Winken zum Abschied – Das Revival dank Video Calls

Es ist Mittwochnachmittag und der Video Call, der schon seit Stunden geht, über ein Thema, das du schon vergessen hast, zieht sich scheinbar ins Endlose. Dein Kaffee ist leer, du müsstest mal, das Schildchen deiner Jogginghose kratzt, du unterdrückst ein Gähnen. Dann spricht der Call-Initiator die erlösenden Worte: „Gut, das war es für heute, bis morgen!“ Du lächelst erleichtert, hebst deine Hand und winkst deinen dir winkenden Kolleg:innen zu. Bis morgen, ihr Bitches, denkst du, während du auf das rote „Verlassen“ klickst. Endlich raus hier.

Eine ziemlich normale Situation, oder? Nichts Ungewöhnliches. Dabei hat sich ein Element in unseren täglichen (Arbeits-)Meetings eingeschlichen, das vorher nicht da war (zugegeben, neben der Jogginghose). Das ist das Winken. Seit Beginn der „Home-Office-Zeit“ (ein charmanter Euphemismus für die Pandemie) hat es sich zentral und weltweit auf unseren Bildschirmen festgesetzt. Unsere Winkmuskeln sind stärker geworden, so stark, dass sogar CNN Business, t3n und National Geographic darüber schreiben. Auf Business-Ratgeber-Seiten wird es als unprofessionell abgetan, während Wissenschaftler:innen bereits die Gründe für das Winken untersuchen.

Das, was mich am Winken am meisten fasziniert hat, ist die Tatsache, dass wir universal und ohne große Aufforderung angefangen haben, zu winken. Die ganze Welt winkt im Takt vor ihren Laptops. Doch warum wird ausgerechnet gewunken? Wissenschaftler:innen führen es darauf zurück, dass wir durch die Verlagerung von Meetings in Video Calls die natürlichen Cues für einen Gesprächsabschluss verloren haben. Normalerweise würden wir uns auf die Schenkel klopfen, auffordernd und bedeutungsvoll nicken und/oder unsere Sachen zusammenpacken. Aber im Homeoffice muss man nichts zusammenpacken, die Schenkel sieht man nicht und ein Schlagen darauf würde nur als nichtzuortbar wahrgenommen werden. Selbst ein Nicken geht häufig in der schlechten Internetverbindung unter. Zumal macht die Technik es nach wie vor schwierig, dass alle gleichzeitig reden.

Dagegen ist Winken eine sehr einfache Technik, die wir seit unserer Zeit als Baby beherrschen und regelmäßig an abfahrenden Zügen oder auf eine:n Bekannte:n wartend geübt haben. Mit schwankender Internetverbindung, schlechtem Ton und verpixelnden Bildern ist es damit ein zuverlässiges Zeichen zum Abschied. Frei nach dem Motto: „Tschüss, ich schlage mir jetzt auf die Schenkel, nicke auffordernd und packe dann meine Sachen zusammen.“ Es ist egal, ob wir es synchron machen, es ist egal, wenn die Hand sich verzögert oder mit weniger Frames als normal bewegt, es ist ein derart eindeutiges, freundliches Symbol für Abschied (und manchmal auch Anerkennung einer Ankunft im Call), dass es jeder versteht.

Was das Winken immer wieder schön zeigt, ist, dass neue Medien auch neue Praktiken benötigen. Der Mensch ist aber auch anpassungsfähig und findet immer wieder einen Weg des wenigsten Widerstandes und weiß mit neuen Situationen umzugehen.

Wir werden zurück ins Büro gehen, wir werden wieder Meetings Face2Face halten und das Winken, anfangs vielleicht noch ironisch genutzt, wird schnell in Vergessenheit geraten. Vielleicht nur bis zur nächsten Welle im Herbst, vielleicht für immer. Was bleibt, sind Menschen, die sich schnell anpassen. Das Ziel dieses Artikels war es, euch darauf aufmerksam zu machen, was alles einen Einfluss auf unsere Kommunikation haben kann. Zwei Jahre Pandemie haben unsere primäre Kommunikation auf der Arbeit für viele von Face2Face zu Video Calls verschoben. Irgendwie haben wir es aber auch geschafft, damit umzugehen und ob wir das Winken mitnehmen oder nicht – unsere Anpassungsfähigkeit verlieren wir nicht.

In diesem Sinne:

Bilder: Populärkollektiv

Mehr zu dem Thema/Quellen:

https://edition.cnn.com/2020/06/23/tech/waving-video-calls/index.html

https://t3n.de/consent?redirecturl=%2Fnews%2Fwinken-videocall-psychologie-1342025%2F

https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2021/03/warum-winken-wir-in-video-calls-zum-abschied

2 Gedanken zu “Winken zum Abschied – Das Revival dank Video Calls

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