr eine steile Karriere bevor.
Nura – F**** Wieder Da/Hier Oben
Seit beide Hälften von SXTN solo unterwegs sind, war ich von keinem ihrer individuellen Tracks so richtig umgehauen. Aber im neuen Jahr hat Nura meiner Meinung nach richtig abgeliefert. Im Januar ist ein Double-Feature für „F**** wieder Da“ und „Hier Oben“ auf YouTube erschienen. In dem ersten Track stellt Nura ihre Position im Deutschrap klar und teilt aus: „Jetzt ist die F**** wieder da / Rapper haben 110 auf Wiederwahl“, „Meine Haut ist braun / meine Haare kraus / white chicks machen auf Black und bekommen dafür Applaus“ und „Ihr tragt ihre Klamotten / doch auf Schwule schiebt ihr Hass“. Solche eindeutigen Positionierungen in Kombination mit Aggro-Rap sind genau die Provokation, die Deutschrap dringend braucht. In „Hier Oben“ bringt Nura einen hingegen eher zu einem nachdenklichen Grinsen, wenn sie selbstironisch rappt: „Du hast Ice an deiner Chain / Ich hab Ice in meiner Sprite“ [2] und „So viel Drip / denn ich heul mich in den Schlaf (Depression)“ [3] und im Video regnet es Xanax-Tabletten. So viel Reality-Check muss sein.
Layla – Creamy
Deutsche „WAP“, oder was? Wer mit expliziten Texten ein Problem hat, sollte hier lieber weghören. In „Creamy“ beschreibt Layla einen Liebhaber, der ihren Wünschen nachkommt und baut dabei auf die popkulturell reiche Metaphernwelt an Obst und Lebensmitteln für das weibliche Geschlechtsorgan. Die aus Münster stammende Wahlberlinerin orientiert sich bei ihrem Stil eher an Sounds abseits des Deutschrap-Mainstreams und arbeitet mit den Produzenten Geenaro und Ghana Beats zusammen. Letzterer hat zum Beispiel auch schon viel für Luciano produziert.
Es könnte gut sein, dass Layla aber demnächst auch mal RnB-Tracks veröffentlicht. Auf dem Radar aufgetaucht ist sie mit souligen und warmen Spontan-Gesängen auf Instagram und sie sagt selbst, dass sie sich musikalisch nicht auf einen Stil festlegen will. So füllt Layla eine Lücke aus, die bis dato noch nicht besetzt war. Allein das sollte für eine mindestens solide Karriere reichen. Einen prominenten Fürsprecher hat Layla auch schon. Xatar sagt in einem Radio-Interview mit JamFM:
Eine Sache muss man den Female Rappern lassen. Die Prozentzahl derer, die wirklich gut sind, ist einfach viel höher als bei den Männern. Das war auch in Amerika immer so. Female Rapper in Deutschland sind auf jeden Fall (fast) alle krass. Aber ich muss sagen, bei Layla könnte es sein, dass sie die Krasseste ist.
Xatar in einem JamFM-Interview
Wo er Recht hat, hat er Recht. Und irgendwann werden wir nicht mehr darüber diskutieren müssen, ob das Geschlecht der*des MCs Einfluss auf die Qualität des Raps hat. Bis dahin sollten wir Layla im Auge behalten, denn sie wird sicher einen großen Teil dazu beitragen.
Loredana – Rockstar
Die Schweizerin mit albanischen Wurzeln ist zuerst bekannt geworden durch einem Lip-Synch zu Maître Gims „Habibi“ auf Instagram. Nebenbei hat sie damals schon eigene Musik produziert. Im Sommer 2018 veröffentlicht sie dann ihre erste Single „Sonnenbrille“. Mit ihrer Bekanntheit kommt aber auch ans Licht, dass sie in einen Betrugsversuch verwickelt ist. Eigentlich möchte ich den Fall gar nicht noch weiter überbetonen. Aber durch ihren Betrugsversuch ist Loredana mit wirklich lehrbuchhaftem, typischem Internet-Deutschrap-Bubble-Sexismus konfrontiert. Im Hip-Hop ist eine kriminelle Vergangenheit eigentlich kein Beinbruch, ganz im Gegenteil. Für Männer im Rap-Game gehört die kriminelle Vergangenheit schon fast zur Grundausstattung. Authentizität wird im Hip-Hop und Rap vor allem durch den Bezug zur Straße und damit oft auch zu Kriminalität hergestellt. Aber was für Gzuz und Haftbefehl gilt, gilt nicht für Loredana. Im Internet hat sich eine Hate-Kampagne entwickelt, die bis heute die Kommentarspalten unter allem, was mit Loredana zu tun hat, dominiert.
Das ist weit entfernt von berechtigter Kritik an ihrer kriminellen Vergangenheit und zeigt eine sexistische Doppelmoral. Loredana als Frau wird anders bewertet als ihre männlichen Counterparts. Manche beharren darauf, dass ihre Kritik nichts mit Sexismus zu tun habe, sondern dass es lediglich um die Qualität ihrer Musik oder um ihre Betrugsversuche gehe. Dass die Trolle das selbst so sehen, bezweifele ich nicht. Aber es steht in keinem Verhältnis zu dem gerichtlich inzwischen längst geschlossenen Verfahren oder ihrer Musik. Macht euch am Besten selbst ein Bild mit „Rockstar“ von Loredana.
