How to collect nice pictures (online) fast. Meine digitalen Bild-Archive

Das „Schöne Dinge“-Buch als Alltagsarchiv

Als Kind hatte ich ein „Schöne Dinge“-Buch. In das habe ich alle möglichen Zeitschriftenschnipsel, Bilder, Postkarten, Verpackungen, Servietten und sonstige hübsche Alltagsfundstücke hineingeklebt. Das Buch war nicht nur eine vielfältige Collage aus verschiedensten Formen, Farben und Materialien. Es war auch ein Blick in einen bestimmten Zeitausschnitt und somit ein kleines, persönliches Bildarchiv. Dabei ging es mir immer auch darum, die eingeklebten Fundstücke zu bewahren. Der Anblick einer schönen Sardinen-Verpackung oder einer tollen Anzeige in einem Modemagazin löste in mir den Impuls aus, dieses Objekt irgendwo fixieren zu wollen.

9 year old girls at recess. Spontan mal zivilisatorische Praktiken ausüben

Im Internet existiert die halb augenzwinkernd, halb ernst gemeinte Idee, dass junge Mädchen während dem freien Spiel in Pausenzeiten spontan Praktiken ausüben, die die Entwicklung unserer Zivilisation spiegeln.

Screenshot: https://www.tumblr.com/plantmomstories/724750925758070784


War ich mit meinem „Schöne Dinge“-Buch also unbewusst in die höchst zivilisierten Praktiken des Archivierens und Kuratierens eingestiegen?

Tumblr als erster digitaler Ort meiner Bildfixierungs-Wut

Mit dem Aufkommen des Internets dauerte es nicht lang, bis mein „Schöne Dinge“-Buch von digitalen Sammlungsorten abgelöst wurde. Meine Bildfixierungswut übte ich auf meinem Tumblr-Microblog aus.

Screenshot: https://alikes.tumblr.com/

Wie in meinem Buch sammelte ich hier alles, was ich interessant und inspirierend fand. Stundenlang konnte ich durch die Blogs anderer Menschen scrollen und rebloggte fleißig, was mir selbst gefiel. Für mich war das eine geniale Entdeckung: Im Internet gab es auf einmal scheinbar endlosen Nachschub an tollen Bildern. Schon nach kurzer Zeit entstand auf meinem Tumblr, ähnlich wie in meinem „Schöne Dinge“-Buch, ein buntes Sammelsurium. Die angehäuften Bilder folgten keinen besonders strengen Auswahlkriterien. Ich hatte keine bestimmte Ästhetik oder ein spezifisches Thema. Es war schlicht und ergreifend ein digitales Museum meines „Schöne Dinge Sammeln“-Impulses.

Vom digitalen Archiv zum physischen Museum?

Schon damals hatte ich die Idee, irgendwann aus diesem großen digitalen Archiv einzelne Bilder auszuwählen, auszudrucken und zu einem physischen Sammelsurium zusammenzustellen. Damit wäre ich dann vom Sammeln und Archivieren zum Kuratieren übgergegangen. Aber die Menge des Materials machte das schon in dieser frühen Phase meines digitalen Bildersammelns zu einer Mammut-Aufgabe, die ich letztlich nie angegangen bin.

Meine aktuellen Instagram, Pinterest und sonstige Bildarchive

Inzwischen haben sich meine digitalen Bildarchive vor allem auf Instagram und Pinterest verlagert. Allerdings sind beide Sammlungen eher privat. Das Kuratieren und Präsentieren meiner Fundstücke passiert meistens nur noch sporadisch, indem ich ab und zu Bilder aus meinen Saved-Ordnern in meine Instagram-Storys poste.

Screenshot: https://www.instagram.com/arcx1000
Screenshot: https://www.instagram.com/gochagia/

Entgegen der früheren Praktiken folgt meine Kuratierung dann aber zumindest einem groben Konzept oder einer bestimmten Stimmung. Ich vermute, das hängt damit zusammen, dass die beiden Schritte des Archivierens und des Kuratierens mental und zeitlich deutlich stärker voneinander getrennt sind. Zuerst sammle ich alles in meinen diversen Ordnern und Listen, lose sortiert nach bestimmten Themen wie „Kunst“, „Grafik“ oder „Memes“. Dann vergeht eine gewisse Zeit. Und am Tag X entscheide ich mich dann, hier und jetzt eine kleine digitale Bilderschau in meinen Stories zu veranstalten.

Dass ich mit diesem Bedürfnis nach dem Sammeln und Kuratieren von (digitalen) Bildern nicht alleine bin, zeigen die vielen wunderbaren Bilder-Accounts auf Instagram und Pinterest. Hier sind meistens deutlich strengere Kuratierungskriterien erkennbar. Oft folgen die Account-Admins* einem bestimmten ästhetischen Stil oder Thema.

