Die Bücher von Haruki Murakami

Die Antwort auf die Frage, wer mein Lieblingsautor ist, ist für mich ganz einfach: Es ist der japanische Schriftsteller Haruki Murakami. Zu beschreiben, was seine Bücher für mich so besonders macht, ist hingegen etwas schwieriger, doch ich will es versuchen. In diesem Text möchte ich euch seine Werke ein bisschen näherbringen, verrate euch, was meine Lieblinge von ihm sind und gebe Tipps, wo ihr am besten anfangt, wenn ihr auch mal reinschnuppern wollt.

Liebe auf den ersten Blick

Murakami ist ohne Zweifel der international berühmteste und erfolgreichste zeitgenössische Autor Japans. Seinen ersten Roman Wenn der Wind singt veröffentlichte er mit 30 Jahren. Laut eigener Aussage hat er vorher nie geschrieben, hatte im Jahr 1978 aber bei einem Baseball-Spiel eine Art Epiphanie und nahm sich vor ein Buch zu schreiben (nachzulesen ist das unter anderem im Vorwort zur deutschen Ausgabe von Wenn der Wind singt/ Pinnball 1973). Heute ist er 72 Jahre alt und in der Zwischenzeit hat er 13 weitere Romane und zahlreiche Kurzgeschichtenbände und Sachbücher veröffentlicht. Meine erste Begegnung mit Murakami fand im Januar 2016 statt – und es war Liebe auf den ersten Blick. Der Kauf von seinem damals recht neuen Romans Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki war ein Spontankauf, ich wusste vorher nicht wirklich etwas den Autor. Das Buch hat mich sofort in seinen Bann gezogen, denn es war vollkommen anders als alles, was ich bisher gelesen hatte. Es weckte nicht nur mein Interesse an Murakamis anderen Büchern, sondern auch an japanischer Literatur allgemein. Heute, 4 Jahre später, habe ich alle seine Romane, sowie einige seiner Erzählungen und Sachbücher gelesen. Ein wenig habe ich aber noch vor mir, denn ich binge Murakami nie. Immer wenn ich mir wieder eines seiner Bücher vornehme, freue ich mich aufs Neue. Das Gute ist außerdem, dass Murakami noch immer schreibt und neue Bücher veröffentlicht. Man kann sich also alle paar Jahre auf Nachschub freuen.

Was ist es?

Wie schon gesagt, fällt es mir wahnsinnig schwer, festzumachen, was genau ich so an Haruki Murakamis Geschichten mag. Seine Bücher sind so eigen, dass ich sie sogar selten weiterempfehle, denn seine Geschichten sind definitiv nicht für jede*n etwas. Allem voran ist es wahrscheinlich der magische Realismus, der mir gefällt. In seinen Büchern regnet es manchmal Sardinen, es gibt zwei Monde und sprechende Schafsmänner und das alles in einer sonst normal anmutenden Welt. Diese fantastischen Elemente werden meistens gar nicht wirklich erklärt, sie sind einfach da und gehen fließend in die realistischen Elemente über. Dadurch werden die Geschichten meiner Meinung nach oft wahnsinnig seltsam und seltsam ist wirklich etwas, was ich sowohl in Filmen als auch Büchern sehr liebe. Auch die Themen, die Murakami immer wieder behandelt, gefallen mir: Verlust geliebter Menschen, Einsamkeit und die Suche nach etwas, die dazu führt, dass die Charaktere sich selbst besser kennenlernen. Seine Bücher hinterlassen bei mir oft ein melancholisches Gefühl, ohne dabei kitschig zu sein. Außerdem ist es Murakamis Schreibstil, der es mir angetan hat. Er schreibt simpel, beschreibend und in kurzen Sätzen, gepaart mit mystischen und märchenhaften Passagen. Ich war nie ein großer Fan von langen Schachtelsätzen und zu ausufernder Sprache, deshalb gefällt mir die nüchterne Sprache sehr. Die Charaktere werden oft in ihrem Alltag begleitet, als Leser*in erlebt man, womit sie den Tag verbringen, was sie lesen, was sie für Musik hören und was sie essen (ganz wichtig). Diese nüchterne Sprache steht durchaus in einem interessanten Kontrast zu den magischen Elementen und komplexen Themen und Ideen seiner Geschichten. Weil ich kein japanisch kann, ist es mir leider nicht möglich, seine Werke im Original zu lesen und durch die Übersetzung geht sicherlich immer auch etwas verloren. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Wo Licht ist, ist auch Schatten