Haiyti – Holt mich raus hier
Die Trap-Göre des Deutschrap hat es wieder getan. Noch kurz bevor das anstrengende Jahr 2020 zu Ende geht, veröffentlicht Haiyti ihren Track „Holt mich raus hier“. Im zugehörigen Video mischt sie eine blasierte Festgesellschaft auf und flext einen stabilen androgynen Look nach dem anderen. Dabei wirkt alles halb gewollt unterproduziert. Irgendwie kann man bei Haiyti nie so richtig sagen, was sie absichtlich macht und was nicht. Ihre Mischung aus überschlagender Straßenrap-Stimme und Kunstakademie-Rap ist interessant, aber auch ein bisschen anstrengend. Sie spielt mit verschiedenen Identitäten und Tropen des Deutschrap, als wären es Abziehbilder. Da kommt man nicht immer so richtig mit. Genau das ist aber auch ihre Stärke. Sie braucht kein Feature mit einem Capital Bra oder Ufo361, denn das ist sowieso nicht ihre Welt. Ihre Kunstfigur zitiert immer wieder Motive, die einem entfernt bekannt vorkommen. Aber gleichzeitig sind die Motive so stark verfremdet, dass sie wie leere Hülsen wirken. Ronja Zschoche, wie sie bürgerlich heißt, macht das alles aber trotzdem intuitiv oder in einer Art Vorbewusstsein und nicht wirklich geplant. Das macht es irgendwie auch wieder sympathisch.
Eunique – Giftig / Genau So
Leider ist es wegen Uneinigkeiten mit ihrem Management seit etwa einem Jahr ziemlich ruhig um Eunique geworden. Eigentlich ist sie aber eine sehr vielversprechende Kandidatin im Deutschrap. Ihre Fans warten jetzt nur darauf, dass sich die Sache klärt und sie endlich neue Songs veröffentlichen kann. Ihr ehemaliger Künstlernamen-Zusatz war „Kobra“, den hat sie hinter sich gelassen. Aber auch in Tracknamen wie „Kobra Kartell“ oder in Handbewegungen taucht die Kobra noch auf.
Wer die Zeit hat, sollte sich ihr Portrait in der „Germania“-Dokuserie ansehen. Darin spricht sie über ihr Aufwachsen zwischen Pflegefamilie und ihrer alleinerziehenden Mutter. Auch ihr inzwischen verstorbener Vater kommt zur Sprache und dass dieser ebenfalls Rapper war. Eunique erläutert sehr nachvollziehbar, dass die Auseinandersetzung mit diesem Aspekt lange gebraucht hat, weil sie nicht wollte, dass die Menschen denken, sie habe sich alles bei ihm abgeschaut. Ein letzter Aspekt, der im Portrait thematisiert wird und mir bereits früh auf ihrem Instagram-Profil aufgefallen ist: Eunique hat einen extremen Arbeitsethos und eine ehrgeizige Mentalität.
Hoffen wir, dass sich das bald bezahlt macht und die Kobra aus dem Käfig kann.
Katja Krasevice x Elif – Highway
Ganz zum Schluss kommt noch ein Song, der jetzt nicht unbedingt unter „Deutschrap“ läuft. Und deshalb ist das mit dem 8M vielleicht eher ein 6 einhalb. Aber, egal, erinnert ihr euch noch an dieses braunhaarige Indie-Pop-Girl und die Reality-TV-Queen, die gemeinsam einen Song gemacht haben? Nicht?? Okay, ja ich auch nicht. Ich habe diesen Song eben erst gefunden und naja, was soll ich sagen. Ich bin in jeglicher Hinsicht komplett überrascht. Es ist auf jeden Fall nicht die Kollaboration, die ich erwartet habe und auch nicht der Song, den ich erwartet habe. Elif rappt und Katja Krasevice ist sentimental. Vor Kurzem hatte ich Katja Krasevice noch abgespeichert unter „Plastic-Life-YouTuberin mit Single-Auskopplung“ (was nur nebenbei absolut legitim ist, nur vielleicht nicht ganz meine übliche Internet-Umgebung). Ich habe krassen Respekt vor der Entwicklung in Richtung ernsthaftem Musik-Output von Katja. Aber fast genauso überrascht war ich von dem Bad-Bitch-Vibe von Elif. Ihr angedeuteter Rap-Part ist auch der Grund, warum ich den Track hier spontan mit rein genommen habe. Elif hatte ich irgendwann in oben genannte Popsternchen-Schublade geschoben. Völlig zu Unrecht, wie mir jetzt scheint. Dieser Track lehrt mich einmal mehr, dass wir als Hörer*innen kein Recht haben, Musiker*innen auf die Schublade festzulegen, in der sie mal gestartet haben. Und damit entlasse ich euch auch in den Montag. Klickt die Videos und supportet diese Frauen.
[1] MC steht für „Master of Ceremonies“ und ist im Rap die Bezeichnung für die rappende oder sprechende Person bei einem Rap-Track. Ursprünglich vor allem als Bezeichnung für Live-Auftritte, wird die Bezeichnung heute oft Synonym zu „Rapper*in“ verwendet.
[2] Ice steht im Hip-Hop-Slang für diamantenbesetzten Schmuck.
[3] Drip steht im Hip-Hop-Slang für auffällige, neue oder teure Kleidung oder ein entsprechendes Outfit.
Beitragsbild: Michael Jackson