Wie fühlt sich eine Corona-Quarantäne an?

Dieser Text stammt von einer Person, die im Zuge der Schutzmaßnahmen gegen das neue Virus Covid-19 unter Quarantäne gestellt wurde. Die Person ist der Populärkollektiv-Redaktion bekannt, möchte aber anonym bleiben.

Die Ausgangssituation

Ich wohne wie viele junge Menschen in einer Wohngemeinschaft. In dieser Wohngemeinschaft hat sich eine Mitbewohnerin mit dem Corona-Virus angesteckt. Das steht nach einem offiziellen Testergebnis am Samstagmorgen, dem 29. Februar, fest. Kurz nach meiner Mitbewohnerin bekomme auch ich einen Anruf von einer Mitarbeiterin des Gesundheitsamts. Sie teilt mir mit, dass ich als Schutzmaßnahme gegen die Ausbreitung des Virus bis zum 16. März unter Quarantäne gestellt bin und mich so gut es geht von meiner Mitbewohnerin fern halten soll: Keine Flur- und Küchenschwätzchen, kein gemeinsames Kochen oder Essen, am Besten gar kein Kontakt und immer schön Hände waschen!

Die ersten Tage: Schlafen, Telefonieren, Putzen, Witze machen

Meine Mitbewohner*innen und ich versuchen, die Situation mit Humor zu nehmen. Aber erstmal sind wir von der Aussicht, über zwei Wochen lang nicht aus dem Haus zu können, sehr frustriert. Ich versuche, mich mit Putzen und Zimmer aufräumen abzulenken. Viel Zeit geht alleine schon dafür drauf, dass ich wahlweise mit dem Gesundheitsamt, Freund*innen, Familie und Kolleg*innen telefoniere, Termine absage und Mitleid für meine Situation einsammle. Auch versuche ich, gemeinsam mit meinem Mitbewohner einen Virus-Test für uns zu organisieren. Wir wollen wissen, ob wir uns auch angesteckt haben und dementsprechend allen Kontaktpersonen Bescheid geben müssen.

Mitte der Woche: Kein Test in Sicht, keiner will uns

Schnell realisiere ich, dass die Lage an allen Fronten schon sehr heftig ist. Nachdem ich Samstag und Sonntag erfolglos versucht habe, eine*n Mitarbeiter*in des Gesundheitsamts für einen Virus-Test zu uns in die WG zu bestellen, bekomme ich am Sonntagnachmittag auf einmal die Info, ich solle mich bei meiner Hausärztin testen lassen. Nach weiteren Telefonaten und einem erfolglosen Versuch, sich im Uniklinikum testen zu lassen, gebe ich Mitte der Woche den Gedanken an den Test auf. Ich resümiere meine Lage: Mir geht es gut, ich habe keinerlei Symptome und so lange ich in Quarantäne bin, kann ich zumindest schon mal niemanden anstecken. Naja, mal abgesehen davon, dass ich die Quarantäne nicht ganz so streng einhalte, wie das vielleicht angebracht wäre. Mittwoch halte ich es nicht mehr in der Wohnung aus und mache in einen dicken Schal eingemummelt einen kleinen Spaziergang. Das Schuldgefühl und die Ungewissheit nagen die ganze Zeit an mir, sodass der Spaziergang keine sonderlich entspannende Wirkung hat. 

Ende der ersten Woche: Totaler Frust, Gereiztheit

Ende der Woche bin ich einerseits rastlos und aufgerieben und andererseits völlig ohne jeglichen Elan. Nichts, was mir sonst Spaß bereitet, löst zu dem Zeitpunkt irgendeine Emotion in mir aus. Ich fühle mich leer und ziellos, und das nach nur einer Woche in Quarantäne. Ich habe auf einmal ein ganz anderes Mitgefühl für Menschen in Isolationshaft. Während ich die Zeit eigentlich gut für Uni-Arbeit hätte nutzen können, hat sich genau das Gegenteil eingestellt: Ich tigere von einer Ablenkung zur nächsten, hänge immer wieder am Handy, um irgendjemanden über den Stand der Dinge zu informieren, und stiere manchmal einfach nur frustriert ein Loch in die Decke. Zu allem Übel gibt dann unser WLAN-Router Donnerstagabend nach einer Woche Dauer-Netflix auf einmal den Geist auf. Wir können zwar direkt über die Hotline einen neuen Router bestellen, aber knapp zwei Tage kann ich mich dann nur noch mit Lesen, Yoga und Herumtelefonieren ablenken.

