Am kahlen Astwerk
Vom kühlen Frühlingsregen
Die runden Perlen.
Kyoshi
Kennt ihr das? Ihr wollt euch mal eloquent ausdrücken und wie in Marianne in „Sinn und Sinnlichkeit“ Gedichte rezidieren? Aber manche Gedichte sind einfach so lang, kompliziert und unverständlich… Zum Glück gibt es Haikus!
Haikus sind die Quickies unter den Artgenossen, kurze dreizeilige Gedichte aus Japan. Die Zeilen werden in 5-7-5 Moren (im Deutschen Silben) geschrieben. Die deutsche Sprache enthält jedoch in einer Silbe wesentlich mehr Informationen als eine japanische Mor, deswegen ist es mittlerweile Gang und Gebe, weniger als 17 Silben zu gebrauchen. So kurz eben, dass man sie auch während einer Aufzugfahrt lesen kann.
Also ganz easy: Ein Satz, eine Message, schnell gelesen – aber auch schnell wieder vergessen. Wieso liest man also Haikus? Kann man genug Sinn und Gedanken in einen Satz verpacken, dass man länger darüber nachdenkt? Ich lese ein paar und sie gefallen mir. Manchmal nachdenklich, ab und zu lustig. Oft muss ich ein zweites Mal lesen, damit ich sie wirklich verstehe. Obwohl nur so kurz, versteckt sich jedes Mal eine ganze Szene dahinter und ich fühle mich gleich an den beschriebenen Ort versetzt.
Das ist auch der Hauptgegenstand eines Haikus: Es beschreibt einen konkreten Zustand. In weniger als 17 Silben wird eine einmalige Situation oder ein einzigartiges Erlebnis in der Gegenwart beschrieben. Dabei wird etwas außerhalb der menschlichen Psyche beschrieben, das wiederum irgendwie auf das Innere des Menschen verweist.
Schlaflos –
auf dem Kissen neben mir
Mondlicht
Roswitha Erler
Häufig werden die Haikus den unterschiedlichen Jahreszeiten zugeordnet. Verschiedene Gegenstände im Haiku haben bestimmte Bedeutungen. Der Herbst wird eher mit Melancholie verbunden, der Frühling mit Neuanfang. Im Grunde genommen genauso wie bei „normalen“ Gedichten – kennt man ja alles schon aus der Schule. Allein schon die Benutzung verschiedener Worte, wie Schnee, Nebel, Lilien… ruft bestimmte Emotionen im Leser hervor.

Die Ästhetik der Kürze fasziniert mich. Der Autor fokussiert sich dabei auf die schönen, bedeutungsvollen Worte. Obwohl ich noch nicht ganz den Aufbau verstehe (Mach einfach was du willst, Hauptsache in drei Zeilen und unter 17 Silben?), finde ich diese wundervolle Art der Erzählung doch klasse. Eigentlich genau die richtige Gedichtform für das Twitter-Zeitalter und dabei in dieser klassischen Form schon seit dem 16. Jahrhundert in Japan bekannt.
Obwohl ich kurz darüber nachdenke, einen Haiku-Twitter-Account aufzumachen und ab sofort herzergreifende Haikus in die Welt zu schicken, denke ich, werde ich es beim Lesen belassen. Ich glaube kaum, dass ich mich so kurz fassen kann…
Wenn du dich für mehr interessierst, findest du hier die Webseite der Deutschen Haiku-Gesellschaft: deutschehaikugesellschaft.de
Die Lilien blühen –
Doch wie kann ich vergessen,
Was einst gewesen?Shokû-ni