Konzert am 27.11.2024
Bürgerhaus Stollwerck
Die britische Hardcore-Punk-Band High Vis hat am 27. November in Köln gespielt. Das war laut, schwitzig und eindringlich.
Start mit Slope und Pain of Truth
Den Auftakt macht die Duisburger Gruppe „Slope“, die erst ordentlich auf ihre Instrumente dreschen und sich dann mehrfach artig bedanken, dass das Publikum schon recht zahlreich im Saal ist. Dieses beklatscht den Auftritt beherzt. Dann folgen „Pain of Truth“ aus Long Island (USA), die beim Tempo und der Aggressivität nochmal eine Schippe drauf legen. Das gesamte Auftreten der Gruppenmitglieder ist ziemlich bullig und wirkt im Vergleich zu Slope irritierend machohaft. Die meisten Zuschauer:innen scheint das aber nicht zu stören und es gibt auch hier zum Schluss nochmal kräftig Beifall.
Main Act: High Vis
Der Frontmann Graham Sayle begrüßt die bereits ziemlich angeschwitze Menge: „Fock’n beautiful people!“. Aus dem Mund von Sayle klingt das „Fock’n“ tatsächlich liebevoll. Diese Schmeichelei ist das solide Fundament für High Vis’ Publikumsinteraktion.

Sound der britischen Misere
Musikalisch verbinden High Vis hardcore, Post-Punkt und Elemente aus New Wave, Britrock und -pop und Electro. Die Gruppe hat ihren Stil selbst wohl als „Post-Industrial-Britain Misery Punk“ bezeichnet. Diese Mischung können die Engländer auch live sehr überzeugend umsetzen. Sound, Emotion und Message ergeben hier ein stimmiges Gesamtbild.
Sozialkritik und Warnwesten
Die Gruppe hat eine klare Haltung zur britischen Gesellschaft und kritisiert das britische Sozialsystem: Weniger Privilegierte und Minderheiten werden nicht unterstützt, sondern durch das System aktiv diskriminiert. Die Arbeiterklasse wird ausgebeutet und muss doch die britische Gesellschaft am Laufen halten. Auch der Bandname ist eine Anspielung auf Klassenidentität: „High Vis“ ist eine Abkürzung von „high visibility clothing“. So werden im Englischen die neonfarbenen Warnwesten bezeichnet. Das Kleidungsstück steht laut Sayle stellvertretend für die Arbeiterklasse.

Persönliche Einblicke
In den Lyrics verbindet Sayle Sozialkritik mit seiner Gefühlswelt. In Interviews und live wie an diesem Abend benennt er diese Missstände ganz konkret und beschreibt, mit welchen Emotionen er zu kämpfen hat. Zwischen zwei Songs berichtet der Frontmann von seinem Bruder, der sich aufgrund seines Autismus und körperlichen Einschränkungen demütigenden Tests aussetzen muss, nur um gerade das Allernotwendigste für’s Überleben vom Staat zu bekommen. Eindringlich ruft Sayle dazu auf, dass wir als Privilegierte uns für diese Menschen einsetzen müssen. Der Appell bekommt lauten und nachdrücklichen Applaus.
Ulkige Stage-Dives
Die Menschen im Publikum scheinen die Emotionen der Songs unmittelbar ausleben zu wollen. Während der Songs tobt vorne der Mosh Pit. Oben auf der Bühne springt Sayle fast genauso wild herum. Schon ab dem ersten Song klettern Menschen aus dem Publikum hoch zur Band und umkreisen die Bandmitglieder auf der Suche nach Stage-Diving-Abgängen. Das endet teilweise in ulkigen Schleifen, da die Stage-Diver in spe und der springende Sayle sich in die Quere kommen. Und so mancher torkelt dann eher etwas ungelenk von der Bühne, anstatt sich dynamisch in die ausgestreckten Hände des Publikums zu schmeißen.
Hardcore Emotions
Trotz all dem Durcheinander und der wütenden Energie überwiegt eine harmonische Grundstimmung während des Auftritts von High Vis. Die Band verbindet nicht nur verschiedene musikalische Genres und Sozialkritik, sondern auch scheinbar widersprüchliche Emotionen miteinander. Die Palette reicht von Wut und Frust über Mitgefühl bis hin zu Hoffnung und Verbundenheit. Ziemlich hardcore, könnte man sagen.
Bilder: Populärkollektiv, Alike Schwarz