Beginn der zweiten Woche

Die Woche vom 8. März beginnt mit Verwirrung: Die Quarantäne der positiv getesteten Mitbewohnerin endet schon früher als meine eigene, weil auch bei ihr ab dem Zeitpunkt gerechnet wird, an dem sie Kontakt mit dem Virus hatte. Nicht mal 24 Stunden nach offiziellem Ende ihrer Quarantäne bekommt sie jedoch einen weiteren Anruf vom Gesundheitsamt, der sie zu einem neuen Test und vorerst weiterer Quarantäne verpflichtet. Weil sie bereits seit einer Weile keine merklichen Symptome mehr hat, gehen wir alle davon aus, dass das Testergebnis negativ ausfallen wird. Ich werde ein bisschen mutiger und treffe mich verbotenerweise mit zwei Freundinnen auf einen Kaffee. Danach bin ich zwiegespalten. Einerseits merke ich, wie gut mir dieses Stückchen sozialer Kontakt und Normalität getan hat. Andererseits ist da wieder der nagende Zweifel, ob ich eventuell Überträgerin des Virus sein könnte. Dann bekomme ich einen Anruf vom Gesundheitsamt, bei dem der Mitarbeiter beiläufig erwähnt, dass meine Quarantäne ja bis zum 12. März geht und ich demnach bald durch bin. Ich weise ihn nicht darauf hin, dass ich einen Brief des Gesundheitsamts habe, in dem meine Quarantäne offiziell bis zum 16. angeordnet ist.

Ende der zweiten Woche:

Ich hatte mit Freundinnen vereinbart, am Donnerstag wieder in die Bibliothek zu kommen. Mittwochmittag bekommt meine Mitbewohnerin das zweite Testergebnis: immer noch positiv. Die Anordnung lautet: Vorerst Quarantäne bis zum 23. März. Sie ist frustriert und niedergeschlagen und ich fühle mit ihr. Abends versuche ich, uns abzulenken, und wir trinken ein Weinchen und reden. Das Risiko, dass ich mich anstecke, ist auf jeden Fall da. Aber in dem Moment kommt es mir einfach unmenschlich vor, nicht wenigstens ein bisschen Zeit mir ihr zu verbringen und sie über die schlechten Nachrichten hinwegzutrösten. Allerdings wird mir dann auch bewusst, dass es sehr fahrlässig sein könnte, ohne Gewissheit am nächsten Tag in die Bibliothek zu spazieren. Am nächsten Morgen leiere ich also das ganze Prozedere mit einer Testanfrage ein weiteres Mal an, nur um am Ende wieder am selben Punkt zu landen. Eine Ärztin des Gesundheitsamts beschließt: Wenn ich keine Symptome habe und die Quarantäne eingehalten habe, dann werde ich nicht getestet und soll davon ausgehen, dass ich mich nicht angesteckt habe. Ich merke, dass der Rechtfertigungsdruck hoch sein wird, sobald ich in die Öffentlichkeit gehe. Viele Freund*innen machen sich zwar keine Sorgen und beschwichtigen mich, aber meine Unsicherheit bleibt. 

Quarantäne endet bittersüß

Einerseits bin ich heilfroh, zumindest mehr oder weniger in einen normalen Alltag zurückzukehren. Aber ich weiß immer noch nicht, wie ich in der Begegnung mit anderen mit meinem ungewissen Status umgehen soll. Am liebsten wäre es mir, das ganze Thema wenigstens für einen Tag komplett auszublenden und so zu tun, als ob es gar nicht existiert. Aber während ich zähneknirschend zwei Wochen in meinem Zimmer verbracht habe, ist auch die Welt um mich herum zunehmend vom Corona-Virus beeinflusst worden. Das Thema ist unausweichbar. Die nächsten Tage werden zeigen, ob sich die Geschichte für mich vorerst erledigt hat. Oder ob das nur der Anfang war.


Titelbild: visuals, Unsplash

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