Screenshot: https://www.instagram.com/beobachtungsstelle/
Screenshot: https://www.instagram.com/massive.archive/

Mein Bilderschau-Stories sammle ich dann wiederrum in meinem Story-Highlight namens „Museum“ – also sozusagen eine Art Ausstellungskatalog. In den passen aber, wie in jedes Story-Highlight, nur hundert Posts. Momentan ist mein persönliches Museum deshalb immer nur hundert Posts alt. Alles Ältere liegt auch als Nullen und Einsen auf irgendeinem Instagram-Server.

Screenshot: https://www.instagram.com/stories/highlights/18019385519047337/

Noch bis heute verfolgt mich die Idee, irgendwie mehr aus diesen digitalen Archiven zu machen. In einer Utopie mit unbegrenzter Zeit widme ich mich genüsslich dem genauen Katalogisieren, Sortieren, Auswählen und Zusammenstellen meiner gespeicherten Bilder. Realität wird das vermutlich nicht so schnell.

Vom Winde verweht – Land Art als Beispiel für flüchtige Kunst

Ich kann die Flüchtigkeit der digitalen Bilder auch positiv sehen. Als Vorbild dafür kann die „Land Art“ dienen. Hier bauen Künstler:innen mit Materialien wie zum Beispiel Ästen oder Steinen ein Gebilde in der Natur vor Ort. Häufig sind die Kunstwerke extra so angelegt, dass sie über die Zeit von Wind und Wetter abgetragen werden. Die Kunstwerke verdeutlichen den Betrachter:innen so ihre eigene Flüchtigkeit. Das Schöne daran: Sie zeigen auch auf, wie unsere Umgebung als Kreislauf funktioniert. Die Äste und Steine des Kunstwerks gehen mit der Zeit wieder in die unstrukturierte, nicht-gestaltete Umgebung ein.

Digitale Bilder sind auch flüchtig

Ähnlich funktioniert es bei den digitalen Bildern, die in meinen Saved-Ordnern archiviert sind. Viele der digitalen Bilder verschwinden vielleicht kurzzeitig aus meiner Story oder meinem Story-Highlight und damit auch aus dem von mir strukturierten und kuratierten Kontext. Aber sie werden von zigtausenden anderen kleinen und großen Accounts anderswo gesammelt, gerepostet und so in neuen Kontexten immer wieder weiterentwickelt und neu kontextualisiert. So kehren die Bilder immer wieder zurück in die unstrukturierte, nicht-gestaltete Umgebung des digitalen Raumes. Diesen Gedanken finde ich sehr versöhnlich. Ich muss die Flüchtigkeit der Bilder nicht durch Archivieren und Kuratieren bannen. Sondern ich kann akzeptieren, dass ich nur ein kleiner Teil in dieser riesigen digitalen Bilderlandschaft bin.

Zeit für ein neues „Schöne Dinge“ Buch?

Vielleicht ist es aber auch an der Zeit, ein neues „Schöne Dinge“ Buch anzufangen. Gedruckte Magazine durchblättern, hübsche Fotos ausschneiden, bunte Obstaufkleber abknibbeln, die Fundstücke sortieren und zusammenlegen, Klebestift auftragen, Schnipsel auf eine Buchseite kleben: Dinge mit den Händen machen zu können, ist immer noch toll. Damit will ich nicht sagen, dass ich das Internet und digitale Bilder für überflüssig halte. Plattformen wie Tumblr, Instagram und Pinterest haben mir Zugang zu einem riesigen Pool an Inspiration ermöglicht. Diesen Zugang möchte ich nicht missen.

Aber als Gegengewicht zu den vielen digitalen Tätigkeiten in meinem Alltag stelle ich mir das Buch als sehr zufriedenstellenden Ausgleich vor. Ich kann den Pritt-Stift schon förmlich riechen! Und wer weiß, vielleicht wird mein neues „Schöne Dinge“ Buch ja sogar ein physisch-digitaler Hybrid. Ganz gemäß den „9 year old girls at recess“ will ich zivilisatorischen Praktiken nachgehen, ohne groß darüber nachzudenken. Schnipsel aus Magazinen mischen sich mit Ausdrucken meiner digitalen Bild-Archive, ausgedruckte QR-Codes verlinken auf tolle Musikvideos, meine Kritzeleien überlagern die Striche von im Internet gefundenen Skizzen – Ich habe da so eine Vision. Sollte diese Wirklichkeit werden, erfahrt ihr es hier zuerst!


*Admin: Von „Administrator“, ursprünglich vor allem im Kontext von Online-Foren als Begriff gebräuchlich für Nutzer:innen mit einer übergeordneten Funktion, inzwischen als Begriff für die Betreiber:innen von öffentlichen Social Media Accounts genutzt. Besonders geläufig ist z.B. der Begriff „Meme Page Admin“ für eine Person, die einen Meme-Account betreibt und dort regelmäßig Memes postet. Auch die hier beispielhaft erwähnten Accounts mit eher künstlerischen Bildern und Videos werden von Admins betrieben, die manchmal auch mit einem persönlichen Account in der Instagram-Biografie verlinkt sind.


Titelbild: Canva, erstellt mit KI

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