Wir wissen alle, dass es überall etwas zu kritisieren gibt, auch bei Murakami und das möchte ich an dieser Stelle natürlich nicht unerwähnt lassen. Viele finden sein Werk zu einheitlich und sagen, seine Themen und sein Schreibstil würden sich in den einzelnen Werken nicht genug voneinander unterscheiden, was es irgendwann langweilig mache, seine Bücher zu lesen. Dem stimme ich allerdings nicht zu. Ich liebe es, dass Murakami sich selbst treu bleibt und finde trotzdem jedes seiner Bücher einzigartig.  Worüber man durchaus diskutieren kann, ist die Darstellung von Frauen, zumindest in einigen seiner Bücher. Murakamis Protagonisten sind so gut wie immer männlich und deshalb werden Frauen sehr oft aus einer männlichen Perspektive beschrieben (eine Ausnahme ist zum Beispiel Aomame aus dem Roman 1Q84). Bei all seinen Charakteren liegt ein großer Fokus auf dem Aussehen, bei Frauen ist das aber definitiv überproportional der Fall. Murakami schreibt sehr oft über die Beziehungen zwischen Männern und Frauen, wodurch die Frauen in seinen Romanen oft automatisch in bestimmte Rollen fallen. Gleichzeitig sind die Frauenfiguren in den meisten seiner Romane trotzdem handlungstreibend und selbstbestimmt – vor allem im Kontrast zu den männlichen Figuren, die meistens sehr passiv bleiben und sich ihrem Schicksal ergeben. Wen interessiert, was Murakami selbst zu dieser Frage zu sagen hat, dem empfehle ich dieses interessante Interview. Natürlich gefallen mir außerdem nicht ausschließlich alle seine Bücher – das wäre bei allein 13 Romanen ja auch wirklich zu viel des Guten. Bücher von Murakami, die ich nicht so gern mochte, waren Wenn der Wind singt/ Pinnball 1973, Sputnik Sweetheart und Tanz mit dem Schafsmann

Where to Start

Das alles hat dich neugierig gemacht und du fragst dich, zu welchem Buch du jetzt als erstes greifen solltest? Super, da habe ich ein paar Tipps für dich!

Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki

Bild: DuMont Verlag

Wie bereits erwähnt, war Tazaki das Buch, das mich in den Murakami-Bann gezogen hat und es ist auf mehreren Ebenen ein guter Einstieg. Es ist eines seiner realistischeren Werke, das heißt als Leser*in ist man nicht sofort von der Weirdness und Phantastik seines Schreibens überfordert. Der mitte-30-jährige Ingenieur Tsukuru Tazaki lebt zurückgezogen in Tokyo. Er leidet noch immer unter der plötzlichen Zurückweisung seiner vier Schulfreund*innen vor 16 Jahren, die er sich auch heute nicht erklären kann und die ihn in tiefe Einsamkeit gestürzt hat. Er entschließt sich, endlich den Grund für den Kontaktabbruch herauszufinden und sucht nach seinen alten Freund*innen. Ein mitte-30-jähriger Mann, Einsamkeit, eine geheimnisvolle Frau, das Verschwimmen von Realitäten: Auf verhältnismäßig wenigen Seiten findet man in diesem Buch viel Murakami-typisches, was es zu einem guten Einsteiger macht.

