Die lesende Frau bei Krankheit (November)

Die Zeit zwischen 1880 und 1930 muss eine wilde Zeit in Paris gewesen sein, gerade in Künstler:innen-Kreisen. Ich habe jetzt für all diese Monate so viel über die Zeit und die Leute und die Kreise gelesen, die alle etwas miteinander gehabt zu haben scheinen. (Diese Zeit wird gerne als Fin de Siècle oder Décadence bezeichnet. Das lohnt sich auf jeden Fall zu googlen, es wirkt unserer Zeit jetzt auf gewisse Art nicht unähnlich)

John, Gwen; The Convalescent; The Fitzwilliam Museum; http://www.artuk.org/artworks/the-convalescent-4691

Da ist Gwen John, die walisische Künstlerin von „The Convalescent“ keine Ausnahme. Auch sie lebte und arbeitete in dieser verrückten Welt, auch wenn sie, anders als ihr Bruder Augustus John erst nach ihrem Ableben Bekanntheit erlangte. Doch als dieses Bild entstand, sie war zu dem Zeitpunkt Ende 40, stellte sie ihre Werke regelmäßig öffentlich aus. Nach vielen aufregenden Jahren in Paris, hatte sie zu diesem Zeitpunkt entdeckt, dass sie Ruhe und Alleinsein brauchte um erfolgreich zu malen.

Zu dieser Zeit entwickelte sie auch ihren Stil, der auch in „The Convalescent“ wiederzufinden ist: Eine weibliche Figur, die zu drei Vierteln in einer sitzenden Position zu sehen ist. In diesem Falle eine kränkliche Freundin, die auf dem Weg der Genesung ist und dabei liest. Während viele von Gwen Johns Subjekten namenlos blieben, wissen wir hier, dass es sich um Isabel Browser handelte, eine enge Freundin Gwens. Dieses Bild malte sie immer wieder: mal las Isabel in einem Brief, mal in einem Buch. Ob die Wiederholung in ihrer obsessiven Art begründet lag oder einfach eine Art Malübung darstellte, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Vielleicht sollte es auch den Genesungsprozess von Isabell darstellen? Man weiß es nicht.

„Frauen, die lesen, sind gefährlich“ verweist dabei auf ein Zitat von Proust: „Solange das Lesen für uns der Initiator ist, dessen Zauberschlüssel uns in der Tiefe unseres Selbst das Tor zu Räumen öffnet, in die wir sonst nicht einzudringen vermocht hätten, ist seine Rolle in unserem Leben heilsam.“ Lesen also als Heilmittel. Diesen Gedanken nehmen wir doch gerne mit in den November.

Dieser Artikel erscheint in unserem Kunstkalender für das Jahr 2025 zum Thema „Lesende Frauen“. Hier alle (bisherigen) Artikel in der Reihe:

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