Es ist Mai, für mich der schönste Monat im Jahr. Wir haben Sonne, es wird auch mal richtig warm, aber nicht zu heiß. Zeit für schöne Sommerkleider und Picknick im Park. So scheint auch dieses Bild von Mary Cassatt entstanden zu sein. Sie war amerikanische Impressionistin, die in einer engen Freundschaft mit Degas stand. Von seiner Kunst wurde sie gerade am Anfang beeinflusst, versuchte aber auch bewusst, ihr eigener Stil zu finden. Obwohl sie selbst nie heiratete oder Kinder bekam, war ihr Hauptthema lange Zeit „Mutter und Tochter“, die sie häufig bei mondänen Tätigkeiten zeigte.

So auch hier: Wir sehen zwei Frauen und ein kleines Mädchen beim Lesen eines Magazins. Eine der Frauen ist vermutlich die Mutter des kleinen Kindes, die andere vielleicht eine Verwandte. Man hat das Gefühl als wäre ein Moment eingefangen worden, der ebenso tatsächlich passiert sein könnte. Die Mutter liest dem Kind etwas vor, die Tochter hält die Hand ihrer Mutter, damit sie vielleicht zurückblättert. Wie wir es schon bei Sofonisba Anguissola gesehen haben, wird die mondäne Tätigkeit relevant gemacht, indem sie auf einem großen Bild verewigt wird. Dadurch entsteht der Eindruck: Vielleicht ist das hier gar nicht so irrelevant, vielleicht sind wir hier bei etwas Wichtigem dabei?
Ich finde es sehr schön, die Verbindung dieser drei zu sehen, offensichtlich innig, eng, aber auch gewöhnlich. Das Bild gibt mir ein gutes Gefühl, die Stimme der Mutter klingt fast aus dem Bild hervor, ruhig und hell, freundlich, und geduldig neben dem Gebrabbel der Tochter. Nachdem wir die ersten Monate eher schwere Bilder hatten, ist das ein beruhigender Ausgleich, auch wenn der Hintergrund für Mary Cassetts Malerei explizit feministischer Natur war, in einer Zeit, in der Frauen noch nicht einmal wählen konnten. Schlussendlich zeigt dieses Bild auch, was wissenschaftlich nachgewiesen ist: Gebildete Mütter machen gebildete Kinder. Wenn die Mutter gebildet ist, gibt sie das an ihre Kinder weiter. Dementsprechend: Projekte, die Müttern Bildung bieten, sind immer unterstützenswert.
Dieser Artikel erscheint in unserem Kunstkalender für das Jahr 2025 zum Thema „Lesende Frauen“. Hier alle (bisherigen) Artikel in der Reihe:

6 Gedanken zu “Die lesende Mama (Mai)”