TW (Triggerwarnung) für dieses Buch: Vergewaltigung

Naokos Lächeln

Bild: btb Verlag

Naokos Lächeln ist der einzige Roman Murakamis, der vollkommen ohne surreale Elemente auskommt. Das macht ihn zu einem sehr zugänglichen Einstieg, allerdings zeigt Murakami in diesem Roman genau aus dem Grund meiner Meinung nach nicht alles, was er kann. Naokos Lächeln handelt von dem Literatur-Studenten Toru Watanabe, der zwischen zwei Frauen hin- und hergerissen ist. Er kann seine erste große Liebe Naoko nicht loslassen, doch die Beziehung der beiden wird überschattet von dem Selbstmord ihres gemeinsamen Freundes Kizuki. Als die lebensfrohe Midori in Torus Leben tritt, muss er sich entscheiden, was er sich für seine Zukunft wünscht. Naokos Lächeln ist ein unglaublich trauriger und berührender Roman, der mich sehr mitgenommen hat. Auch hier werden Murakami-typische Themen behandelt, aber eben auf realistischere Art als in seinen anderen Büchern. Wem magischer Realismus und Phantastik eher weniger liegt, dem empfehle ich dieses Buch als Einstieg.

TW: Depression, Selbstmord

Meine Murakami-Lieblinge

Natürlich möchte ich hier nicht verschweigen, welche meine drei Lieblinge unter Murakamis Romanen sind. Hier steigt das Weirdness-Level rapide, denn ich liebe genau die Bücher mit abgefuckten Charakteren und komplexen Geschichten, die offene Fragen am Ende lassen. Also sagt nicht, ich hätte euch nicht gewarnt. Meine Lieblingsbücher findet ihr hier von Platz 3 bis Platz 1 in aufsteigender Reihenfolge.

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Bild: btb Verlag

Murakami entführt uns in Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt gleich in zwei Welten, die ganz anders sind als unsere. Im Hard-boiled Wonderland herrscht ein Datenkrieg, in dem Verschlüsselungstechniken von Daten entwickelt wurden, die über eine Black-Box im menschlichen Gehirn, unter anderem dem des namenlosen Protagonisten, funktionieren. Im zweiten Handlungsstrang, dem Ende der Welt, findet der Protagonist sich ohne Erinnerungen in einer vollständig eingemauerten Stadt wieder, in der er seinen Schatten abgeben und bis ans Ende seiner Tage als Traumleser in einer Bibliothek arbeiten muss. Klingt abgefahren? Stimmt! Und das liebe ich so daran. Außerdem ist dieses Buch das einzige Murakami-Buch mit Sci-Fi-Elementen, was die Geschichte innerhalb seines Werks zu einer sehr Außergewöhnlichen macht.

1Q84

Bild: DuMont Verlag

Dicke Bücher mag ich eigentlich gar nicht, aber für 1Q84 mache ich eine Ausnahme. Diese Reihe besteht im deutschen aus 2 Büchern und 3 Teilen (Teil 1 und 2 wurden in ein Buch gepackt) und umfasst fast 2000 Seiten. Der Roman spielt im Jahr 1984 und handelt von der Auftragsmörderin Aomame und dem Schriftsteller Tengo, die durch die Verstrickungen mit einer Sekte in eine Parallelwelt geraten, die Aomame 1Q84 nennt. Dieser kurze Versuch, die 2000-Seiten-lange Geschichte zusammenzufassen, wird ihr nicht einmal ansatzweise gerecht. Der Roman lebt von seiner außergewöhnlichen Geschichte und tollen Charakteren, sowie Murakami-typischen Elementen wie der Einsamkeit der Figuren und der ständigen Beschreibung von Essen (ich liebe es). Auch wenn die Bücher DICK sind, ich sage euch, lasst euch darauf ein. Ihr werdet es nicht bereuen.

TW: Vergewaltigung, Kindesmissbrauch, Mord

Kafka am Strand

Bild: btb-Verlag

Kafka am Strand würde ich nicht nur als meinen Lieblings-Murakami bezeichnen, sondern als mein Lieblingsbuch. Von allen Büchern. Jemals. Der 15-jährige Kafka reißt von zuhause aus, um vor seinem Vater und dessen unheilvoller Prophezeiung zu flüchten. Seine Reise führt ihn in die Stadtbibliothek einer fremden Stadt, wo er die Bibliotheksleiterin Saeki trifft und sich in sie verliebt. Durch Saeki gleitet Kafka immer weiter in eine seltsame Welt, in der er nicht mehr unterscheiden kann, was Traum und was Wirklichkeit ist. Seltsam, aber trotzdem zugänglich hebt sich dieser Roman auf eine positive Art von vielen anderen seiner Werke ab. Und trotzdem bleibt Murakami sich hier immer noch selbst treu. Dass ich dieses Buch so mag hat, wie so oft, verschiedene Gründe. Erstens, die Charaktere sind wundervoll. Ich liebe Kafka. Er ist so naiv und allein und es ist einfach schön, ihn auf seiner Reise zu begleiten und zu verfolgen, wie er erwachsen wird. Doch der eine Charakter, der für immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben wird, ist Nakata. Er ist ein alter Mann, der in seinem Leben so viele schlimme Dinge durchgemacht hat und trotzdem ein durch und durch guter Mensch ist, der niemals jemandem wehtun würde. Und er kann mit Katzen sprechen. Ich wünschte, ich könnte mit Katzen sprechen.  Zweitens liebe ich an diesem Buch, dass ich es wahrscheinlich nie ganz verstehen werde. Aber das Leben ergibt auch nicht immer Sinn, wieso sollten Bücher immer Sinn ergeben und ein geschlossenes Ende haben? Und drittens, der magische Realismus in Kafka am Strand ist wahnsinnig toll. Ich liebe die Traum-ähnlichen Szenen, auch wenn sie mich immer mit vielen Fragen zurücklassen und auch ein bisschen frustrieren. Dieses Buch ist absurd, seltsam und auch ein bisschen brutal, aber ich liebe es.

TW: detaillierte Beschreibung von Tierquälerei

Folge- und Lese-Empfehlungen

Ich hoffe ich konnte euch mit diesem Artikel ein wenig neugierig auf meinen Lieblingsautoren machen. Wenn ihr Interesse habt, noch ein bisschen mehr über ihn zu lesen, kann ich euch mein liebstes Interview mit Murakami empfehlen. Er spricht darin viel über seinen Schreibprozess, sein Leben und seine Person und ich denke, es ist auch für Murakami-Kenner wirklich interessant zu lesen! Die Buch-Bloggerin Pinkfisch ist Murakamis Büchern ebenfalls verfallen und auf ihrem Blog gibt es einiges über ihn zu lesen. Ich empfehle außerdem die Booktuberin Kate Pfeil, die schon öfter Video-Rezensionen zu Murakami aufgenommen und Videos zu seinem Gesamtwerk gemacht hat. Ich finde ihren Buchgeschmack auch abseits von Murakami wahnsinnig gut und folge ihr allein schon deshalb sehr gern. Aber am besten lest ihr direkt etwas von Murakami-san selbst.

Und wie sieht es aus, konnte ich euch vielleicht für eins der Werke von Murakami begeistern? Und an die Murakami-Kenner unter euch: Welches ist euer Lieblingsbuch von ihm?

4 Gedanken zu “Die Bücher von Haruki Murakami

  1. Danke für diese Erinnerung daran, wie wunderbar die Murakami-Bücher sind, Ich habe sie auch fast alle gelesen und werden sie nun nach diesem Artikel noch mal wieder an den langen Coronaabenden geniessen. Wobei „geniessen“ ja, wie du auch schreibst, relativ ist: sie sind auch immer etwas verstörend und rätselhaft.

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    1. Noch eine Murakami-Leserin, wie schön! 🙂 Es freut mich sehr, wenn ich dich inspirieren konnte, mal wieder ein Buch von ihm zu lesen. Ich habe selbst erst kürzlich Hard Boiled Wonderland zum zweiten Mal gelesen. Viel Spaß dabei!

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